Vier Jahre nach der Flut informiert der WVER über den aktuellen Stand der Planungen und Maßnahmen zum Hochwasserschutz im Kreis Euskirchen.
HochwasserschutzDie neue Talsperre in der Eifel könnte in 15 Jahren fertig sein

Viele Arbeiten an den Gewässern, hier die Urft in Gemünd, sind seit der Flutkatastrophe erledigt worden, erste kleinere Maßnahmen im Hochwasserschutz sind umgesetzt. Sehr vieles ist noch zu tun, wenn das Hochwasserschutzkonzept umgesetzt wird.
Copyright: Wolfgang Kirfel
Er spricht von einer Generationenaufgabe. Von einem langen Atem, der nötig ist. Und von Jahrzehnten, die angesichts des Projektvolumens ins Land gehen werden. Auch auf Dr. Joachim Reichert, Vorstand des Wasserverbands Eifel-Rur (WVER), wirft die Flutkatastrophe von 2021 noch immer ihren langen Schatten – und wird das noch einige Zeit tun. „Diese Katastrophe beeinflusst jeden Arbeitstag“, sagt der Chef von 730 Mitarbeitern.
Sein Verband ist maßgeblich für die Verbesserung des Hochwasserschutzes (HWS) zuständig. Er weiß um den Frust und den Zorn der Menschen an Urft und Olef im von der Flut so hart getroffenen Schleidener Tal, denen es viel zu lange dauert, bis endlich die Bagger anrollen und sich etwas tut. Doch er wird nicht müde zu erklären, warum das so ist. Dass man beim WVER wahrlich nicht die Füße hochlegt. Warum zu viel Tempo übel sein könnte. Und wo die ganzen Projekte stehen.
Kleine Maßnahmen werden umgesetzt, die großen sind in Vorbereitung
Zahlreiche kleinere Maßnahmen sind in Planung und Umsetzung. Zudem fließen aktuell viel Zeit und Energie in Vermessung, Simulation und Berechnung, welche Maßnahme wie und wo welche Wirkung entfalten kann. Dass von der Bezirksregierung gerade der Planfeststellungsbeschluss eingetrudelt und damit das Hochwasserrückhaltebecken (HRB) Rott an der Vicht genehmigt ist, erfreut Reichert und Gewässerdezernent Dr. Gerd Demny logischerweise.
Alles zum Thema Eifel
- Festival in der Eifel Schräg, bunt und friedlich – So war Teil eins der Zugvögel-Party
- NATO-Aufrüstung Umbau von Flugplatz in der Eifel wird 800 Millionen Euro teurer als geplant
- Nach Insolvenz Neuer Betreiber führt das Krimihotel in Hillesheim weiter
- Vanessa Porter in Köln „Was man sieht, was man riecht, was man hört“
- Mundartfestival „Mir kalle Platt“ Warum Stephan Brings neidisch auf die Eifel ist
- „Open Day Eifel“ Betriebe können sich präsentieren und Fachkräfte für die Region gewinnen
- Zahl der jungen Wölfe unklar Es gibt erneut Nachwuchs im Nordeifeler Wolfsrudel
Mithilfe eines Damms wird dort ein Rückhaltevolumen von 745.000 Kubikmetern Wasser geschaffen. In Kombination mit einem weiteren Rückhaltebecken in Mulartshütte für 394.000 Kubikmeter sollen so Stolberg und das Vichttal geschützt werden. Ende des Jahres sollen die Bagger anrollen, 2028/29 die HRB fertig sein.
Nur die wirksamsten Ideen werden an den Flüssen und Bächen angegangen
Hunderte Ideen sind für den Hochwasserschutz bereits entwickelt worden. „Es ist unmöglich, alle Ideen umzusetzen. Wir müssen uns auf die wirksamsten konzentrieren“, sagt Demny. Da die Ressourcen begrenzt sind, würde es gar keinen Sinn machen, Manpower und Geld in Dinge zu stecken, die nur wenig oder keine Wirkung haben.
Im Kreis Euskirchen gibt es eine weitere Besonderheit: An Urft, Olef und all den anderen Bächen ist der 1993 gegründete WVER nicht für die Gewässerunterhaltung zuständig, im Gegensatz zu den anderen Flüssen in seinem Gebiet. Hier arbeitet man nun in einer Kooperation mit den Kommunen Blankenheim, Dahlem, Hellenthal, Kall, Nettersheim und Schleiden sowie dem Kreis Euskirchen am Hochwasserschutzkonzept. Dies und die seit der Flut deutlich höhere Aufgabenfülle hat für Reichert die nächsten Schritte vorgezeichnet: Dass intensive Gespräche geführt werden, damit die Kommunen die Gewässerunterhaltung an den Verband übertragen.
Auch nennt er das Stichwort Klimawandel: Von den ersten Erkenntnissen bis zur Flutkatastrophe hätte man viel Zeit gehabt, sagt Reichert. Doch die unbedingte Notwendigkeit, sehr viel Geld für Hochwasserschutz in die Hand zu nehmen, sei eben nicht gesehen worden: „Daher müssen wir jetzt Versäumnisse der Vergangenheit aufarbeiten und uns zukunftssicher aufstellen.“
Das Schutzkonzept für Urft und Olef soll 2026 fertig sein
An Urft und Olef laufen die Arbeiten zur Erstellung des Hochwasserschutzkonzepts auf Hochtouren. Gerade die kleinen Nebengewässer bezeichnet Reichert als „Killer in der Katastrophe“, ihnen kommt in der Betrachtung eine entscheidende Rolle zu.
Die Flüsse und Bäche im WVER-Gebiet im Südkreis Euskirchen sind seit 2023 aufwendig vermessen worden, teils aus der Luft, teils mit klassischen Vermessungsteams. Anhand der Daten werden nun bis Ende dieses oder Anfang kommenden Jahresdigitale Zwillinge der Gewässer erstellt. Anhand dieser werden umfangreiche Computer-Simulationen durchgeführt, wie sich ein Damm, ein Becken oder eine andere Schutzmaßnahme bei einem Hochwasser auswirkt – sowohl lokal als auch überregional. Rund 140 Ideen sind erarbeitet worden, die so gecheckt werden, bis im Laufe des kommenden Jahres das Konzept fertig ist und es an Planungen und Umsetzungen geht.
27 potenzielle Standorte der Platißbach-Talsperre werden geprüft
Die Platißbach-Talsperre bei Hellenthal kann unter den vielen Dutzend Maßnahmen wohl als das Königsprojekt im Kreis Euskirchen bezeichnet werden. Und sie fällt in die Kategorie der ganz dicken Bretter, die zu bohren man sich beim WVER laut Reichert nicht scheut. Die Potenziale, bereits im März 2022 beim Startschuss der Vorarbeiten genannt, wiederholen Reichert und Demny: Erhöhung des Hochwasserschutzes, Stärkung des Rurtalsperren-Systems und der Trinkwasserversorgung, Möglichkeiten für die Forstwirtschaft, Optionen für den Tourismus, mögliche Nutzung der Wasserkraft.
Die damals angekündigten zwei bis drei Jahre für die Erstellung der Machbarkeitsstudie sind ins Land gegangen. Sie ist zwar offenbar recht weit gediehen, aber noch nicht fertig und längst nicht spruchreif. Die Arbeiten an der Studie sind in vollem Gange.
Wir machen nicht schnell, schnell, um dann grandios zu scheitern.
27 potenzielle Standorte haben die Experten ermittelt, die ein Stauvolumen zwischen 1,8 und 25,3 Millionen Kubikmetern haben. Nun stehen die Simulationen an, die wasserwirtschaftliche Wirksamkeit wird ermittelt. Dabei werden laut Demny etwa Fragen geklärt, welches Volumen erforderlich ist, ob ein oder mehrere Becken sinnvoller sind, welche Auswirkungen der Bau auf Menschen und Infrastruktur hat, ob und wie die minimiert werden können. Im Laufe des kommenden Jahres soll daraus eine „Vorzugsalternative“ ausgearbeitet sein.
Bis dahin? Schweigen. Bewusst sei man so zugeknöpft, sagt Reichert. Denn: „In der heutigen Zeit wird der Bau einer Talsperre von vielen als kaum durchsetzbar eingeschätzt.“ Und: „Wir machen nicht schnell, schnell, um dann grandios zu scheitern.“ Einen ganz groben Zeitplan gibt er dennoch vor: Bei einer sehr gründlichen Vorarbeit halte er einen Baubeginn in zehn Jahren für realistisch. Eine Bauzeit von drei bis fünf Jahren müsse dann einkalkuliert werden. So dass Reichert zu dem Schluss kommt: „Es ist denkbar, dass die Talsperre in 15 Jahren steht.“
Lokales Prognosesystem soll mit KI im Katastrophenschutz helfen
In acht Projekten ist der WVER im Bereich Forschung und Entwicklung unterwegs. Ein spannendes Projekt, das auch im Kreis eingesetzt werden soll, ist HüProS, ein lokales Hochwasserprognosesystem. 1,7 Millionen Euro steckt das Land NRW rein, damit es im Pilotgebiet an Inde und Vicht bis Ende 2026 auf Herz und Nieren getestet wird.
Hier ist ein Zusammenspiel aus Sensoren, Regenradar, Werten zu Bodenfeuchte und Topografie sowie Künstlicher Intelligenz (KI) am Werk, das ein lernendes System ergibt. Es geht weniger darum, den Bürgern einen Pegelstand zu übermitteln. Vielmehr soll übergeordneten Stellen wie dem Lanuk und vor allem den im Katastrophenschutz tätigen Krisenstäben eine Kurzzeitprognose von bis zu zwei Stunden zur Verfügung gestellt werden. Reichert: „Die Unsicherheit, was in der nächsten Stunde passiert, wird reduziert.“ Und wenn dann vor Ort die entsprechenden Konzepte entwickelt und Vorgehensweisen festgelegt sind – etwa bei notwendigen Evakuierungen – kann eine solches Zeitfenster eine Welt bedeuten.
Reichert ist sehr zuversichtlich, dass das seit 2023 entwickelte System lernt, wie es soll, und das Ziel erreicht wird: Dann wird es im gesamten Verbandsgebiet installiert.
In den Hochwasserschutz werden viele Millionen investiert
Während das Schutzkonzept für die Anrainer von Urft und Olef erst im kommenden Jahr fertig wird, ist man andernorts schon deutlich weiter. In Stadt und Städteregion Aachen sowie den Kreisen Düren und Heinsberg sind für die nächsten fünf Jahre 88 Projekte in Planung und Umsetzung. 127,5 Millionen Euro sind dafür vorgesehen, zahlreiche davon werden zu 80 Prozent aus Landesmitteln gefördert.
Und das ist bei Weitem nicht das Ende der Fahnenstange. Alleine die Rückhaltebecken an der Vicht schlagen mit 31 Millionen Euro zu Buche – gerechnet ist diese Summe jedoch anhand der Preise von 2020, ein ordentliches Plus wird da einkalkuliert. Und alle Projekte an Urft und Olef kommen noch dazu.
Der Wasserverband Eifel-Rur
Rund 2100 Quadratkilometer groß ist das Verbandsgebiet des WVER. Es erstreckt sich über 84 Kilometer von Hellenthal im Süden bis Wassenberg im Norden, über 39 Kilometer von Aachen im Westen bis Düren im Osten. Rund 1,1 Millionen Menschen leben in dem Gebiet und kommen regelmäßig mit der Arbeit der Wasserwirtschaftler in Kontakt.
Die Trinkwasserversorgung sichert der WVER für knapp 500.000 Menschen, indem er Rohwasser zur Verfügung stellt, das von Versorgern wie dem Oleftal-Verband zu Trinkwasser aufbereitet wird. Mithilfe von 43 Kläranlagen wird Abwasser gereinigt, das 2,1 Millionen Einwohnerwerten entspricht – durch die Abwässer der Industrie- und Gewerbebetriebe ist dies eine rechnerische Größe und die Zahl deutlich höher als die der Einwohner.
1900 Kilometer Fließgewässer hat man beim WVER im Blick. Die setzen sich längst nicht nur aus den etwas größeren Flüssen wie Rur, Urft oder Olef zusammen. Genauso gehören all die „Minibäche“ dazu, jene also, die in der Flut 2021 zu reißenden Strömen geworden sind und nun im Zuge des Hochwasserschutzes ganz anders betrachtet werden.
Sechs Talsperren im WVER-Gebiet tragen ihren Teil zum Hochwasserschutz bei. Insgesamt verfügen sie über ein Stauvolumen von 300 Millionen Kubikmetern Wasser. Die mit Abstand größte ist die Rurtalsperre, die mit ihren 200 Millionen Kubikmetern zugleich die zweitgrößte in Deutschland ist. Aktuell kümmert sich der WVER um 53 Hochwasserrückhaltebecken. Derzeit werden zwei neue an der Vicht installiert. Auch an Urft und Olef ist davon auszugehen, dass weitere hinzukommen, wenn das Hochwasserschutzkonzept denn einmal steht, beschlossen ist und umgesetzt wird.
730 Mitarbeiter umfasst das Team des Verbands aktuell. Der Bestand ist, gerade im Bereich der Projektingenieure, seit der Flutkatastrophe deutlich aufgestockt worden, als klar war, wie viel man in Sachen Hochwasserschutz zu planen und zu bauen haben wird. Die Mitarbeiter erwirtschaften eine Bilanzsumme von 740 Millionen Euro. Deutlich nach oben geht die Summe der Investitionen. Lag sie im vergangenen Jahr bei 75 Millionen Euro, geht Dr. Joachim Reichert für dieses Jahr davon aus, die Marke von 90 Millionen Euro zu knacken. Auch in diesem Bereich ist mit Blick auf die anstehenden Maßnahmen kaum davon auszugehen, dass die Zahl einbricht.