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Mittelstands-Demo in BitburgHubert Aiwanger sprach den Eifeler Bauern aus der Seele

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Traktoren, ein Pritschenwagen und ein Pkw schwebten während einer Kundgebung an Kranauslegern.

„Der Mittelstand hängt am seidenen Faden“: Traktoren, ein Pritschenwagen (nicht im Bild) und ein Pkw schwebten am Rande des Kundgebungsgeländes an Kranauslegern.

Auch Teilnehmer aus dem Kreis Euskirchen fuhren am Samstag im Konvoi zu einer Mittelstands-Kundgebung mit 1600 Teilnehmern nach Bitburg.

War das Zufall, war es Absicht? Darüber ließ sich unter den Besucherinnen und Besuchern trefflich streiten. Nach Vertretern etwa der CDU war jetzt Hubert Aiwanger, Bundesvorsitzender der Freien Wähler, als Hauptredner einer Kundgebung für den Mittelstand gebucht. Seine Partei tagte am gleichen Tag in der Bitburger Stadthalle. „Jedenfalls haben die Freien Wähler die Chance gewittert und sie genutzt“, so Veranstalter Markus Schicklat, Unternehmensberater aus Seffern bei Bitburg, zum Auftritt des bayerischen Wirtschaftsministers und stellvertretenden Ministerpräsidenten.

Rund 1600 Teilnehmer waren am Samstagabend nach Bitburg zur nächsten Großdemonstration gegen die Politik der Bundesregierung gekommen – nicht mehr nur Landwirte, sondern auch Vertreter des gesamten Mittelstands. Einen ganzen Forderungskatalog für verschiedenste Interessengruppen hatte die Initiative „Mittelstand macht mobil“ dazu aufgestellt. Hauptredner war Hubert Aiwanger, Bundesvorsitzender der Freien Wähler. Die Partei hielt in der Bierbrauerstadt in der Südeifel ihren Bundesparteitag zur Europawahl ab.

Auch Teilnehmer aus dem Kreis Euskirchen in Bitburg

Man biete schlicht jedem Politiker – vornehmlich aus der Opposition, aber nicht der AfD – die Chance, zu den Demonstranten zu reden, unterstrich Dieter Michels, Landwirt aus Birgel an der Oberen Kyll. Michels ist einer der Mitorganisatoren von Sternfahrten zu Mahnfeuern und Demonstrationen der Bauern aus dem Südkreis Euskirchen. Und auch sein Berufskollege Klaus Bender aus Rohr sah das ähnlich: „Wir sind froh über jeden Politiker, der uns hören will!“

Aus vielen rheinland-pfälzischen sowie den angrenzenden nordrhein-westfälischen Landkreisen waren die Besucher der Kundgebung nach Bitburg gekommen. Rund die Hälfte waren Landwirte, die teils in Traktor-Konvois angereist waren, darunter geschätzt 40 Bauern aus dem Kreis Euskirchen.

Michels, Bender und ihre Kollegen sind dabei mit ihrem Protest schon lange nicht mehr allein: „Das hat sich enorm ausgeweitet“, hat Uli Heinrichs, landwirtschaftlicher Betriebshelfer aus Dreis-Brück bei Daun, beobachtet: „Nicht nur Bauern, auch Dienstleister und etwa Gerüstbauer, Landschaftsgärtner, Spediteure, Handwerker oder Vertreter der Pflegeberufe sind gekommen.“

Vertreter verschiedener Branchen kamen in Bitburg zu Wort

So war die Bitburger Demonstration – wie angekündigt und beabsichtigt – eine des gesellschaftlichen Mittelstands, was sich auch bei der Rednerliste zeigte, auf der etwa ein Vertreter des Hotel- und Gaststättenverbandes, Rednerinnen aus dem Pflegebereich oder ein in der Landwirtschaftsszene bekannter Internetblogger standen.

Um die Bandbreite der vertretenen Interessengruppen wie der Ziele der Veranstaltung zu verdeutlichen, stand eine besondere Hub-Aktion zu Beginn des Redemarathons: Ein Traktor, ein Pritschenwagen und ein Pkw schwebten in luftiger Höhe an Kranauslegern am Haken. „Der Mittelstand hängt am seidenen Faden“, war dazu auf einem Schild zu lesen.

Zum Publikum sprach zunächst Thomas Gräf, Landwirt aus Elsig, in seiner Funktion als Vertreter der von ihm mitgegründeten Berufsstandvertretung „Land sichert Versorgung“ (LsV). Gräf und die weiteren Redner kritisierten scharf die Politik der „Ampel-Regierung“ aus SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen. Gräf bezeichnete sie aus Sicht seines Berufsstands als „desolat“. Was dazu führe, „dass die Landwirte in Deutschland schlicht vor die Hunde gehen.“ Von den Zuhörern bekam er für seine Meinung anerkennenden Beifall.

Freie Wähler nutzten die Bühne, die ihnen in Bitburg geboten wurde

Doch Gräf weiß, dass es nicht nur auf den Beifall der rund 1600 Menschen vor ihm ankam: Über verschiedene Live-Streams in den Sozialen Netzwerken hörten ihm ungleich mehr zu. Alleine auf dem Video-Kanal des Bloggers Tibor Schady, der ebenfalls in Bitburg sprach, waren es mehr als 51.000 Follower, die erreicht wurden und bis zum Veranstaltungsende alleine rund 4000 Kommentare abgegeben hatten.

Zwei Vertreterinnen der Pflegeberufe, ein Mitglied einer Fluthelferorganisation im Ahrtal und auch der bekannte Landwirt Markus Wipperfürth aus Pulheim folgten im Laufe des Abends auf dem Podium.

Hier sind die Vernünftigen, die Anständigen, die, die arbeiten und abends noch ins Ehrenamt gehen.
Hubert Aiwanger, Bundesvorsitzender der Freien Wähler, bei seiner Rede in Bitburg

Dann begann der Freie-Wähler-Block der Veranstaltung zunächst mit Dr. Joachim Streit, von 2009 bis 2021 Landrat des Kreises Bitburg-Prüm, der in seiner Heimatstadt am gleichen Tag auf dem Bundesparteitag seiner Partei zu einem der fünf Stellvertreter von Hubert Aiwanger gewählt worden war.

Die Eifel sei „der Landstrich mit den niedrigsten Renten“, kritisierte Streit die Politik der Bundesregierung. Er forderte, die Rente sowie einen Zuverdienst von bis zu 2000 Euro steuerfrei zu stellen.

Hubert Aiwanger: „Die Bauern und der Mittelstand sind unsere Kernklientel!“

Hubert Aiwanger nahm sich danach 30 Minuten Zeit für eine Generalabrechnung vor allem mit der Finanz- und Wirtschaftspolitik der Bundesregierung. Den Namen seiner Partei als Wahlempfehlung zur Europawahl erwähnte er dabei nicht. Indirekt wurde er deutlicher: „Haltet mit diesen Demonstrationen durch bis zum Herbst 2025, macht weiter, hört nicht auf.“ Gemeint war die dann anstehende Bundestagswahl. Dann könne man „die mit dem gesunden Menschenverstand“ wählen. Genauer wurde er nicht. Allerdings hatte Aiwanger vor seiner Rede auf Nachfrage klargestellt: „Die Bauern und der Mittelstand sind unsere Kernklientel!“

„Hier sind die Vernünftigen, die Anständigen, die, die arbeiten und abends noch ins Ehrenamt gehen“, umwarb Aiwanger sein Publikum. Als zentrale programmatische Forderungen benannte er etwa den Bürokratieabbau, die Sicherung der Grenzen vor „illegalen Asylbewerbern“, Änderungen beim Bürgergeld und natürlich die Beibehaltung der Agrarsubventionen. Daran ist Aiwanger als Landwirt auch selbst interessiert.

Nationalhymne und ein Abgesang auf die Ampel

Immer, wenn er sich zum Thema Landwirtschaft äußerte, wirkte Aiwanger besonders glaubwürdig und bekam auch den stärksten Beifall inklusive eines kräftigen Hupkonzerts der Kollegen auf ihren Traktoren, die am Platzrand geparkt waren. So zum Beispiel, als sich Aiwanger gegen die geplante Tierwohl-Abgabe aussprach und stattdessen einmal mehr mit Blick auf die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung forderte: „Lasst die Leute in Ruhe arbeiten!“

Vorgezogen wurde nach Aiwangers Rede das gemeinschaftliche Absingen der Nationalhymne – Deutschlandfahnen waren vorab im Publikum verteilt worden – und ein ironisches „Time to say Goodbye“ zum Abbrennen roter und gelber Bengalos, was als Abgesang auf die „Ampel-Regierung“ zu verstehen war.

Der Bundesparteitag seiner Freien Wähler und die Großdemonstration seien von „bis zu zwei Hundertschaften“ der Polizei geschützt worden, hatte der Bitburger Joachim Streit zuvor versucht, Spannung bei den Kundgebungsbesuchenden aufzubauen. Bei dieser Aussage lag er jedoch falsch: Die Polizei bestätigte auf Anfrage, dass „in der Spitze“ 50 Beamte im Einsatz gewesen seien. Denn eine angemeldete Gegendemonstration der Antifa-Bewegung hatte nur 25 Teilnehmende.

In Bitburg blieb es so den ganzen Tag und bis in die Nacht schlicht und ergreifend friedlich.

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