Drucker mit Freak-FaktorVerlag Ralf Liebe in Weilerswist feiert 30-jähriges Jubiläum und blickt zurück

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Ralf Liebe vor der Druckerei des Ralf Liebe Verlags

Ein Schild mit der Aufschrift „Museum“ hängt am Eingang des Verlags Ralf Liebe. Die Druckerei ist für den Verleger nicht nur Arbeits-, sondern auch Begegnungsort.

30 Jahre Verlag Ralf Liebe – der Inhaber erinnert sich an die Höhen und Tiefen der vergangenen Jahrzehnte und lädt zum Tag der offenen Tür.

Besucher könnten die Druckerei von Ralf Liebe leicht für ein Museum halten. Im Eingangsbereich riecht es nach altem Holz und Blei. In der Werkstatt stehen eine Dingler-Kniehebelpresse aus dem frühen 19. Jahrhundert und ein Liberty-Trettiegel aus den 1870er-Jahren.

Es sind Maschinen, die anderswo nur noch der Erinnerung an alte Handwerkskunst dienen. In der Werkstatt an der Kölner Straße sind sie in Betrieb. Ralf Liebe ist einer der wenigen, der sie noch zu bedienen versteht.

Die Neigung zum Druckerei-Handwerk entdeckte Liebe im Jahr 1982

Liebe ist 58 Jahre alt, raucht dicke, selbstgedrehte Zigaretten und bezeichnet sich selbst als Handwerker. Seine Liebe zum Druck entdeckte er 1982 am Emil-Fischer-Gymnasium. Bei der Herstellung der Schülerzeitung kam er auf „die völlig irrsinnige Idee“, daheim selbst zu drucken.

Für ein paar Mark schaffte er sich einen kleinen Offset-Vervielfältiger an und begann im Keller der Eltern, „munter vor sich hinzudrucken“. Damals habe er hauptsächlich Schülerzeitungen und Flugblätter produziert: „Das Ganze nannte sich ‚Ralfs Raubdruck‘.“

Etwa 17 Jahre sei er gewesen, politisch motiviert und jugendbewegt. Nach dem Abitur war schnell klar, dass das Druckhandwerk das Richtige für ihn ist. Er absolvierte eine Ausbildung und übernahm das Haus seiner verstorbenen Oma. Dort richtete er sich eine Werkstatt ein. „Damals habe ich mir eine Menge Zeug gekauft, mit dem ich eigentlich gar nicht umgehen konnte.“

Zu dem „Zeug“ gehörten auch große Teile der Ausstattung der Euskirchener Druckerei Flach, die 1992 schloss. „15.000 Mark habe ich dafür bezahlt – nur ein bisschen mehr als den Schrottpreis.“

1993 gründete Liebe seinen Verlag

Mit dieser üppigen Ausstattung stand der Verlagsgründung nichts mehr im Wege. Zunächst hatte Liebe eine kleine Lyrikedition zweier Freunde gedruckt, die sich aber bald überwarfen: „Das fand ich schade, denn der Druck dieser Broschüren hatte Spaß gemacht.“

Ralf Liebe und Tracy Cichy

Ralf Liebe und seine Frau Tracy Cichy in der Druckerei des Ralf Liebe Verlags

1993 entschied er sich, mit seinem Freund Axel Kutsch selbst eine Lyrikedition herauszugeben. Schnell kamen Anthologien hinzu sowie großformatige Comics, die im Siebdruckverfahren hergestellt wurden. „Alles aber nur in kleinsten Auflagen“, sagt er.

Abwechselnd haben die beiden damals einen bekannten und einen unbekannten Autoren veröffentlicht. Die Autoren kamen auch immer wieder zurück mit neuen Ideen und Projekten. „So ist das immer weiter gewachsen“, sagt er. Und irgendwann kam dann der ganz große Erfolg.

Das schnellste Buch der Welt macht Liebe für einen Tag zum berühmtesten Drucker der Welt

Liebe hatte die Idee zu „Tempo“ – der Herstellung des schnellsten Buches der Welt: „Ich wollte alle Arbeitsschritte der Buchproduktion – von der Idee bis zur Auslieferung – auf einen Tag verdichten.“ Dann fragte der junge Verleger Autoren, Lektoren, Pressevertreter und Handwerker an.

Es war Thomas Böhm, Leiter des Literaturhauses Köln, der das Potenzial dieser „kleinen Schnapsidee“ sah und sie groß machte. Er holte die Stiftung Lesen mit ins Boot. „Und plötzlich hatte das ganze Projekt eine Verbreitung, die völlig irrsinnig war.“

Alle hätten berichtet. Allein 170 Zeitungen hätten das Projekt aufgegriffen: „Und das sind nur die, von denen wir wissen.“ Jeder habe eine Meinung zu dem Projekt gehabt. Der damalige PEN-Vorsitzende habe die Idee „schrecklich“ gefunden. Weil die Qualität eines Buches in der Ruhe liege, mit der es erstellt werde. Die taz fand es wunderbar. „Zeitungsleute machen so etwas quasi jeden Tag“, sagt Liebe. „Langsam habe ich ein Gefühl dafür bekommen, dass das Projekt eine größere Nummer war.“

170 Zeitungen, sieben Fernsehteams und ein japanischer Radiosender berichteten

Er habe Witze gemacht, dass er wohl im Garten ein Pressezelt aufstellen müsse. „Und als der Tag gekommen war, stellten wir tatsächlich ein Pressezelt auf.“ Sieben Fernsehteams waren dabei. „Für einen Tag meines Lebens war ich nach Johannes Gutenberg der berühmteste Drucker der Welt.“

Das habe sich toll angefühlt: „Den Erfolg habe ich wahnsinnig genossen.“ Es mache etwas mit einem, wenn man um 7 Uhr morgens einem japanischen Radiosender ein Interview gebe. „Ich bin ein unheimlich eitler Mensch“, sagt er.

Deswegen habe er den medialen Fokus genossen. „Ich hatte damals einen Freak-Faktor“, sagt der Verleger. Der junge Wilde sei er gewesen. Mit langen Haaren, noch keine 30 Jahre alt. Er sei rumgereicht worden, habe Interviews gegeben. Das war gegen Ende der 1990er-Jahre.

Das Ende des Hypes: „Mit 37 die Idee meines Lebens gehabt“

Aber irgendwann ebbte der Trubel um Ralf Liebe, den selbstdruckenden Verleger mit der Affinität zur Lyrik, ab. Interview-Anfragen wurden weniger und verschwanden. Im Garten stand kein Pressezelt mehr. Sein „Freak-Faktor“ war aufgebraucht. Dann musste er sein Verlagsprogramm runterfahren – zu hoch waren die Kosten. Das Nachlassen der Aufmerksamkeit führe dazu, dass man weniger Bücher verkaufe. „Wenn man als Verlag plötzlich nicht mehr im Fokus steht, kann man sich abhampeln bis zum Gehtnichtmehr“, sagt er.

Man habe keine Chance mehr: „Das hat lange gedauert, bis ich akzeptieren konnte, mit 37 die Idee meines Lebens gehabt zu haben.“ Lange habe er versucht, an den Erfolg anzuknüpfen. Er habe „Erfolge erzwingen“ wollen. Habe sich zehn Jahre an ebenbürtigen Projekten versucht – teils mit großem finanziellen Einsatz: „Weiß der Geier, wo ich überall Geld zusammengekratzt habe.“ Er startete mit riesigen Auflagen, mietete die Bundespressekonferenz: „Doch ganz realistisch betrachtet, habe ich dabei einfach nur eine Menge Geld verbraten.“

Alleine – oder mit den zwei Mitarbeitern, die er da noch hatte – habe er seine ambitionierten Projekte gar nicht stemmen können, die Infrastruktur habe einfach gefehlt. Zum Beispiel jemand, der sich mindestens drei Tage die Woche um Presse- und Öffentlichkeitsarbeit kümmere.

Liebe ist zur Ruhe gekommen - aber sieht sich mit seiner Frau „mit 87 noch durch die Werkstatt humpeln“

Die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit erledigt heute seine zweite Frau Tracy Cichy. Zusammen machen sie die Verlagsarbeit – ganz in Ruhe. Lange habe es gedauert, bis er diese Ruhe wiedergefunden habe. Seit acht oder neun Jahren gehe es nicht mehr um große Erfolge. Sondern um Inhalte. Um spannende Bücher, gute Ideen und interessante Autoren.

Es gehe für ihn hauptsächlich darum, sich an seiner Arbeit zu erfreuen. Und darum, davon leben zu können. Auch wenn Autoren wie Verleger häufig prekär leben, Geld in Projekte stecken statt in die Altersvorsorge, würde Ralf Liebe nichts anders machen. Er werde es auch noch 30 Jahre so machen, sagt seine Frau . Und: „Ich sehe uns mit 87 noch durch die Werkstatt humpeln – ganz langsam.“


Tag der offenen Tür im Verlag

Am Sonntag, 23. April, findet in den Räumlichkeiten anlässlich des 30-jährigen Bestehens des Verlags Ralf Liebe ein Tag der offenen Tür statt. Von 11 bis 18 Uhr sind Besucher eingeladen, den Verlag und die Druckerei an der Kölner Straße 58 in Weilerswist zu besuchen.

Zu diesem Anlass werden Druckvorgänge vorgeführt sowie aktuelle Buchprojekte vorgestellt. Außerdem steht der Verleger Rede und Antwort, um Geschichten zu erzählen – etwa über die Entwicklung des Verlags, die deutsche Literaturszene im Wandel der Jahre, die größten Bucherfolge und die besten Autoren aus der Umgebung. Nicht nur am Sonntag, sondern jederzeit seien Besucher willkommen, so Liebe.

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