„Housing First“-Projekt in KölnVringstreff kauft erste Wohnung für obdachlose Frau

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Ein leider allzu bekanntes Bild, mittlerweile nicht mehr nur in Großstädten: Menschen, die – oft unverschuldet – auf der Straße leben.

Ein leider allzu bekanntes Bild, mittlerweile nicht mehr nur in Großstädten: Menschen, die – oft unverschuldet – auf der Straße leben.

Neustadt-Süd/Ehrenfeld – Jutta Eggeling macht erst gar keine Anstalten, ihre Freude zu verhehlen. „Ja, es ist gelungen. Wir haben die erste Wohnung in Köln gekauft. In Kürze wird eine wohnungslose Frau einziehen“, sagt die Leiterin des Vringstreffs, der Begegnungsstätte für Menschen mit und ohne Wohnung, unterschiedlicher Religionen und Kulturen hinter der Severinskirche.

Die angekaufte Wohnung liegt in einem gutbürgerlichen Umfeld in Ehrenfeld. Besonders groß ist sie nicht. Schließlich muss der Kauf finanzierbar sein. Aber für die Frau, die dort einzieht, kann es nach langer Wohnungslosigkeit eine wegweisende Wende in ihrem Leben sein, wenn sie zum ersten Mal den Schlüssel im Schloss ihrer Wohnungstür umdreht, über die Schwelle tritt und die Tür hinter sich schließt.

Nicht mehr warten, dass das Bad frei ist

„Endlich mal für sich sein. Endlich mal nicht mehr warten müssen, bis das Bad frei ist“, beschreibt Jutta Eggeling die auf der Hand liegenden Unterschiede zwischen Wohnung und Notschlafstelle.

Ziel ist der „normale“ Mietvertrag

Aus einer Stellungnahme der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege Nordrhein-Westfalen: „Viele der Grundsätze des Housing First-Ansatzes werden in der Wohnungslosenhilfe verwirklicht. Insbesondere der Ansatz, Wohnungslose möglichst zeitnah mit einer Normalwohnung zu versorgen, ist ein anerkanntes Ziel in der Wohnungslosenhilfe. Der normale Mietvertrag des zuvor Wohnungslosen mit allen Rechten und Pflichten eines Mieters ist also die angestrebte Lösung. Häufig scheitert diese Lösung daran, dass die benötigten Wohnungen überhaupt oder für die Personengruppe nicht zur Verfügung stehen.“

Hilfen in Köln

In Köln sind laut Statistik aktuell rund 6000 Menschen als wohnungslos registriert. Sie werden im Rahmen der Wohnungslosenhilfe bisher mit Angeboten wie beispielsweise Notunterkünften, betreuten Wohngruppen, Übergangswohnungen und Trainingswohnungen unterstützt. (ran)

Nun ist es im Moment angesichts der explosionsartig gestiegenen Immobilienpreise kein leichtes Unterfangen, in Metropolen wie Köln eine Wohnung zu kaufen. „Der Vringstreff wurde begleitet vom Housing First-Fonds“, berichtet Jutta Eggeling. Dieser Fonds wurde gegründet vom Paritätischen NRW und dem Verein „fiftyfifty/Asphalt“ aus Düsseldorf. „Der Housing First-Fonds versetzt Organisationen der Wohnungslosenhilfe aus ganz Nordrhein-Westfalen in die Lage, den in Deutschland noch wenig verbreiteten, aber sehr vielversprechenden Housing First-Ansatz selbst umzusetzen“, heißt es in einer Erklärung der Verantwortlichen.

Geld hat der Fonds auch. Und da kommt Köln ins Spiel. Namentlich der Maler Gerhard Richter, der in Köln lebt. Er ist einer der höchstbezahlten Gegenwartskünstler und hat „fiftyfifty“ einige Werke gespendet. Bei der Sonderedition handelt es sich um sechs Motive in einer Auflage von je fünf Exemplaren, die Richter dem Verein zur Verfügung gestellt hat. Drei der Sets davon zweckgebunden für den Fonds. Der Wert wird auf 1,2 Millionen Euro taxiert.

Projekt wird bis Ende November gefördert

Mit den Mitteln des Fonds werden Finanzierungsgrundlagen zum Ankauf von Wohnungen geschaffen. Kooperationspartner bekommen 20 Prozent des Kaufpreises einer Immobilie aus dem Fonds gestellt. Auch Umbaumaßnahmen und Nebenkosten des Kaufs können darüber mitfinanziert werden. Darüber hinaus steht das Projekt seinen Partnern beratend und unterstützend zur Seite. Das Projekt wird bis Ende November 2020 durch das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW gefördert.

„In Düsseldorf wurden bis jetzt rund 40 Wohnungen gekauft“, weiß Jutta Eggeling. Jetzt wird das Projekt auf ganz NRW ausgeweitet. In anderen Städten ist Housing First längst etabliert. Das gilt zum Beispiel für Münster, Berlin, Stuttgart und Hamburg.

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Der Fonds mit dem Richter-Geld zahlt 20 Prozent des Kaufpreises. Woher stammt der wesentliche Anteil von 80 Prozent? Nicht zuletzt von Banken, die der Vringstreff zur Finanzierung ins Boot geholt hat. Die Rechnung ist denkbar einfach, aber trotzdem längst nicht unkompliziert.

Neue Wege in der Wohnungslosenhilfe

Die Zinsen für den Kauf einer Immobilie sind im Moment auf einem historisch niedrigen Niveau. Das macht das Bedienen von Krediten sogar für einen Verein wie den Vringstreff möglich. Hinzu kommt, dass die Frau, die einzieht, Wohngeld von der Stadt bekommt, die so sozusagen über Bande die Wohnung abbezahlt.

Das Housing First-Konzept ist anders aufgestellt als bisherige Hilfsangebote für Obdachlose. Hier steht die eigene Wohnung am Anfang der Hilfsangebote und nicht am Ende. „Es geht dabei um einen Paradigmenwechsel, der impliziert, dass jeder Mensch wohnfähig ist“, erläutert Vringstreff-Vorstand Hans Mörtter, Pfarrer an der Lutherkirche, die Motivation des Vereins, neue Wege in der Wohnungslosenhilfe zu gehen und sein Engagement um Housing First zu erweitern.

Kein Probewohnen vorab

In Düsseldorf hat man mit der „Wohnfähigkeit“ sehr gute Erfahrungen gemacht. Jutta Eggeling spricht von „verschwindend geringen Abbruchzahlen“. Für sie ist der Housing First-Ansatz auch deshalb vielversprechend, weil die Wohnungslosen untergebracht werden ohne die üblichen Vorbereitungen wie „Probewohnen“. „Es gibt aber auch Menschen, die was anderes brauchen“, weiß Jutta Eggeling aus langjähriger Erfahrung in der Beratungsarbeit mit Obdachlosen. Für manche sei eben auch die Schlafstelle in der Annostraße „richtig“.

Für die Zukunft soll es in Köln nicht bei einer Wohnung bleiben. „Wir möchten auf mittlere Sicht zehn Wohnungen kaufen“, sagt Jutta Eggeling. Da trifft es sich gut, dass am heutigen Donnerstag im Rat ein Antrag von CDU, Grünen, FDP und der Gruppe Gut auf der Tagesordnung steht.

Mit 5,4 Millionen Euro soll die Stadt Housing First fördern, heißt es da. „Mit dem Geld könnten wir auch eine Stelle finanzieren, die das Ganze koordiniert“, wirft Jutta Eggeling einen optimistischen Blick in die Zukunft.

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