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Gegen sexuelle BelästigungFrauenberatungsstelle Euskirchen bietet Schulungen an

6 min
Eine Frau sitzt an einem Büroschreibtisch. Ein Mann berührt sie an der Schulter, was der Frau sichtlich unangenehm ist.

Sexuelle Belästigung erleben Betroffene oft als belastend, abwertend, verunsichernd oder sogar bedrohlich. 

Die Zahl der Fälle von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz steigen, sagen die Mitarbeiterinnen der Euskirchener Frauenberatungsstelle.

Für die Mitarbeiterin kam es völlig überraschend: Als ihr Kollege die Firma wechselte und sich auch bei ihr mit einer herzlichen Umarmung verabschiedete, griff er ihr an die Brust und flüsterte: „Das habe ich schon immer mal machen wollen.“ Reagiert habe sie in diesem Moment nicht, sie sei viel zu perplex gewesen.

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist auch Jahre nach der „MeToo“-Kampagne noch topaktuell. „Die Zahl der Fälle steigt seit Jahren“, heißt es seitens der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Andererseits gibt es aber auch ein neues Bewusstsein dafür, dass sexuelle Belästigung kein Kavaliersdelikt ist. Und die Zahl jener, die sich gegen solche Übergriffe wehren, ist ebenfalls gestiegen.

Doch was genau machen eigentlich Firmen, Verwaltungen und Institutionen, um sexueller Belästigung vorzubeugen? Welche Strukturen sind vorhanden, um Betroffene angemessen zu unterstützen? Was viele gar nicht wissen: Sexueller Belästigung entgegenzuwirken und für den Schutz aller Beschäftigten zu sorgen, wird Arbeitgebenden im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verpflichtend vorgeschrieben.

Schritte hin zu einer gewalt- und diskriminierungsfreien Arbeitskultur

Um das zu schaffen, braucht es zuallererst einmal Führungskräfte, die durch ihre eigene Vorbildfunktion sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz verhindern und beenden. „Sie müssen also eine klare Haltung entwickeln und diese konsequent gegenüber allen Mitarbeitenden vertreten“, sagt Elena Fastabend von der Frauenberatungsstelle des Vereins „Frauen helfen Frauen“.

Sie und ihre Kollegin Ramona Binder hatten sich durch Fortbildungen des Bundesverbandes der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe inspirieren lassen, deren Motto „Make it work!“ lautete. Anknüpfend an die Me-too-Bewegung stand hier die Frage im Fokus, wie eine gewalt- und diskriminierungsfreie Arbeitskultur aktiv mitgestaltet und systemische Verbesserungen erzielt werden können. „Danach habe ich gedacht: Das brauchen wir hier im Kreis Euskirchen auch“, sagt Fastabend.

Elena Fastabend zeigt auf eine Zeichnung, mit der sie das Eisberg-Modell erklärt.

Elena Fastabend erklärt das Eisberg-Modell: Bevor es zu sexueller Belästigung kommt, ist im Vorfeld schon eine Menge passiert.

Gemeinsam entwickelten die beiden Sozialpädagoginnen ein Schulungskonzept, mit dem sie nun an den Start gegangen sind. „Handlungssicherheit für Führungskräfte“ verspricht es, und es zielt darauf ab, zunächst jene Personen zu sensibilisieren, zu stärken und zu rüsten, an die sich Mitarbeitende mit Beschwerden in der Regel wenden.

„Das Wissen der Führungskräfte, ihre Haltung und ihr Verhalten prägen maßgeblich das Arbeitsklima“, heißt es in der Beschreibung der Fortbildung, in der sich die Teilnehmenden „aktiv mit ihrer eigenen Rolle auseinandersetzen“ und durch Selbstreflexion eine klare Haltung gegenüber sexueller Belästigung entwickeln sollen. „Das ist die Grundlage für souveränes Handeln – insbesondere in komplexen oder konfliktbehafteten Situationen.“

Verlust der Arbeitsmotivation, Angst und Depressionen

Wenn es zu sexueller Belästigung am Arbeitsplatz komme, dann habe meist schon eine Menge im Vorfeld stattgefunden: „Kontinuierliche Grenzverschiebungen oder -überschreitungen“, so Binder, und die würden zu einer Art Grauzone verwaschen, aus der heraus Betroffene nur schwer handeln können. „Meistens ist es viel einfacher, einer Person, die Opfer von sexueller Belästigung wurde, nicht zu glauben, als einem Täter“, sagt Elena Fastabend. Von Menschen, die verbale oder körperliche Übergriffe erlebt haben, wird dies in der Regel als belastend, abwertend, verunsichernd oder sogar bedrohlich empfunden. Folgen daraus können der Verlust der Arbeitsmotivation, Angst und Depressionen sein.

Es ist ein Imagegewinn, wenn ich als Arbeitgeber sagen kann: Wir nehmen das Thema hier sehr ernst, wir haben Beschwerdestrukturen geschaffen, wir bilden uns und die Mitarbeitenden dazu fort.
Elena Fastabend aus der Frauenberatungsstelle

Ein bisschen ist es mit sexueller Belästigung wie mit Mobbing an Schulen: Überall findet es statt, aber keiner gibt es öffentlich zu. Ein Arbeitgeber aber, der sich dem Thema aktiv zuwendet und entsprechende Maßnahmen ergreift, sorgt für ein gutes Betriebsklima und damit auch für mehr Bindung und weniger Krankheitstage auf der Arbeitnehmerseite.

„Es ist ein Imagegewinn, wenn ich als Arbeitgeber sagen kann: Wir nehmen das Thema hier sehr ernst, wir haben Beschwerdestrukturen geschaffen, wir bilden uns und die Mitarbeitenden dazu fort“, sagt Elena Fastabend. Zwar könne man keine Label oder Zertifizierungen anbieten, aber eine Firma könne etwa auf ihrer Homepage explizit darauf hinweisen, wie sie sich intern gegen sexuelle Belästigung aufstellt.

Doch zunächst einmal stehen nur die Führungskräfte im Fokus: Nach der Haltungsarbeit gehe es beispielsweise um den sicheren Umgang mit Verdachtsfällen und Beschwerden, um Einblicke in Täterstrategien, um Methoden zur Prävention und zur Stärkung der Teamkultur. Um Handlungssicherheit zu erlangen, sollen die Führungskräfte auch mit Fallbeispielen arbeiten und konkrete Gesprächssituationen trainieren können.

„Dabei sollen Fallstricke ebenso Thema sein wie die Frage, wie sich Betroffene sexueller Belästigung fühlen und wie man ihnen in einer solchen Situation helfen kann“, erklärt Fastabend. „Wir haben sechs Module vorbereitet, mit denen wir die Führungskräfte schulen“, so Elena Fastabend. Die erste ganztägige Schulung durch die beiden Fachfrauen fand jetzt in Euskirchen statt.

Die Veränderung einer Unternehmenskultur ist machbar

Um eine tatsächliche Veränderung in der Kultur eines Unternehmens oder einer Institution herbeizuführen, müsse man im zweiten Schritt auch die Belegschaft schulen. Binder: „Auch den Aufbau einer Beschwerdestelle mit betriebsinternen Ansprechpersonen würden wir fachlich begleiten.“

Die Mitarbeiterin, deren Kollege sie beim Abschied an die Brust gefasst hatte, sieht das Geschehen in der Rückschau als eine beträchtliche Grenzüberschreitung, die sie noch immer sehr wütend mache. Anfangs sei sie vor allem auf sich selbst wütend gewesen, da sie darauf nicht reagiert und auch im Nachhinein nichts unternommen habe. „Falsch gehandelt habe aber nicht ich, sondern er“, sagt sie: „Die tiefe Scham, die man spürt, wenn einem so etwas passiert, gehört aber ganz sicher nicht auf die Seite des Opfers.“


Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist per Gesetz verboten

Eine EU-weite Studie über geschlechtsspezifische Gewalt hat ergeben, dass jede dritte Frau am Arbeitsplatz schon einmal sexuell belästigt wurde. Bei jüngeren Frauen (18 bis 29 Jahre) berichten zwei von fünf von dieser Erfahrung. Eine weitere Studie (Antidiskriminierungsstelle des Bundes) stellte 2019 fest, dass 76 Prozent der Betroffenen weiblich, die belästigenden Personen weit überwiegend männlich waren.

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist verboten, so steht es im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Trotzdem kommt es im Arbeitsalltag häufig zu Verhaltensweisen, die sexualisiert und geschlechtsbezogen sind. Damit fügt man nicht nur der belästigten Person Schaden zu, sondern auch dem Ansehen der Firma oder der Institution.

Arbeitsplatz muss ein sicheres Umfeld für Beschäftigte sein

Definiert wird sexuelle Belästigung als ein „unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten“, zu dem unter anderem verbale Anzüglichkeiten, nonverbale und körperliche Belästigungen gehören. Manches davon ist im Privatleben nicht verboten, etwa einer Frau auf die Brüste zu starren. Am Arbeitsplatz hingegen ist ein solches Verhalten klar gesetzwidrig.

Laut AGG muss ein Arbeitsplatz für alle Beschäftigten ein sicheres Umfeld sein. Der Schutz bezieht alles mit ein, was mit dem Arbeitsverhältnis zu tun hat: Arbeitswege, Dienstreisen, Betriebsausflüge, Firmenfeiern und Pausenzeiten, aber auch Nachrichten per Chat, Mail oder Anrufe. Das Gesetz bietet also jedem Arbeitgeber einen klaren rechtlichen Rahmen, um der Verantwortung gerecht zu werden und Prävention wie Ahndung von sexueller Belästigung nachzukommen.