„Politik ist, was man daraus macht“Sarah Niknamtavin ist die Jüngste im Kölner Rat

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Überzeugungsarbeit: Sarah Niknamtavin will nichts machen, hinter dem sie nicht stehen kann – auch im Rat nicht.

Köln – Wer mit 19 Jahren in der elften Klasse beschließt, die Schule mit der Mittleren Reife gut sein zu lassen, um sich dem politischen Engagement zu widmen, dem muss es ernst sein mit seinen Überzeugungen. Wobei die Entscheidung nicht ganz freiwillig fiel: Hätte Sarah Niknamtavin an der Gesamtschule mehr Unterstützung seitens der Lehrerschaft und der Schulleitung für ihren Einsatz bekommen, wäre sie vielleicht geblieben.

Latenter Rassismus gegen Mutter

„Ich wollte in der Schülerinnen- und Schülervertretung mehr machen als zu Weihnachten Nikoläuse verteilen. Aber das kam nicht gut an“, sagt Niknamtavin und muss ein wenig lächeln. Kurz darauf wird sie wieder ernst: „Es dauerte drei Tage, dann bekam ich die ersten Anrufe der Schulleitung, ich solle bitte kürzer treten und nicht so viel Ärger machen.“ So hatte sie sich die Teilhabe am Schulbetrieb nicht vorgestellt. Und weil sie nichts machen wollte, hinter dem sie wirklich stehen konnte – verließ sie eben die Schule.

Zu der Zeit war sie längst aktiv in verschiedenen Jugendorganisationen, unter anderem bei Greenpeace und Unicef, schaute aber auch bei den jungen Grünen, den Jusos und der Linksjugend vorbei. Einen gewissen politischen Background gab es zuhause zwar, aber so richtig ausgeprägt war der nie. Bis ihr bewusst geworden ist, dass ihre Mutter – sie stammt aus dem Iran – unter einem latenten Rassismus zu leiden hat, weil sie nicht auf ihr Kopftuch verzichten wollte. „Ich selbst hatte diese Probleme kaum, aber dann habe ich genauer hingeschaut.“

Das Studium der Mutter wurde in Deutschland nicht anerkannt, sie bekam nicht die Jobs, die sie gerne gemacht hätte, sondern musste nach der Trennung von ihrem Mann nehmen, was kam, um die Familie zu ernähren. Und immer und immer wieder wurde sie auf ihr Kopftuch angesprochen. „Wir leben in einem System, das latenten Rassismus begünstigt“, sagt sie.

Mehr Aktivistin als Politikerin

Nachdem Sarah Niknamtavin schon einige Zeit in der Linksjugend aktiv war, kam eine Stellenausschreibung der Linken. Sie zögerte nicht lang, bewarb sich – und wurde genommen. Obwohl sie sich bis heute als Aktivistin und nicht als Politikerin bezeichnet, wurde sie Teil des politischen Systems. Und bekam tiefe Einblicke in das Räder- und Netzwerk des Politik-Betriebes: „Das ist bei den Linken nicht anders als in jeder anderen Partei auch“, sagt sie. Und redet nicht darum herum, dass es auch bei den Linken eine Art „Bildungselite“ gibt: „Die wenigsten haben kein Abitur oder haben nicht studiert.“ Etwas, das sie ärgert, denn sie würde gerne mehr Menschen in der Politik sehen, die aus einer anderen Bildungsebene kommen.

Ob sich ihre Überzeugungen seit damals verändert haben? „Jeden Tag“, sagt sie lachend und wird gleich wieder ernster. „Mein Blick ist offener geworden, vielleicht auch weiter. Ich hoffe, ich kann jeden Tag weiter dazulernen.“ Als die Kandidatenkür zur Kommunalwahl anstand, sollte auch die Linksjugend eine Vertreterin oder einen Vertreter stellen. Sie trat an – und zog mit einem sehr guten Listenplatz in den Wahlkampf. Der hatte es durchaus in sich, erzählt Sarah Niknamtavin. Sie ging raus auf die Straße, an die Stände, machte Videos und nahm an allen möglichen Diskussionsrunden teil: „Es gab Tage, da wollte ich abends einfach nur noch meine Ruhe haben.“

Mit 21 Jahren in den Rat

Als der Wahlabend schließlich gekommen war und die ersten Ergebnisse reinkamen, folgte ein Wechselbad der Gefühle. Aufgrund einer Kommunikationspanne hieß es zunächst, es habe trotz guten Listenplatzes nicht gereicht. Die Enttäuschung war da, aber sie nahm es erst mal gelassen. Zumindest nach außen hin. Kurze Zeit später dann doch die Bestätigung: Über die Liste in den Rat, 21 Jahre jung, ohne Vorerfahrung in einer Bezirksvertretung. Etwas einschüchternd sei das schon gewesen bei der ersten Zusammenkunft mit den neuen Ratskollegen, von denen die meisten natürlich viel mehr Erfahrung haben.

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Aber das hat sie schnell abgeschüttelt, auch, weil sie von ihren Fraktionskollegen viel Unterstützung erhielt. „Es wird immer vorausgesetzt, dass man als Kommunalpolitiker alles wissen müsste. Aber darum geht es nicht, sondern darum, sich einzubringen, neue Ansätze zu entwickeln.“ Und den Rat auch als Bühne zu nehmen, Politik transparent zu machen, zu zeigen, wie Politik auf kommunaler Ebene funktioniert.

Ihren Aktivismus will sie auf jeden Fall weiterführen, die Themen Gleichberechtigung, Feminismus, Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit voranbringen. Wobei ihr durchaus bewusst ist, dass es dabei zu Konflikten kommen kann – etwa wenn sich die klassische Arbeiterklientel aus Sorge vor Jobverlust nur schwer mit neuen Auflagen im Umweltschutz anfreunden kann. „Es wird unsere Aufgabe sein, den Arbeitgebern entsprechende Angebote zu machen“, sagt sie. „Gegen“ die Umwelt zu arbeiten, würde heute ohnehin kaum jemand mehr offen vertreten – „aber wir können die Bedingungen gestalten“.

Dass das alles nicht mit der Linken allein, sondern nur über entsprechende Mehrheiten im Rat funktioniert, ist ihr klar. Und auch, dass der Sitz im Rat nicht der Weisheit letzter Schluss sein muss: „Politik ist eben das, was man daraus macht.“

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