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Serie

Prävention
Euskirchener Suchtberater sehen Cannabislegalisierung kritisch

Lesezeit 6 Minuten
Eine Person zieht an einem Joint, den sie zwischen zwei Fingern hält.

Das Cannabis-Gesetz tritt am 1. April in Kraft. Doch gut auf die Neuerung vorbereitet fühlen sich Euskirchener Suchtberatungsstellen nicht.

Das Cannabis-Gesetz soll am 1. April in Kraft treten. Doch gut auf die Neuerung vorbereitet fühlen sich Euskirchener Suchtberatungsstellen nicht.

Dass Erwachsene ab dem 1. April legal Joints rauchen dürfen, finden Maria Surges-Brilon und Frank Commer grundsätzlich gut. Surges-Brilon ist Vorständin des Caritasverbandes im Kreis Euskirchen. Frank Commer beschäftigt sich seit vielen Jahren als Suchtberater bei der Euskirchener Caritas mit illegalen Drogen.

Längst überfällig sei die Entkriminalisierung von Konsumenten, sagt Surges-Brilon: „Das ist ein Wahnsinn gewesen in den vergangenen Jahren.“ In Süddeutschland sei man für fünf Gramm Marihuana in den Knast gekommen, in Norddeutschland glimpflich davon. Zudem gehörten Menschen, die abhängig seien, in Behandlung. Und nicht ins Gefängnis. „Natürlich musste da eine Veränderung her“, sagt sie. Das Gesetz zur Cannabislegalisierung hält sie aber für „einen Schnellschuss“.

Suchtberater: Cannabis hat eine große Lobby in Politik und Bevölkerung

Die Diskussion rund um Legalisierung und Anbau sei zurzeit hauptsächlich ideologisch geprägt, findet Frank Commer. Das Kiffen habe eben eine große Lobby – sowohl in der Politik als auch in der Bevölkerung. Deswegen seien aktuell alle Augen auf das große Ganze gerichtet: die Installation eines progressiv wirkenden Gesetzes. Übersehen würden dabei aber die vielen Einzelaspekte, die zu einer reibungslosen Implementierung beitragen könnten. Vor dem Hintergrund, dass das sogenannte „CanG“ bald in Kraft treten soll, sei vieles noch zu unklar.

Surges-Brilon schüttelt den Kopf und lacht: Unklar sei es nicht. Im Gegenteil: „Im Gesetz ist alles ganz genau beschrieben.“ Etwa, wie viel Gramm Cannabis jeder Erwachsene mit sich führen dürfe (50 Gramm pro Monat, junge Erwachsene bis 21 Jahre 30 Gramm pro Monat), oder wie viel THC-Gehalt das Marihuana aufweisen dürfe (maximal 10 Prozent). „Aber ich frage mich wirklich, wer diese ganzen Auflagen kontrollieren soll. Uns fehlen die Strukturen dazu.“

Maria Surges-Brilon und Frank Commer von der Euskirchener Caritas-Beratung sitzen neben einer Tafel, auf der Notizen im Rahmen des niederländischen Skoll-Programmes gemacht wurden.

Das Skoll-Programm, ein Selbstkontrolltraining, das für Cannabis-Suchtpatienten in den Niederlanden entwickelt wurde, sei eine Maßnahme, deren Ausbau lohnen würde, finden Surges-Brilon und Commer.

Und diese fehlten nicht zuletzt im Präventionsbereich: Im Gesetz heißt es etwa, dass jede legale Cannabis-Anbauvereinigung auch ihren eigenen Präventionsbeauftragten haben muss. Surges-Brilon: „Wer wird das sein? Wer ist dafür zuständig? Wird das an unsere Fachstellen angebunden? Welche Man- und Womanpower brauchen wir dann? Fahren wir dann einmal im Quartal zu so einem Club?“

All das stehe zwar im Gesetz, sei aber mit den Beratungsstellen nicht endgültig geklärt worden. Genauso wie die Frage nach dem Jugendschutz: Das Jugendamt habe per Cannabis-Gesetz die Verpflichtung, jedem Jugendlichen, der durch Cannabis auffällig werde, ein Frühinterventionsprogramm anzubieten. „Ich denke mal, auch das wird über eine Beratungsstelle laufen – worüber auch sonst? Aber auch hier haben wir bisher weder Strukturen noch ausreichend Personal“, sagt Surges-Brilon. Und: „Ich frage mich, ob die Präventionsangebote ernst gemeinte Präventionsangebote sein sollen, oder ob sie bloß pro forma sind – wir als Drogenhilfe also einmal im Quartal ein paar Flyer auslegen und dann wieder verschwinden.“

Vom Bundesgesundheitsministerium gehen gemischte Signale aus

Die Signale, die vom Bundesgesundheitsministerium ausgehen, empfindet Brilon als gemischt: Auf der einen Seite sei positiv zu bemerken, dass die Suchtberatungen in den Gesetzbildungsprozess einbezogen wurden, dass die Expertise der Drogenberatungsstellen also ernst genommen wurde und das Präventionsangebot ausgebaut werden soll.

Auf der anderen Seite wird verlautbart, dass der Gesundheitsetat im kommenden Jahr schrumpft. „Da frage ich mich: Wie geht das zusammen?“ Surges-Brilon hofft, dass das versprochene Präventionsangebot, nicht nur ein Pro-Forma-Angebot sein wird. Denn: „Suchtprävention darf kein Feigenblatt sein.“

Warum die Prävention so wichtig ist, skizziert Frank Commer: „Ich vermute, dass der THC Konsum mit Inkrafttreten des Gesetzes deutlich ansteigen wird.“ Natürlich könne er da jetzt noch keine Zahlen nennen, was er aber sehr wohl kann: den Vergleich zu anderen legalen Suchtmitteln – also Nikotin und Alkohol – ziehen.

490 Suchterkrankte im Kreis Euskirchen – immer mehr THC-Abhängige

In Deutschland seien aktuell etwa 1,8 Millionen Menschen alkoholabhängig, bei Nikotin seien es etwa 10 Millionen. Wenn man sich diese Zahlen anschaue, bekomme man vielleicht eine Vorstellung davon, in welche Richtung sich die THC-Abhängigkeit bewegen könne, sagt er.

490 Suchterkrankte aus dem Kreis Euskirchen werden aktuell von der Caritas betreut. Die Anzahl derer, die ausschließlich aufgrund ihres Cannabis-Konsums eine ambulante Reha machten, habe in den vergangenen Jahren stetig zugenommen, sagt Surges-Brilon. Immer mehr Menschen hätten gemerkt, dass sie über den Cannabis-Konsum jeglichen Halt in ihrem Leben verloren hätten, berichtet Commer. THC-abhängige Menschen hätten vor 15 Jahren noch nicht ihren Weg in die Suchtberatung gefunden.

Das hänge vielleicht damit zusammen, dass der THC-Gehalt gestiegen sei, vermutet er. Hochpotente Pflanzen machten schneller und stärker abhängig. Auch das Risiko für Psychosen steige damit. Und diese hochpotenten Pflanzen, so vermutet Brilon-Surges, werde es auch trotz aller Reglementierung weiterhin geben, und zwar auf dem Schwarzmarkt.

Euskirchener Caritas-Vorständin fordert bezahlte Prävention

Laut ihr würden sich mit der Legalisierung mehrere Märkte auftun: der legale Markt mit kontrolliertem Anbau, der Schwarzmarkt mit unkontrolliertem Anbau und eine Grauzone, in der Konsumenten ihr Hauptaugenmerk darauf legten, möglichst schnell an „irgendeinen Stoff“ zu kommen – ob legal, oder illegal.

Darüber bestimmen, wer sich auf welchem Markt bediene, würde dann zum einen der Preis, und zum anderen das Alter. Denn schließlich sei der legale Markt für Minderjährige nicht zugänglich. So würden die sich bei der potenziell gefährlicheren Schwarzmarkt-Variante bedienen. Dabei seien es gerade junge Menschen, deren Gehirn sich noch in Entwicklung befinde, die besonders gefährdet seien.

„Deswegen fordern wir Prävention – und zwar bezahlt“, sagt Brilon-Surges. Programme, die in Windeseile ausgebaut werden könnten, habe die Caritas ausreichend – etwa das Skoll-Programm, ein Selbstkontrolltraining für junge Cannabis-Konsumenten, das in den Niederlanden entwickelt wurde.

Nur durch Aufklärung sei den Problemen und einer Verharmlosung, die mit der Legalisierung einhergehe, beizukommen, sagt Surges-Brilon. „Einrichtungen wie Beratungsstellen und auch stationäre Stellen müssen in die Lage versetzt werden, handlungsfähig zu sein, wenn es drauf ankommt – und zwar zeitnah wie flächendeckend


Serie: Die Legalisierung von Cannabis

An diesem Freitag, 22. März, wird der Bundesrat das Cannabisgesetz beraten. Ein Gesetz, das am 23. Februar beschlossen wurde und schon am 1. April in Kraft treten soll. Das Eckpunktepapier des Bundesgesundheitsministeriums regelt Anbau, Besitz, Konsum, Weitergabe und Jugendschutz.

Die Reglementierungen sehen vor: In Cannabis-Clubs werden Vereinsmitglieder die Droge gemeinschaftlich anbauen. Maximal 50 Gramm pro Monat dürfen erwachsene Mitglieder besitzen. Bei 18- bis 21-Jährigen sind es 30 Gramm pro Monat, bei einem maximalen THC-Gehalt von zehn Prozent. Um Minderjährige zu schützen, darf das Cannabis nicht in einer Sichtweite von 100 Metern zu Schulen konsumiert werden. Auch in Fußgängerzonen ist es verboten.

In dieser Serie geht die Redaktion zahlreichen Fragen nach: Wie reagieren die Akteure auf das Gesetz? Wo ist das Kiffen erlaubt, wo verboten? Was bedeutet das Gesetz für den Schwarzmarkt? Wer kontrolliert die Einhaltung des THC-Gehalts sowie die korrekte Entfernung zu Schulen? Wie reagieren die Suchtberatungsstellen? Und was sagen Mediziner, Schmerzpatienten oder THC-Abhängige?