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Festnahme in der TürkeiHaft verfolgt Mechernicher Ratsfrau Zizik Sahbaz bis in ihre Träume

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Die Mechernicher Lokalpolitikerin Zizik (genannt: Zosan) Sahbaz steht vor dem Mechernicher Rathaus. Sie trägt eine weiße Bluse und einen lilafarbenen Schal.

Im Mechernicher Rathaus (im Hintergrund) wird Zizik Sahbaz am kommenden Dienstag als neues Mitglied des Stadtrats vereidigt. Im Oktober 2024 wurde sie in Istanbul festgenommen und kam in U-Haft.

Vor einem Jahr wurde Zizik Sahbaz in der Türkei festgenommen und kam wegen Terror-Vorwürfen in Haft. Am Dienstag wird sie als Ratsmitglied vereidigt.

Den frühen Morgen des 15. Oktober 2024 wird Zizik Sahbaz wohl nie mehr vergessen: Als die kurdischstämmige Mechernicherin vom Flughafen Istanbul aus nach Deutschland zurückreisen will, klicken nach der Passkontrolle bei ihr und ihrer Schwester Hatun die Handschellen. Als Grund für die Verhaftung wird angegeben, die beiden Frauen aus Mechernich gehörten einer Terrororganisation an und engagierten sich für die kurdische Arbeiterpartei PKK. Während Ziziks Tochter Pinar, die sie bei einem Verwandtenbesuch begleitete, ausreisen darf, kommen Zizik, die von ihrer Familie und Freunden Zosan genannt wird, und ihre Schwester in Haft.

Inzwischen sind die beiden wieder frei. Nach drei Monaten im Gefängnis und weiteren zwei Monaten unter Hausarrest durften sie die Türkei Ende März verlassen. „Der Richter hat meinen Fall geschlossen, aber die Staatsanwaltschaft hat nach meiner Ausreise eine Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt“, berichtet Sahbaz.

Ich habe mich wie eine Schwerverbrecherin gefühlt, als ich vom Flughafen ins Frauengefängnis Bakırköy gebracht worden bin.
Zizik Sahbaz wurde im Oktober 2024 in Istanbul festgenommen

Es war daher für sie eine Ausreise ohne Wiederkehr: Weil sie befürchtet, bei einer erneuten Reise in die Türkei wieder festgesetzt zu werden, wird sie in Zukunft ihre Familie dort nicht mehr besuchen. Beim Gedanken daran kommen ihr die Tränen: „Das macht mich sehr traurig. Meine Mutter ist fast 80 Jahre alt und gesundheitlich angeschlagen.“

Demo-Teilnahme am Welt-Frauentag wurde als terroristischer Akt ausgelegt

Mehrere Stunden lang wird sie nach ihrer Festnahme im Oktober 2024 zunächst im Flughafen festgehalten. Der Anwalt, den ihre Tochter Pinar informiert, wird von den Behörden nicht zu ihr gelassen. „Ich habe mich wie eine Schwerverbrecherin gefühlt, als ich vom Flughafen ins Frauengefängnis Bakırköy gebracht worden bin“, erinnert sich Sahbaz: „Ich hatte Angst, weil der Fahrer auf dem Weg zum Gefängnis so gerast ist.“

Den Vorwurf, sich für die kurdische Arbeiterpartei PKK engagiert zu haben, bestreitet Sahbaz bei den Vernehmungen und später auch vor Gericht. „Die Behörden legten mir ein Foto vor, das mich bei der Teilnahme an einer Demo zum Internationalen Frauentag zeigt. Aber man warf mir vor, in Frankreich an einem Gedenkmarsch für drei getötete Kurdinnen teilgenommen zu haben“, fasst die Mechernicherin das zusammen, was sie für mehrere Monate hinter Gitter brachte.

An die Zeit im Frauengefängnis hat die 52-Jährige lebhafte Erinnerungen. „Es war ein echter Schock für mich, als mir nach ein paar Tagen bewusst wurde, dass ich vielleicht für unbestimmte Zeit dort bleiben muss. Ich habe Frauen getroffen, die zu 33 oder mehr Jahren Haft verurteilt worden waren“, blickt Sahbaz zurück: „Andere waren schon drei Jahre dort, warteten aber immer noch auf den Gerichtstermin. Ich konnte stressbedingt nicht richtig essen, habe stark abgenommen und hatte zuerst auch nicht meine Herztabletten zur Verfügung.“

Ehepaar verließ die Türkei im Jahr 2000 mit zwei kleinen Kindern

Die Haftbedingungen hat Sahbaz als sehr belastend empfunden: „Das ist ein altes Gebäude, überall blättert die Farbe ab. Die Zellen haben wir selbst sauber gehalten.“ Doch nach etwa vier Wochen sei der Umschwung gekommen: „Ich habe mir gesagt: Du musst stark bleiben, lass dich nicht unterkriegen! Ich habe etwas Sport gemacht und 15 Bücher während dieser Zeit gelesen.“

Sich für die Rechte des kurdischen Volkes, von Frauen und anderen benachteiligten Gruppen zu engagieren, hat Sahbaz als junge Frau in der Türkei, wo sie aufwuchs, gelernt. „Einer meiner Brüder war politisch sehr aktiv und ist nach London emigriert, weil er Angst vor Repressionen hatte.“ Auch Zizik verlässt kurz darauf die Türkei. Im Jahr 2000 kommt sie mit ihrem Mann und zwei kleinen Kindern nach Deutschland und beantragt Asyl. „Wir kamen in eine Unterkunft nach Mecklenburg-Vorpommern, wo mein jüngster Sohn geboren wurde“, erinnert sich die Mutter von drei Kindern.

Das ist nicht nur meine Geschichte. Es gibt Tausende, die in der Türkei aus politischen Gründen im Gefängnis sitzen.
Zizik Sahbaz, Stadtratsmitglied in Mechernich

Als der Asylantrag angenommen wird, zieht die Familie nach Mechernich, wo bereits eine ihrer Schwestern lebt. Sahbaz erlernt die neue Sprache, besucht eine Zeit lang die Abendschule, um sich weiterzubilden, und wird schließlich im Jahr 2007 deutsche Staatsbürgerin. Auch politisch engagiert sich die heute 52-Jährige in der neuen Heimat: Als sachkundige Bürgerin holt die Mechernicher SPD-Fraktion sie nach der Kommunalwahl 2020 in den Kulturausschuss des Stadtrats.

Schlafprobleme und Albträume nach der Haft-Entlassung

„Ich habe schon viel gemacht in meinem Leben: Ich habe bei Papstar in Kall gearbeitet, bei Procter in Euskirchen, bei der Übermittagsbetreuung in der Schule in Mechernich“, zählt Sahbaz auf: „Aber eine Terroristin bin ich nie gewesen.“

Die Vorwürfe der türkischen Justiz und die Monate in Untersuchungshaft haben dennoch ihre Spuren hinterlassen: „Ich hatte Schlafprobleme nach meiner Rückkehr nach Mechernich. Die Erlebnisse aus der Zeit im Gefängnis verfolgen mich bis in meine Träume.“ Um die schlechten Gedanken zu vertreiben, stürzt sie sich wieder in die Arbeit.

Auch politisch will die 52-Jährige nicht zurückstecken – ganz im Gegenteil: Vor der Kommunalwahl sucht sie nach weiteren Kandidaten, die wie sie für die Partei „Die Linke“ bei der Stadtratswahl antreten wollen. Mit Erfolg: Alle 16 Mechernicher Wahlbezirke kann die Partei besetzen, über Listenplatz 1 zieht Zizik Sahbaz schließlich in den Stadtrat ein. Am kommenden Dienstag wird sie in der konstituierenden Ratssitzung vereidigt.

Engagement für Solidarität mit politisch Verfolgten

„Wenn ich heute an die Haftzeit zurückdenke, muss ich manchmal lachen, wie absurd das alles war. Manchmal werde ich aber auch sehr traurig“, bekennt Sahbaz: „Ich denke viel an die Männer und Frauen, die immer noch im Gefängnis sind.“ Man habe versucht, auch sie während der Haft einzuschüchtern. „Mehrfach wurde mir ein Geständnis vorgelegt, dass ich unterschreiben sollte. Das habe ich aber nicht gemacht. Wer sich nicht fügt, kommt mitunter in Einzelhaft. Mir blieb das erspart, aber eine Frau hat sich dort das Leben genommen“, berichtet Sahbaz.

Für die Solidarität mit politisch Verfolgten will sich Sahbaz in Zukunft noch stärker engagieren als bisher schon. „Das ist nicht nur meine Geschichte“, betont die Mechernicherin: „Es gibt Tausende, die in der Türkei aus politischen Gründen im Gefängnis sitzen. Die Gefängnisse sind voll in diesem Land.“

Ein aktueller Fall: Für den inhaftierten türkischen Oppositionspolitiker Ekrem İmamoğlu, Oberbürgermeister von Istanbul, fordert die Staatsanwaltschaft 2352 Jahre Haft. Regelmäßig trifft sich Sahbaz jetzt in Köln mit Aktivisten des Vereins „Stimmen der Solidarität – Mahnwache Köln“. „Meine Tochter Pinar hat dort sehr viel Unterstützung erfahren, als sie sich für mich eingesetzt hat. Das will ich jetzt zurückgeben.“


Tochter setzte sich in Mechernich für Freilassung ihrer Mutter ein

Während Zizik Sahbaz in der Türkei inhaftiert war, hatte sie keinen Kontakt zu ihrer Familie in Deutschland. „Ich habe aber über meinen Anwalt mitbekommen, wie sehr sich Pinar in Mechernich für mich eingesetzt hat“, so die 52-Jährige.

Archivbild vom 16.1.2025: Bürgermeister Dr. Hans-Peter Schick (vorne, 2.v.l.), Pinar Sahbaz und CDU-MdB Detlef Seif sowie Vertreter der Fraktionen von CDU, SPD, FDP, UWV und Grünen im Mechernicher Stadtrat halten Plakate mit den Porträts der Schwestern Zizik und Hatun Sahbaz aus Mechernich, die in der Türkei inhaftiert wurden.

Im Januar 2025 initiierte Pinar Sahbaz (vordere Reihe, 3.v.l.) einen Appell für die Freilassung ihrer Mutter, dem sich die Fraktionen von CDU, SPD, FDP, UWV und Grünen im Mechernicher Stadtrat anschlossen.

Ihre Tochter Pinar, die Wirtschaftsrecht studiert hat und nun Anwältin werden will, hatte Bürgermeister Dr. Hans-Peter Schick und die Mechernicher Stadtratsfraktionen kontaktiert, was schließlich zu einem gemeinsamen Appell von CDU, UWV, SPD, Grünen und FDP für die Freilassung der Mechernicherin führte.

„Ich bin sehr stolz auf Pinar und meine beiden Söhne“, betont Sahbaz, die ihren Kindern erfolgreich vermittelt hat, wie wichtig gute Schulleistungen für das eigene Fortkommen sind. „Mein ältester Sohn musste am Tag meiner Gerichtsverhandlung seine Bachelor-Arbeit abgeben“, erzählt Sahbaz: „Ich hatte Angst, dass ihn die Zeit meiner Inhaftierung zu sehr belastet hat. Aber inzwischen hat er mit einer guten Note bestanden!“