„Dritte Orte“ heißt ein NRW-Programm, bei dem aus dem Kreis Euskirchen zwei Orte mitmachen. Ministerin Ina Brandes hofft auf weitere Bewerbungen.
Dodo-Treff begeistertMinisterin in Firmenich – Programm soll Narben im Ortsbild tilgen

Anhand einer Bildergalerie über die Baumaßnahmen überzeugte sich Kulturministerin Ina Brandes von der geleisteten ehrenamtlichen Arbeit. MdL Klaus Voussem (v.l.), Dodo-Geschäftsführer Tobias Heidemann und Vereinskartellvorsitzender Jens Breuer freuten sich über ihren Besuch.
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Ihre zwei Besuche in Nettersheim haben bei Ina Brandes bleibende Eindrücke hinterlassen. Vor allem an das „südlichste Kino in Nordrhein-Westfalen“ erinnerte die Landesministerin für Wissenschaft und Kultur im Redaktionsgespräch mit dieser Zeitung.
Dieses ist ein Bestandteil des „Haus der Kultur(en)“, das in der Eifelgemeinde aus dem Landesprogramm „Dritte Orte“ hervorgegangen ist. Am Samstag nun, am „Tag der Dritten Orte“, besuchte die CDU-Politikerin den Dodo -Treff in Firmenich-Obergartzem und damit den weiteren Dritten Ort im Kreis Euskirchen (siehe „Wow: Kulturministerin Brandes zeigte sich vom Dodo-Treff begeistert“).
„Dritter Ort“: Bezeichnung geht auf Soziologen zurück
Dort zeigte sich die Ministerin nicht minder begeistert. Schon der Name gefalle ihr, sagte sie im Vorfeld. Dodo steht für „Doppeldorf“, also für Firmenich und Obergartzem. Viel mehr Zusammengehörigkeitsgefühl geht kaum.
Wobei die Bezeichnung „Dritter Ort“ zunächst Fragen aufwirft, die Erklärung dafür dann aber ziemlich einleuchtend erscheint. Sie geht auf den Soziologen Ray Oldenburg zurück, der in den 1980er-Jahren das Zuhause als ersten, die Arbeit als zweiten und die Einrichtungen des gesellschaftlichen Zusammenlebens eben als dritten Ort im Leben ausmachte. Letztere jedoch haben angesichts des gesellschaftlichen Wandels gelitten, wie Ina Brandes erläuterte: „Der leerstehende Dorfladen, die aufgegebene Eckkneipe oder die nicht mehr genutzte Kirche sind zu Narben im Ortsbild geworden.“
Kulturelle Angebote im Ort gehören zur Lebensqualität
Das Dritte-Orte-Programm führe diese ungenutzten Gebäude mit Menschen zusammen, die das Potenzial erkennen, kluge Ideen haben und diese Orte mit viel Leidenschaft und ehrenamtlichem Engagement durch ein kulturelles Angebot neu beleben, so die Ministerin.
Es gehöre zur Lebensqualität, dass es vor Ort ein kulturelles Angebot gebe, das auch ohne Auto erreichbar sei: „Das ist insbesondere für Familien mit kleinen Kindern und ältere Menschen, die nicht mehr so mobil sind oder sein wollen, wichtig.“
So war es auch im Doppeldorf. Auch hier waren der Dodo-Treff und die mit ihm verbundene Gründung des Dodo-Bürger- und Kulturvereins aus der Not entstanden, nachdem 2018 auch in der letzten von ursprünglich fünf Gaststätten der Zapfhahn für immer versiegt war. Private Treffen und das Ausweichen in umliegende Orte vermochten diese Begegnungsstätten nicht zu ersetzen, mussten die Einwohner schnell feststellen.
DoDo-Treff ist einer von 45 „Dritten Orten“ in NRW
Abfinden wollten sie sich damit aber nicht – schon gar nicht der Obergartzemer Hans-Josef Wolf. „Er ist der Gründungsvater des Vereins“, sagt sein Vorstandskollege Tobias Heidemann. Ihr Anliegen passte wie die Faust aufs Auge in das Landesprogramm, das 2019 gestartet wurde. Inzwischen gibt es 45 Dritte Orte in Nordrhein-Westfalen.
„Ein Erfolgsmodell“, wie Ina Brandes sagt, ohne sich des Eigenlobs verdächtig zu machen. 2019 war noch ihre Vorgängerin Isabel Pfeiffer-Poensgen im Amt. Die Mechernicher erhielten 450.000 Euro über drei Jahre verteilt, dazu noch drei Jahre lang Zuschüsse, um den Betrieb am Laufen zu halten.
Jury schaut sich Bewerbungen für Förderprogramm genau an
„Als Kulturministerium achten wir besonders darauf, dass es ein ansprechendes kulturelles Angebot gibt“, erklärt Ministerin Brandes. Weitere Kriterien für die Jury seien ein gastronomisches Angebot, gute Erreichbarkeit sowie zeitgemäße Technik. Mit Argusaugen achten die Juroren auch darauf, dass durch die Dritten Orte anderen Unternehmen keine Konkurrenz entsteht: „Bevor es ein Antrag in die Jury schafft, schauen sich zum Beispiel Vertreter von ‚pro loco‘ das Projekt vor Ort an“, beschreibt Brandes eine der Aufgaben des Projektbüros: „Wir wollen den ländlichen Raum stärken, nicht schwächen.“ Gaststätten außerhalb des Konkurrenzradius könnten sogar als Caterer des Dritten Ortes profitieren.
Ein Dritter Ort muss es aushalten, dass jemand wegzieht, sich um die kranke Mutter kümmert oder Drillinge als Enkelkinder bekommt.
Und noch ein Kriterium erfüllten die Doppeldörfler vortrefflich: die personelle Nachhaltigkeit. Dazu müsse das Team der Ehrenamtler groß und breit genug aufgestellt sein, erklärt die Landesministerin: „Ein Dritter Ort muss es aushalten, dass jemand wegzieht, sich um die kranke Mutter kümmert oder Drillinge als Enkelkinder bekommt.“ Dritte Orte seien auf Dauer angelegt und nicht nur bis zum Ende der mindestens vierjährigen Förderung durch das Land.
Viele Leute wollen beim DoDo-Treff mitmachen
Der gemeinnützige Dodo-Bürger- und Kulturverein, über den auch die Fördermittel gelaufen sind, habe inzwischen 280 Mitglieder, sagt Heidemann. Der Generationswechsel in der Führungsebene sei längst eingeleitet.
„Die Leute kommen aktiv auf uns zu und bieten ihre Mitarbeit an. Da muss man nicht betteln“, freut sich der gebürtige Firmenicher – und fügt schmunzelnd hinzu: „Mit meinen knapp 40 Jahren zähle ich mich auch noch nicht zum alten Eisen.“
Und nicht nur die Masse macht’s. „Wir haben das Glück“, so Heidemann, „dass wir im Vorstand noch einen Bausachverständigen haben und einen, der aktuell noch eine Marketingagentur betreibt – so können wir alle Gewerke abbilden, ohne externe Leistungen hinzukaufen zu müssen.“
Die Kommune muss sich bei den „Dritten Orten“ beteiligen
Gründungsvater Wolf kommt ebenfalls aus dem Marketingbereich, Heidemann ist IT-Spezialist und Bankbetriebswirt – Vereinsleben, was willst du mehr! Bei solchen Voraussetzungen war auch die Stadt Mechernich gerne mit im Boot. Das ist nämlich eine weitere Voraussetzung, um überhaupt in die Nähe des Fördertopfes zu kommen.
Das kann Ministerin Brandes zufolge etwa finanzielle Hilfe sein oder die Bereitstellung von Räumlichkeiten. „In der Regel sind wir in Gemeinden unterwegs, in denen es bisher nur wenig oder gar kein Kulturprogramm gab. Deshalb sind die Kommunen froh, dass es wieder ein kulturelles Angebot vor Ort gibt, das vom bürgerlichen Engagement getragen wird“, so die Ministerin.
450.000 Euro gibt es vom Land für jeden „Dritten Ort“
Für Eintagsfliegen wäre das Steuergeld auch zu schade. Allein 18 Millionen Euro sollen in den Jahren 2025 bis 2028 landesweit in Dritte Orte fließen. „Zunächst“, so erklärt Brandes, „fördern wir eine einjährige Konzeptphase mit bis zu 50.000 Euro.“ In dieser Zeit entwickelten die Teams auf einem weißen Blatt Papier ihre Idee für einen dauerhaft funktionierenden Dritten Ort. In einem Juryverfahren werde dann entschieden, welche Projekte in die dreijährige Umsetzungsphase aufgenommen werden. Das Land fördert jeden dieser Dritten Orte mit bis zu 450.000 Euro.
„In beiden Phasen unterstützt das Projektbüro ‚pro loco‘ zum Beispiel mit Fortbildungen, Vernetzungstreffen und Antragstellungen“, erläutert die Ministerin. Da die erste Generation der Dritten Orte voll in die Pandemie und Energiekrise gelaufen ist, wurde für diese Orte eine dreijährige Verstetigungsphase angeschlossen, in der sich das Land langsam aus der Landesförderung zurückzieht: „Im ersten Jahr der Verstetigung erhalten die Projekte jeweils bis zu 50.000 Euro, im zweiten bis zu 40.000 Euro und im dritten Jahr bis zu 30.000 Euro.“
Überschüsse fließen in andere Projekte
Geld, das der Dodo-Verein nutzt, um den Besuchern Kultur bieten zu können – auch wenn die Abende schon mal mit einem wirtschaftlichen Defizit abschließen, erklärt Tobias Heidemann.
Und da der Verein keinen Profit machen darf, fließen Überschüsse in andere Projekte oder Anschaffungen, um das Dorfleben zu fördern – sowohl für Alteingesessene als auch für Neubürger. Denn die Dritten Orte können Ministerin Brandes zufolge auch dazu beitragen, dass Neuhinzugezogene – von denen es ja im Stadtgebiet Mechernich einige gibt – besser ins Dorfleben integriert werden.
„Menschen, die sich in einem Dritten Ort engagieren, berichten immer wieder, dass es dank der Mitmachangebote der Dritten Orte viel einfacher gelingt, Neuhinzugezogene in das Leben der Gemeinschaft einzubinden“, sagt die Ministerin: „Im besten Sinne leisten die Dritten Orte also Integrationsarbeit, die wirklich funktioniert. Viele wollen ja irgendwo mitmachen, wissen aber nicht, wie sie es anstellen sollen.“
Ina Brandes hofft auf weitere Bewerbungen aus dem Kreis
Rechnet sie nun damit, dass es über Firmenich-Obergartzem und Nettersheim hinaus Bewerbungen aus dem Kreis Euskirchen geben wird – hier, wo die Menschen nach der Flutkatastrophe 2021 erstmal ganz andere Sorgen hatten und viele immer noch haben?
„Ich würde mich sehr darüber freuen, wenn es so wäre“, antwortet Brandes, „zumal Euskirchen einer der Landkreise ist, der voll in die Zielgebietskulisse unseres Programms passt. Es ist eine Region, die ganz besonders vom Dritte-Orte-Programm profitieren kann.“ Denn es werde weitere Generationen der Dritten Orte geben, verspricht sie: „Solange ich politische Verantwortung trage, werde ich mich dafür einsetzen, dass wir das Programm fortsetzen.“
Den Nutzen erfahre sie immer wieder bei ihren zahlreichen Besuchen von Dritten Orten. Von dort fahre sie auch stets mit mehr Energie weg. Eine ältere Dame habe ihr zum Beispiel gesagt: „Ich habe mir schon immer gewünscht, dass hier mal wieder was los ist, und jetzt kann ich mich hier wieder mit meinen Freundinnen treffen.“ Und diese Begeisterung sei ansteckend, so Ina Brandes.
„Wow“: Kulturministerin Brandes vom „Dodo-Treff“ begeistert
Ein anerkennendes „Wow“ kam Ina Brandes über die Lippen, als sie am Samstagvormittag das Dorfgemeinschaftshaus im Doppelort Firmenich/Obergartzem betrat. Dort begann die Kulturministerin ihre Rundreise durch Nordrhein-Westfalen am „Tag der Dritten Orte“ und wurde sofort in ihrer unterstützenden Haltung für das Projekt bestärkt.
„Ich bin total beeindruckt von dem, was hier geleistet wird. Das ist in ganz NRW wirklich einzigartig“, sagte Brandes. Nicht nur der ursprünglich im Rahmen der Landesförderung entstandene Dodo-Treff mit Biergarten, sondern auch die nähere Umgebung mit allen Bauprojekten sei ein eindrucksvolles Vorbild, wie die Projektidee mit Leben gefüllt werde.

Hier ist Kultur zu Hause: Der Dodo-Treff in Firmenich-Obergartzem ist einer von 45 „Dritten Orten“ in NRW.
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Weiter geht's: Direkt vor dem Dodo-Eingang entsteht der Dorfplatz.
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„Hier entstehen ein neuer Dorfplatz, eine neue Schule und viele neue Möglichkeiten für alle Generationen zusammenzukommen“, lobte die Ministerin die Initiatoren des Projekts im Doppeldorf.
Die Freude über den Besuch der Kulturministerin teilte auch Firmenichs Ortsbürgermeister Tobias Heidemann. „Hans-Josef Wolf, dem wir die Idee zu verdanken haben, hat immer gesagt, wenn er mal Rentner sei, möchte er seiner Heimat vieles von dem zurückgeben, was sie ihm ermöglicht habe“, sagte Heidemann.
Wolf konnte den Termin am Samstag zwar nicht wahrnehmen, dass er sich über die Anerkennung durch den Besuch freue, hatte er aber ausrichten lassen. „Durch eine glückliche Fügung hat er von dem Förderprogramm des Landes erfahren und so den Anstoß für all das hier gegeben“, erklärte Heidemann.
Von den seit diesem Tag durchgeführten Baumaßnahmen und dem dabei geleisteten ehrenamtlichen Engagement vieler Anwohner konnten sich die Kulturministerin und zahlreiche Gäste bei einer kleinen Feierstunde selbst überzeugen. „Genau wie unser namensgebender Vogel waren wir, was kulturelle Angebote angeht, in unserem Doppelort tot“, erklärte Tobias Heidemann, der anhand einer im Dorfgemeinschaftshaus aufgestellten Fotogalerie die einzelnen Etappen der getroffenen Maßnahmen beschrieb.
„Dies hat sich dank der Dritten Orte glücklicherweise mittlerweile wieder geändert, und in den kommenden Jahren wird auch noch mehr in Sachen Infrastrukturförderung passieren“, erklärte der Geschäftsführer des Dodo-Bürger- und Kulturvereins. So zum Beispiel unmittelbar vor dem Eingang zum Dodo-Treff, wo derzeit noch eine große, gelbe Planierraupe die geplanten Bauarbeiten erahnen lässt. Dort soll künftig ein neuer Dorfplatz als Treffpunkt für die Bewohner der beiden Mechernicher Ortsteile entstehen.