Kritik an LockerungenEuskirchener Senioren sorgen sich vor Besuchern und Ansteckung

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In den Seniorenheimen werden die Vorbereitungen auf die ersten Besuche nach vielen Wochen getroffen.

In den Seniorenheimen werden die Vorbereitungen auf die ersten Besuche nach vielen Wochen getroffen.

  • Die Maßnahmen gegen das Coronavirus in NRW werden schrittweise gelockert.
  • So dürfen unter gewissen Bedingungen Menschen in Seniorenheimen wieder besucht werden.
  • Doch in Euskirchen wollen Bewohner eines Stifts gar keinen Besuch bekommen – die Ansteckungsgefahr sei noch zu groß.
  • Auch der Kreis kritisiert die raschen Lockerungen der Maßnahmen durch das Land.

Kreis Euskirchen – Das Schreiben von Karola dos Santos Ramos lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. „Warum? Warum jetzt in dieser nach wie vor gefährlichen Zeit Besuche? Warum?“, schreibt die Leiterin des Senioren-Pflegeheim Casa in Silva in Kalenberg eindringlich an die Angehörigen der Bewohner.

Ab Sonntag dürfen wieder Besuche in den Senioren- und Pflegeheimen stattfinden – in niedriger Zahl und unter strengen Schutzmaßnahmen. Natürlich freuen sich viele, endlich wieder ihre Lieben zu sehen. Doch es gibt auch Bedenken bei Heimleitungen, Bewohnern und Angehörigen. Ihre Sorge: Was, wenn Besucher das Virus ins Haus bringen? Reichen die Schutzmaßnahmen? Wie gehen Demenzkranke damit um?

Petition gegen die Lockerung der Corona-Maßnahmen in Pflegeheim

Ihre Aufgabe sei es, so schreibt Karola dos Santos, die 53 Bewohner und 60 Mitarbeiter im Hause vor einer Corona-Infektion zu schützen. Erst kürzlich seien alle Bewohner und Mitarbeiter negativ getestet worden, sagt sie im Gespräch mit dieser Zeitung. Doch vor Sonntag ist Karola dos Santos Ramos angst und bange: „Das Virus ist doch noch immer aktiv.“ Durch die bereits vollzogenen Lockerungen steige die Gefahr zusätzlich. „Ich sag es mal ganz platt“, so Karola dos Santos Ramos: „Diese Woche gehen alle zum Friseur, lassen sich für Muttertag schön machen und strömen dann in die Altenheime.“ Sie wisse natürlich um den Seelenschmerz. Doch schlimmer wäre es, wenn Mitarbeiter infiziert würden und damit die Versorgung der alten Menschen nicht mehr gewährleistet wäre – und noch schlimmer: Wenn Menschen am Virus sterben würden.

Viele Angehörige hätten positiv auf ihr Schreiben reagiert, sagt Karola dos Santos Ramos. Auch viele Bewohner hätten erklärt, aus Angst vor Ansteckung lieber auf einen Besuch zu verzichten – so schwer das nach dem langen Besuchsverbot auch falle. Derartige Aussagen hat Manuela Regh, Leiterin der Senioren- und Betreuungseinrichtung Haus Agnes Bertram in Mechernich-Berg mit 96 Bewohnern, zwar noch nicht gehört. Doch auch sie äußert Bedenken. Vom Erlass des Landes fühlt sie sich überrumpelt. Schutzmaterialien müssten rasch besorgt werden und ein Raum so gestaltet werden, dass Bewohner und Besucher durch eine Scheibe getrennt werden – um nur einige der Aufgaben zu nennen.

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Regh hatte bereits vor dem Besuchsverbot des Landes einen Besuchsstopp verfügt. „Das haben die Angehörigen sehr positiv aufgenommen“, erzählt sie. Vor allem, nachdem die Politik die Besuche untersagt habe, hätten sich Angehörige bedankt, dass die Leitung vorausschauend gehandelt habe. Eine solche Ansage bewahre die Verwandten der alten Menschen auch vor Gewissenskonflikten, hatte Regh damals gesagt.

Freude und Sorge zum Muttertag

Denn die Entscheidung, auf einen Besuch zu verzichten und Vater oder Mutter zu kränken oder mit einem Besuch die Ansteckung des geliebten Menschen zu riskieren, sei keine leichte. Für moralische Vorhaltungen eignet sich das Thema wahrlich nicht.

„Viele Bewohner freuen sich jetzt auf Sonntag“, sagt Regh, „doch für Menschen, die kognitiv eingeschränkt sind, wird es schwer sein, zu verstehen, dass sie von ihrem Besuchern durch eine Scheibe getrennt sind.“ Bei Manuela Regh hatten sich bis Freitagmittag vier Besucher für Muttertag angemeldet, für die darauffolgenden Tage nehme die Zahl etwas zu. Karola dos Santos Ramos hat sechs Anmeldungen erhalten.

„Eine Frau berichtete mir unter Tränen, dass sie ihren dement-kranken Mann nicht besuchen wolle, weil er mit einem Besuch unter diesen Voraussetzungen gar nicht zurechtkäme“, erzählt eine Mitarbeiterin aus einer Pflegeeinrichtung im Kreis. Die Frau habe ihr gesagt: „Wenn wir nicht wie sonst Hand in Hand spazieren gehen können, wird mein Mann nicht verstehen, warum das so ist.“ Womöglich sei ein Besuch unter diesen Umständen verstörender als kein Besuch.

Auch die Heimaufsicht des Kreises Euskirchen ist wenig glücklich über das Vorgaben des Landes. Am Mittwoch sei der entsprechende Ministerbrief gekommen, am Donnerstag dann eine Verordnung, die in Detailfragen von dem Ministerbrief abwich. „Viele Einrichtungen haben auf die Schnelle entsprechende Konzepte erarbeitet und der Heimaufsicht zur Verfügung gestellt“, lobt Andres deren Kreativität. Größere Einrichtungen nutzten den vorhandenen Außenbereich, kleinere Häuser ermöglichten „Fensterbesuche“.

Eine Einrichtung habe kurzfristig ein Garten- beziehungsweise Blockhaus zur Begegnungsstätte umfunktioniert – unter Einhaltung der hygienischen Vorschriften natürlich, so Andres: „Wir helfen, wo wir helfen können, aber letztlich müssen die Maßnahmen von den Heimen vor Ort umgesetzt werden. Dies ist in vielen Fällen nur durch einen gewaltigen Kraftakt möglich“, so Andres. Dem können die Leitungen der Einrichtungen wohl zustimmen.

Karola dos Santos Ramos beendet ihr Schreiben an die Angehörigen mit den Worten: „Sie können sich nach wie vor täglich von 11 bis 12 und von 17 bis 18 Uhr mit Ihren Lieben austauschen.“ Und dann fügt sie noch hinzu: „Bleiben Sie alle gesund!!!“

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