268 benötigtKreis Euskirchen braucht mehr Ersthelfer und mehr Defibrillatoren

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Ein Rettungssanitäter präsentiert einen Defibrillator an einer Puppe, die Elektroden-Pads liegen auf dem Torso.

So geht’s: Ein Rettungssanitäter zeigt an einer Puppe, wie die Elektroden des Defis auf die Brust gelegt werden

Defibrillatoren können bei lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen helfen, mit Stromstößen den natürlichen Herzrhythmus wiederherzustellen.

Dr. Jesko Priewe rettet Leben – in der Praxis, seit einem Jahr auch in der Theorie. Der Chefarzt der Zentralen Notaufnahme am Marien-Hospital Euskirchen hat seine Doktorarbeit über den Kreis Euskirchen geschrieben. Er hat sich darin mit den idealen Standorten für Defibrillatoren beschäftigt.

Defibrillatoren, kurz Defis oder AEDs (Automatisierter externer Defibrillator), können bei lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen helfen, mit Stromstößen den natürlichen Herzrhythmus wiederherzustellen. „Und die werden viel häufiger benötigt, als man denkt“, sagt Priewe. Bei einer Reanimation muss zudem mit Muskelkraft „gepumpt“ werden.

App registriert Ersthelfer im Kreis Euskirchen

Man stelle sich vor, dass jeden Tag ein Flugzeug mit etwa 160 Passagieren an Bord über Deutschland abstürze – der Aufschrei wäre gigantisch, so der langjährige Ärztliche Leiter des Rettungsdienstes im Kreis. Dass in Deutschland aber pro Jahr mehr als 60.000 Menschen, also die 160 täglichen „Flugzeugpassagiere“, an einem plötzlichen Herz-Kreislauf-Stillstand sterben, habe kaum jemand auf dem Schirm.

„Wenn wir genug Ersthelfer haben, brauchen sie im Schnitt vier Minuten, bis sie beim Patienten sind“, sagt Priewe. Das sei der Fall, wenn sich im Kreis mindestens 1500 Helfer bei Corhelper registriert haben. Aktuell seien es etwa 860: „Das ist nach zwei Jahren bereits ein unglaublicher Wert.“ Die App Corhelper, die es für jedes Smartphone-Betriebssystem kostenfrei zum Download gibt, spielt in den Überlegungen Priewes eine wichtige Rolle.

19-Jährige rettete Frau, die in ihrer Nachbarschaft kollabiert wart

Denn sie richtet sich nicht an den professionellen Rettungsdienst, sondern an Ersthelfer, die dem Patienten vor dem Eintreffen des Rettungsdienstes helfen. Gesucht werden Menschen von nebenan, die zu Lebensrettern werden. Die einzige Voraussetzung ist ein Erste-Hilfe-Nachweis. Den hat Christin Schwarz. Die 19-Jährige wurde im April 2021 über Corhelper alarmiert und so zur Retterin.

Sie zögerte keine Sekunde und eilte zu einer 52 Jahre alten Frau, die in ihrer Nachbarschaft in Reifferscheid kollabiert war. Nach Angaben von Wolfgang Andres, Pressesprecher des Kreises Euskirchen, gab es seit Februar 2021 etwa 280 Einsätze, bei denen via Smartphone Ersthelfer alarmiert worden sind. Die Zahl verdeutliche, wie wichtig es sei, weiter die Werbetrommel zu rühren, sagt Priewe.

Mit „Defis“ allein ist es nicht getan

Doch mit Ersthelfern allein ist es nicht getan. Genauso seien auch Defibrillatoren allein nicht der Königsweg, wie der Mediziner ausführt. In Köln seien vor 14 Jahren für eine halbe Million Euro zahlreiche Defis angeschafft und aufgehängt worden. „In den 14 Jahren sind zwei Defis lebensrettend zum Einsatz gekommen und mit einem hat man die Scheibe einer Apotheke eingeworfen“, berichtet Priewe.


60 Defibrillatoren

Der Verein „Lebensretter im Kreis Euskirchen“ ist vor etwa einem Jahr von Dr. Jesko Priewe, Michael Gissinger, Barbara Priewe, Eva Klein und Dirk Rose gegründet worden. Er hat sich zum Ziel gesetzt, die Abdeckung mit Defibrillatoren im Kreis Euskirchen zu verbessern. In einem Jahr hat der Verein nach Angaben von Jesko Priewe mehr als 60 Defis angeschafft und installiert. Viele weitere sollen folgen. Dafür will der Verein weiter das Gespräch mit den Kommunen suchen. Auch in Schulen will der Verein für Erste-Hilfe-Kurse und den Umgang mit einem Defi werben – um beispielsweise Lehrer als Multiplikatoren zu gewinnen. (tom) www.lebensretter-eu.de


Daran sehe man, dass man neben der gerätetechnischen Ausstattung vor allem eins brauche – Ersthelfer. „Wir müssen die Menschen aktiv zu den Geräten schicken und ihnen sagen: Benutz’ es“, sagt er. Daraus sei die Idee der Smartphone-basierten Alarmierung über Corhelper entstanden. Der Idealfall sieht nach Angaben des Arztes so aus: Zwei Ersthelfer machen sich auf den Weg zum Patienten, der dritte zum Defi. Der Weg des Ersthelfers zum Patienten sollte nicht länger als vier Minuten dauern, der Weg Ersthelfer-Defi-Patient auch nicht länger als vier Minuten.

Nach vier Minuten sollen Ersthelfer spätestens eintreffen

Insgesamt sollen also nicht mehr als vier Minuten vergehen, bis alle drei Ersthelfer und der Defi beim Patienten sind. Es sei die Kombination, die entscheide. „AED ohne Ersthelfer ergeben keinen Sinn, aber Ersthelfer ohne AEDs ist auch zu kurz gesprungen“, erklärt der Experte. Also schnappte sich Priewe eine Karte des Kreises, analysierte jeden der 313 Orte und schaute sich Straßenzüge an. „Der Defi ist der Ausgangspunkt. Von dort aus beträgt die ideale Wegstrecke zwei Minuten in jede Richtung“, erklärt er.

Da keinem geholfen sei, wenn einfach nur ein Radius um einen Standort gezogen werde, da die Wirklichkeit anders aussehe, analysierte Priewe die Begebenheiten straßenscharf. Und schon war das Thema seiner Doktorarbeit gefunden. Als er sich vor der Flut erstmals mit der Abdeckung des Kreisgebiets mit Defibrillatoren beschäftigt habe, seien es etwa 45 Geräte gewesen. „Mir war klar, dass das zu wenig sind. Aber herauszufinden, wie viele denn sinnvoll wären, war schwierig“, so Priewe.

Anzahl der Defis in Euskirchen hat zugenommen

Der Grund: Es gibt keine Empfehlung, zumindest keine, die sich problemlos auf den Kreis Euskirchen übertragen ließe. Der Europäische Rat für Wiederbelebung gebe die Empfehlung, dass Defibrillatoren an Bahnhöfen und Flughäfen hängen sollten. Aber Bahnhöfe gebe es im Kreis nicht viele und die Dahlemer Binz sei nun auch nicht das Drehkreuz zur Welt. Auch die etwas weiterführende Empfehlung, dass alle zwei Quadratkilometer ein Defi vorhanden sein sollte, sei für einen Flächenkreis „relativ sinnbefreit“.

Mittlerweile ist die Doktorarbeit fertig und die Anzahl an Defis im Kreis Euskirchen hat deutlich zugenommen. Daran hat auch der Verein Lebensretter, dem Priewe vorsitzt, einen großen Anteil. „Wir werden nicht müde, für die gute Sache Werbung zu machen“, sagt er. Den Verein gibt es seit gut einem Jahr. Die Anschaffung von zehn Defis habe man sich als Ziel bis Ende 2022 gesetzt. Das wurde laut Priewe deutlich übertroffen. „65 AEDs haben wir angeschafft und aufgehängt, weitere sind bestellt und in Planung“, so der Chef der „Lebensretter“.

Etwa 2500 Euro kostet ein Defi – inklusive Montage, Wartung und Schild. Vandalismus habe es im Kreis nur in einem Fall gegeben. „Das ist verschwindend gering“, so Priewe, der hofft, dass beispielsweise Firmen, die bisher einen nicht öffentlich zugänglichen Defi haben, diesen außen anzubringen. 268 Defis benötigt man laut Priewe, um das Ziel aus seiner Doktorarbeit zu erreichen. Etwa 100 rund um die Uhr zugängliche AEDs gebe es im Kreis – Tendenz steigend. In Mechernich, Kall oder Arloff sind jüngst AEDs montiert worden. „Natürlich gibt es noch mehr, aber viele sind halt beispielsweise nur während der Öffnungszeiten zugänglich“, sagt Priewe.

Aktuell stehe man sogar mit der Westnetz in Kontakt, um Defibrillatoren an Laternenmasten anbringen zu können. Sobald ein Defi benutzt worden ist, wird er laut Priewe entweder ins Marien-Hospital nach Euskirchen oder ins Kreiskrankenhaus Mechernich gebracht. Dort holt der Verein das Gerät ab, wartet es und hängt es wieder auf. Die Kosten dafür übernehme auch der Verein Lebensretter, der sich laut Priewe über Spenden finanziert. Die wiederum werden für die Wartung der Geräte oder die Defis selbst ausgegeben. „Wir sind auf einem guten Weg – bei Corhelpern und Defibrillatoren. Beide Zahlen sind toll. Aber, weil es eben auf jede Sekunde ankommt, geht da noch was“, sagt Landrat Markus Ramer.

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