KlimaschutzAus dem Kreis Euskirchen kommt viel Kritik am Bund wegen der Wärmeplanung

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Norbert Crump, Rudolf Reetz und Reiner Hehs stehen in der Heizzentrale in Nettersheim.

Klimaneutrale Wärmeversorgung ist in Nettersheim schon seit langem ein Thema: Bürgermeister Norbert Crump (v.l.), Rudolf Reetz und Reiner Hehs zeigen die Heizzentrale. Doch die Kapazitäten der Energiegewinnung aus Holz sind begrenzt. Neue Ideen sind gefragt.

Viele Kommunen im Kreis Euskirchen fühlen sich von der Bundesregierung im Stich gelassen. Vieles klingt gut, entpuppt sich aber als Ärgernis.

Das macht man nicht so mal eben nebenbei: Bis Mitte 2028 sollen die Städte und Gemeinden erklären, wie sie die Wärmewende hin zur Klimaneutralität hinbekommen wollen. So will es der Bund. Die elf Städte und Gemeinden im Kreis Euskirchen sind unterschiedlich weit. Bei einer Umfrage der Redaktion halten die Verantwortlichen mit Kritik nicht hinter dem Berg.

Frist bis Mitte 2028! Das klingt nach viel Zeit. Doch sobald der Bund die Förderung bewilligt hat, muss es doch schnell gehen. Befragt nach dem Zeitplan, heißt es etwa aus dem Rathaus Hellenthal: „Gesetzlich bis zum 30. Juni 2028, laut Förderbescheid bis zum 30. November 2024.“ Und dann? „Die gesetzliche Frist kann eingehalten werden. Die Frist laut Förderbescheid kann vermutlich nicht eingehalten werden.“ Es werde über eine Verlängerung des Förderzeitraums nachgedacht.

Der Bund beschließt und wir müssen schauen, wie wir es vor Ort lösen.
Jennifer Meuren, Bürgermeisterin von Blankenheim

Die Weilerswister Bürgermeisterin Anna-Katharina Horst geht gar von einer Verschiebung aus. Zu viel sei noch unklar.

Schön auch, dass die Kosten für die Planungen vollständig vom Bund übernommen werden. Doch die Stunden, die die Beschäftigten in den Rathäusern dafür aufwenden, die Daten zu liefern und den Prozess zu begleiten, sind nicht enthalten. Zeit, in der sie nicht für andere Aufgaben zur Verfügung stehen. Eine halbe Stelle mache das aus, so Anne Horst.

Vorwurf: Regierung macht den Bürgern falsche Hoffnungen

„Mehr Praxis, weniger Theorie“ hätte sich der Mechernicher Stadtplaner Thomas Schiefer bei der Aufgabenstellung durch den Bund gewünscht. „In den Zeiträumen, in denen wir planen, werden wir zudem meistens von den Realitäten überholt. Die Entwicklung geht so rapide voran – von Wärmepumpen bis zu Nahwärmesystemen für Neubaugebiete –, dass man gar nicht weiß, was in zwei Jahren aktuell ist“, stellt er zudem die Frage nach der Nachhaltigkeit solcher Planungen.

Unterdessen klingeln in den Rathäusern vermehrt die Telefone. Menschen, deren Heizung den Geist aufgegeben hat, wollen wissen, was sie denn nun tun sollen. „Dann müssen wir sagen: ,Tut uns leid. Wir machen erstmal eine Bestandsanalyse anhand von Daten'“, so Schiefer.

Von unerfüllbaren Erwartungen berichtet auch die Blankenheimer Bürgermeisterin Jennifer Meuren: Der Begriff „Kommunale Wärmeplanung“ suggeriere, „dass wir für jeden Einzelnen Lösungen erarbeiten“, schreibt Meuren: „Der Bund beschließt und wir müssen schauen, wie wir es vor Ort lösen, und erfahren Unzufriedenheit der Bürger:innen.“

Hier ein Blick in die Kommunen im Kreis:

Herausforderung für Bad Münstereifel

Bad Münstereifel: Für die Kurstadt sei die Wärmeplanung eine besondere Herausforderung, heißt es im Rathaus. Aufträge wurden noch nicht vergeben. Ende April habe das Klimaschutzministerium die vollständige Förderung zugesagt. Was die Planung kostet, sei noch unklar. Auch, wann die Stadt das vollständige Werk vorlegen kann.

Blankenheim: Wärmenetze kaum realisierbar 

Blankenheim: Dass in der Eifel vergleichsweise wenige Menschen auf einer großen Fläche leben, mache es nicht einfach, stellt Bürgermeisterin Jennifer Meuren fest. Großabnehmer wie Krankenhäuser oder Schulen seien dort eher selten. Das mache eine Wärmeplanung „kaum realisierbar“. Für die Bürgerinnen und Bürger seien das unwirtschaftliche Rahmenbedingungen. „Von daher werden Wärmenetze, zentrale Lösungen, eher schwieriger zu realisieren sein“, so Meuren: „Das ist sehr schade.“ Denn die Hoffnungen der Menschen würden so enttäuscht.

Zudem seien Holzöfen in der Eifel noch sehr beliebt. „Personelle Unterstützung, auch um Know-how in Verwaltungen aufzubauen, erfahren wir nicht“, kritisiert Meuren das Land und den Bund. Die Wärmeplanung für Blankenheim koste 74.517,80 Euro.

Dahlem will eigene Ressourcen nutzen

Dahlem: „Angesicht der umfangreichen eigenen Ressourcen wie Holz und regenerativer Strom werden diese Energieformen eine Rolle einnehmen“, sagt Dahlems Bürgermeister Jan Lembach. Für den historischen Ort Kronenburg sei es eine besondere Herausforderung, ohne karbonisierte Wärmequellen auszukommen.

2025 will die kleinste Kommune im Kreis die Wärmeplanung vorlegen. Kosten: rund 75.000 Euro.

Euskirchen sieht sich auf gutem Weg

Euskirchen: 70.000 Euro kostet die Maßnahme in der Kreisstadt. „Die Wärmeplanung in der Stadt Euskirchen läuft bereits seit einiger Zeit“, teilt Stadtsprecher Tim Nolden mit. Ziel sei es, sie bis Ende des Jahres abzuschließen.

Bei der derzeit stattfindenden Bestands- und Potenzialanalyse werden laut Nolden Daten beispielsweise über den Energieverbrauch, den Gebäudebestand oder die Heizungsart aus öffentlichen Quellen oder von Infrastrukturbetreibern oder Schornsteinfegern in einen digitalen Zwilling überführt. Diese Daten dienen auch der Erstellung einer THG (Treibhausgas)-Bilanz für die Stadt.

Außerdem sei die Informationsplattform für Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen (euskirchen.deine-waermewende.de) online gegangen. „In Kürze binden wir hier auch einzelne Informationen aus dem digitalen Zwilling ein, sodass die Menschen die Fortschritte bei der Wärmewende der Stadt direkt mitverfolgen können.“

Euskirchen verfüge sowohl über städtische als auch dörfliche Bereiche – das erfordere verschiedene Lösungen. „Zugute kommt uns sicherlich die Tatsache, dass wir eine vielfältige Wirtschaftsstruktur haben. Es gibt Industrie, aber auch Landwirtschaft. Daraus können sich Energiepotenziale ergeben, zum Beispiel in Form von industrieller Abwärme, Flächen für Erneuerbare oder die Biomasseerzeugung. Was auch wirtschaftlich umsetzbar ist, muss sich zeigen“, so Nolden.

Kall setzt auf Technologieoffenheit

Kall: „Technologieoffen“ will die Gemeinde Kall laut Bürgermeister Hermann-Josef Esser vorgehen. Im Rahmen der Wärmeplanung werde keine Wärmequelle prioritär betrachtet. „Als ländliche Kommune mit großen privaten und gemeindeeigenen Forstflächen sowie zahlreichen landwirtschaftlichen Betrieben werden wir sicherlich auch das Potenzial der Biomasse in den Blick nehmen“, so Esser.

„Im Kernort Kall“, so Esser, „lebt rund die Hälfte der Bevölkerung der Gemeinde. Aufgrund dessen, und wegen der teilweise dichten Bebauungsstruktur, wird hier zu prüfen sein, ob Wärmenetze wirtschaftlich betrieben werden können.“ Hier werde die Verwaltung versuchen, größere Einrichtungen als Partner zu gewinnen. Esser setzt auf die Zusammenarbeit mit anderen Kommunen – im Hinblick auf die Bereitstellung und/oder Produktion von Wärme.

Rund 90.000 Euro kostet die Wärmeplanung für Kall. Die Zusammenarbeit mit Land und Bund laufe derzeit gut, so Esser. Er macht aber auch deutlich, dass erst nach der Wärmeplanung die eigentliche Arbeit anstehe. Wichtig sei, dass bei der Umsetzung der Wärmeplanung eine Planbarkeit hergestellt werde „durch durchdachte, realistische und verlässliche Vorgaben und Rahmenbedingungen“.

Hellenthal: Herausforderung durch Zersiedelung

Hellenthal: 75.000 Euro kostet die Wärmeplanung in Hellenthal. Sie erst könne aufzeigen, wie die künftige Wärmeversorgung aussehen könnte. „Die Gemeinde Hellenthal ist sehr zersiedelt“, heißt es in der Antwort aus dem Rathaus. Eine Wärmenetzinfrastruktur bestehe nur im Allgemeinen Siedlungsbereich Hellenthal, Blumenthal und Kammerwald. Die Unterstützung von Bund und Land sei verbesserungswürdig. „Notwendige Plattformen funktionieren bis heute nicht“, kritisiert die Hellenthaler Verwaltung.

Mechernich fehlen Leitungsnetze

Mechernich: „Wir sind relativ schnell in das Thema eingestiegen“, erklärt Stadtplaner Thomas Schiefer. 140.000 Euro koste die Wärmeplanung. „Wir haben keine Leitungsnetze, die heute schon bis in den letzten Winkel des Stadtgebietes gehen“, nennt Schiefer eine der Herausforderungen.

Wir haben keine Leitungsnetze, die heute schon bis in den letzten Winkel des Stadtgebietes gehen.
Thomas Schiefer, Stadtplaner der Stadt Mechernich

Hauptquelle sei gegenwärtig Gas. Wird man durch diese Leitungen später einmal Wasserstoff leiten können – und das bis in die abgelegenen Dörfer? „Es weiß noch keiner so genau, wo es hingehen wird mit der künftigen Versorgung“, sagt Schiefer.

Nettersheim sieht sich als Vorreiter

Nettersheim: Bürgermeister Norbert Crump sieht seine Gemeinde als Vorreiter. Schon lange versorgt der Eigenbetrieb Bioenergie zwei Netze in Nettersheim sowie jeweils eines in Marmagen und Zingsheim klimaneutral mit Energie aus Holz. Dennoch ist eine Neuausrichtung nötig. „Mit der Wärme aus Holz stoßen wir an Kapazitätsgrenzen“, sagt Crump. Die rund 70.000 Euro teure Wärmeplanung soll Ende des Jahres vorliegen.

Schleiden will alle Akteure mitnehmen

Schleiden: Die Wärmeplanung wurde jetzt vom Stadtrat in Auftrag gegeben. „Der Zuwendungsbescheid beläuft sich auf rund 107.000 Euro“, erklärt Bürgermeister Ingo Pfennings. „Wenn man einen Wandel wirklich will, ist es wichtig, alle Akteure auf diesem Weg mitzunehmen. Nur so können Ziele erreicht werden, ohne auf allen Seiten Reibungsverluste, Unmut und schlimmstenfalls Widerstand zu produzieren.“ Es sei ein Grundbedürfnis der Bevölkerung zu wissen, wo die Wärme künftig herkomme.

Weilerswist sieht ein Risiko

Weilerswist: „Mir ist es wichtig, dass die Eigentümer von Wohnhäusern und die ortsansässigen Betriebsstätten so früh wie möglich Planungssicherheit zu der verfügbaren lokalen Wärmeversorgung erhalten“, erklärt Bürgermeisterin Anna-Katharina Horst. Der Auftrag wurde noch nicht vergeben, obwohl der Bund die Mittel zugesagt habe.

„Doch kurz bevor die Ausschreibung veröffentlicht werden sollte, erreichten uns aus dem Netzwerk benachbarter Kommunen und des Städte- und Gemeindebundes NRW offene Fragen, die geklärt sein müssen, bevor wir die Wärmeplanung ausschreiben“, erklärt Anne Horst: „Auf Bundesebene wird erwogen, dass die versandten Förderbescheide zurückgefordert werden könnten. Das finanzielle Risiko liegt für die Gemeinde Weilerswist bei 100.000 Euro.“

Ein Sprecher von Bundeswirtschaft- und Klimaschutzminister Robert Habeck teilte dazu auf Anfrage schriftlich mit: „Bisher (Stand 03.05.2024) gab es nur einen einzigen Widerruf im Förderschwerpunkt Wärmeplanung. Dieser Widerruf ist im Einvernehmen mit dem Antragsteller erfolgt; dieselbe Kommune hatte später einen neuen Antrag im gleichen Förderschwerpunkt gestellt.“ Wie dem auch sei: Weilerswist werde bis 30. Juni 2028 eine Planung vorlegen, erklärte die Bürgermeisterin.

Zülpich: Papierfabriken sind wichtige Akteure

Zülpich: 107.519 Euro dürfte die Wärmeplanung in der Römerstadt kosten. „Die über die Kommunen laufende Datenbeschaffung ist allerdings sehr aufwendig für die Verwaltungen“, so Pressesprecher Torsten Beulen.

Derzeit befinde sich die Stadt in der Bestandsaufnahme und -analyse. Dann erst könne untersucht werden, auf welche Wärmequellen die Stadt zurückgreifen könne: „Die beiden in Zülpich vorhandenen Papierfabriken mit ihrem großen Energiebedarf sind wichtige Akteure bei der Wärmeplanung.“


Wärmewende: Bei der e-regio laufen die Fäden zusammen

Zwei der elf Kommunen im Kreis Euskirchen haben die Wärmeplanung noch nicht vergeben. Die übrigen neun lassen sie von der e-regio vornehmen. Das sind Blankenheim, Dahlem, Euskirchen, Schleiden, Hellenthal, Kall, Mechernich, Nettersheim und Zülpich. Grundsätzlich wäre die e-regio bereit, auch für Bad Münstereifel und Weilerswist die Aufgaben zu übernehmen, so Sprecherin Ilona Schäfer.

Der e-regio komme zugute, dass sie die Region, ihre Besonderheiten und ihre Energieinfrastruktur sehr gut kenne. „Je enger die Kommunen, im Übrigen auch über Kreisgrenzen hinaus, zusammenarbeiten, desto besser können sie Synergien nutzen, voneinander lernen und sogar gemeinsame Projekte, wie zum Beispiel ein Wärmenetz, realisieren.“

Das mache die Wärmewende einfacher. Die Zusammenarbeit über die kommunalen Grenzen hinweg dürfe nicht davon abhängen, mit welchem Dienstleister man die Wärmeplanung mache. „So gibt es jederzeit die Möglichkeit, Maßnahmen aus der Wärmeplanung, aber auch andere Themen der Energiewende, koordiniert anzugehen, zusammenzuarbeiten und Synergien zu nutzen“, erklärte Schäfer. 

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