BauernprotestHightech-Landwirt Sebastian Bützler demonstriert mit Trecker, TikTok und KI

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Landwirt Sebastian Bützler sitzt in seinem Trecker. Hinter ihm folgt ein weiterer Trecker.

Über den Zuspruch und die vielen erfreuten Gesichter in den Autos und am Straßenrand freute sich Sebastian Bützler sehr – mindestens genauso aber auch über den Zusammenhalt seiner Zunft.

80 Traktoren fuhren zwischen Breitenbenden und Nöthen. In einem davon saß Hightech-Landwirt Sebastian Bützler aus Kolvenbach.

Die Kühe sind unruhig. In der vergangenen Nacht hat es geschneit. Die Böden sind gefroren. Aus dem Stall des Bützler-Hofes in Bad Münstereifel-Kolvenbach ist der Radlader zu hören. Das bedeutet: Fütterungszeit. Es ist 4 Uhr morgens. Zwei Stunden früher als normalerweise. Heute ist einiges anders als normalerweise. Heute protestieren die Bauern.

Auf dem Hof liegen Proviant und zwei große Drohnen für etwa 400 Euro pro Stück in Koffern. Damit möchte Sebastian Bützler, wenn das Wetter mitspielt, die Proteste aus der Luft anschauen und mit seinen Followern in den Sozialen Netzwerken teilen. Dicke Jacken sind über die Koffer geworfen.

Seinen Banner-Spruch hat Sebastian Bützeler mit KI generiert

An dem Trecker, der zur Fütterungszeit durch den Kuhstall fährt, ist ein Banner angebracht. Darauf steht: „Kein Bauer, kein Bier, Schnaps, Wein, das wäre gemein.“ Zwei dieser Banner hat Milchbauer Sebastian Bützler bestellt, zwei weitere hat er vom Hersteller spendiert bekommen. „Aus Solidarität mit uns Landwirten“, sagt Bützler. Den Spruch auf dem Banner hat der Bauer auf Snapchat mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz generiert. Für das Banner habe er etwas Witziges gesucht, etwas, mit dem jeder was anfangen könne. Etwas, das es auf den Punkt bringt. Jedenfalls nichts Radikales – auf keinen Fall.

Ein Trecker ist mit einem Banner versehen. Auf dem Schild steht: "Kein Bauer, kein Schnaps, Wein, das wäre gemein.

Um 4 Uhr musste der Landwirt aufstehen, um „seine Mädels“ zu versorgen. Das Tierwohl dürfe über den Protest nicht vergessen werden, sagte er.

Bevor er schwungvoll in den zurechtgemachten Trecker steigt, macht er ein Foto seines Gefährts – für Instagram. In der Fahrerkabine knirscht das Funkgerät. „Jetzt geht's los, jetzt geht's los“, skandiert am anderen Ende der Leitung jemand mit gespielter Hooligan-Stimme. Es klingt mehr nach Klassenfahrt als nach Klassenkampf. Bützler lacht, drückt auf die Hupe und ruft „Guten Morgen“. In den meisten Häusern brennt noch kein Licht. Es ist 6 Uhr.

Um 6.15 Uhr trifft der Milchbauer an der Tankstelle in Engelgau auf den ersten Teil seiner Kolonne. Die Insassen von etwa zehn weiteren Maschinen warten dort auf ihn. Einer fährt vor zur zweiten Zapfsäule und betankt seinen Trecker. Einer lacht. Ein anderer ruft: „Mach voll, so lang’s noch geht!“ Doch die Gruppe ist nicht vollzählig: „Zwei sind grad nach Tondorf abgehauen“, sagt Bützler. „Nach Tondorf?“, fragt ein befreundeter Landwirt. Ob die verrückt seien. „Tondorf“, murmelt ein anderer verschwörerisch vor sich hin, als läge Tondorf nicht in Nettersheim, sondern in der Vorhölle.

„Die wollen Richtung Blankenheim“, sagt Bützler, „das kann nicht gut ausgehen.“ Die Teilnehmer im Konvoi des Milchbauern haben sich bewusst gegen die Blankenheimer Route entschieden. Aus der Planungsgruppe bei WhatsApp sind sie ausgetreten, als die weit mehr als 1000 Teilnehmer umfasste. Man könne sich ja ausmalen, was es für die Straßen in Blankenheim bedeute, wenn nur ein Bruchteil der Teilnehmer dort erscheine, sagt Bützler. Er selbst wolle mit dem Trecker lieber fahren, statt ihn bloß irgendwo auf die Straße zu stellen.

Aus der Planungs-WhatsApp-Gruppe sind einige ausgetreten

Und noch ein Problem gab es mit der WhatsApp-Gruppe. „Plötzlich wurde dort AfD-Werbung geteilt, da bin ich raus aus der Gruppe“, sagt ein Teilnehmer. Zu unübersichtlich sei die Kommunikation, zu krawallig die Stimmung gewesen, findet Bützler. Das seien zwar nur vereinzelte Personen gewesen – „aber leider auch die lautesten“. Er selbst möchte an diesem Tag friedlich protestieren, möchte Bewusstsein für die Situation schaffen, „aber nicht nach unten treten. Ich glaube, das sehen die meisten so“.

Die Akzeptanz und Unterstützung der Bürger sei bei solcher Art von Protesten ein kostbares Gut. Dass der Grat zwischen Unterstützung und Ablehnung manchmal ein schmaler sei, so Bützler, zeige das Beispiel der „Klimakleber“. Eigentlich sei es keine hassenswerte Sache, sich für die Umwelt einzusetzen, aber die Unberechenbarkeit der Proteste, die Dauer und die arbeitende Bevölkerung, die am wenigsten Macht zur Veränderung habe, als Zielklientel auszuerwählen, habe den Bogen wohl irgendwann überspannt. „Deswegen fahren wir heute auch einfach nur zwischen dem Kreisverkehr in Nöthen und dem in Breitenbenden hin und her – mit kleinen Pausen, damit sich der Verkehr zwischenzeitlich auch wieder beruhigen kann.“

Im Rückspiegel sind viele Traktoren zu sehen.

Die Kolonne behielt der Landwirt im Rückspiegel immer im Auge – und per Funk im Ohr.

Auf dem Parkplatz in Breitenbenden stehen um 7 Uhr früh etwa 50 Fahrzeuge bereit. Es schneit, es friert, als habe das Wetter an diesem Montagmorgen einen ganzen Winter nachzuholen. Zwei Polizeibeamte beobachten den größer werdenden Stau vor dem Parkplatz. Je 25 Teilnehmer werden Ordner-Karten verteilt, eine geht auch an Sebastian Bützler.

Um 7.30 Uhr macht sich die Kolonne vom Parkplatz Richtung Nöthener Kreisverkehr auf. Die beleuchtete Traktorenkolonne, die sich durch die verschneite Landschaft mit dem klaren blauen Himmel schlängelt, erinnert an den „Polarexpress“, den Kinderfilm über einen riesigen Zug, der einen kleinen Jungen vor der Tür abholt, um ihn zum Nordpol zu bringen.

In den Sozialen Medien gab es viel Feedback

„Fast romantisch“, sagt Bützler, dann knackt das Funkgerät. Während die Kolonne ihre Runden zwischen Nöthen und Breitenbenden dreht, wird Bützler über alles informiert, was seine Kollegen treiben. Das Funkgerät knackt: An der Autobahnauffahrt in Wißkirchen brenne ein Strohballen, heißt es. Das Funkgerät knackt erneut: Jemand habe erfolglos versucht, das Feuer mit einem Feuerlöscher zu bekämpfen.

Auf seinem Handy findet Bützler sofort ein TikTok-Video davon. Ein weiteres Ächzen im Kanal verrät: In Rheinbach hat jemand Mist auf die Autobahn gekippt. Eine Weile lang meldet sich dann niemand mehr. Weder über Funk, noch über sein Handy. Auch der erste Schwall an „gut gemacht“- und „Wir unterstützen euch“-Kommentaren auf seinen Sozialen Netzwerken ist abgeebbt.

Im Schnee fahren viele Traktoren über die Landstraße.

Trotz Kälte, Schnee und eisiger Straßen fuhr der Konvoi wie geplant.

An der Straße steht eine Mutter mit ihrer etwa vierjährigen Tochter. Das Mädchen sieht so beeindruckt aus, als hätte es gerade wirklich den echten Polarexpress gesehen. Die beiden winken. Bützler winkt zurück, dann hupt er lange. „Das fühlt sich wirklich gut an“, sagt er. Dann passiert eine Kolonne Autos Bützlers Trecker. Der Milchbauer lässt die Hupe kaum noch los. Die Gesichter in den Autos erhellen sich. Zwei Mittelfinger hat er an diesem Tag auch gesehen.

Aber was seien schon zwei Mittelfinger gegen hundert erhobene Daumen? Was eine vereinzelte Pöbelei, ein bisschen Mist, und ein bisschen brennendes Stroh gegen den Zusammenhalt einer Berufsgruppe und den absoluten Rückhalt in der Bevölkerung?

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