„Der Verkehrslärm ist unerträglich“Kölner Anwohner setzen Tempo 30 vor Gericht durch

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In mehreren Straßen in Köln hat die Stadt bereits nach Lärmschutz-Klagen von Anwohnern Tempo-30-Zonen eingerichtet. Weitere dürften folgen.

Sonja Lagner wollte den ständigen Straßenlärm am Clevischen Ring in Mülheim nicht mehr hinnehmen. Sie ist eine von mehreren Anwohnern, die die Stadt Köln mit Erfolg auf Einrichtung einer Tempo-30-Zone aus Lärmschutzgründen verklagt haben. „Der Verkehrslärm ist unerträglich“, so die 47-Jährige. Früher habe die Familie wegen des Lkw-Verkehrs schon ab 4 Uhr nicht mehr richtig schlafen können. „Als die marode Mülheimer Brücke für Lkw gesperrt wurde, war das schon ein Riesenunterschied. Aber es ist weiterhin viel zu laut. Von den Abgasen ganz zu schweigen.“ Sonja Lagner ist kein Einzelfall, weitere Klagen sind anhängig. Ein Überblick.

Wie ist die Ausgangslage?

Lärm ist gesundheitsschädlich (siehe Infotext), Anwohner haben ein Recht auf Einhaltung bestimmter Grenzwerte. Vorige Woche hat das Verwaltungsgericht Köln vier Klägern Recht gegeben. Sie hatten in der Krefelder Straße, Mommsenstraße, am Clevischen Ring und An St. Katharinen aus Lärmschutzgründen Tempo-30-Zonen beantragt. Die Stadt hatte das abgelehnt, sie befürchtete Staus und Schleichverkehre.

Gesundheitsbelastungen durch Lärm

65 Dezibel entsprechen dem Geräuschpegel, den ein normales Gespräch oder ein Fernseher in Zimmerlautstärke verursachen. Eine Studie im Auftrag des Umweltbundesamts (UBA) ergab, dass Männer, vor deren Wohnungen tagsüber ein Schallpegel von im Schnitt mehr als 65 dB (A) herrschte, ein um 20 bis 30 Prozent höheres Risiko für einen Herzinfarkt hatten. Nach überschlägigen Berechnungen sind rund 12 Millionen Menschen in Deutschland tagsüber Pegeln von mehr als 65 Dezibel ausgesetzt. Nachts sind es mehr als 55 dB (A). Das entspricht einem leisen Gespräch, kann aber den Schlaf stören und die Gesundheit beeinträchtigen. Laut einer UBA-Studie waren Menschen, die in lauten Wohngebieten (über 55 Dezibel nachts) leben, doppelt so häufig wegen Bluthochdrucks in Behandlung als Personen, bei denen der Pegel unter 50 dB (A) lag. Auch zeigten sich Zusammenhänge zwischen der nächtlichen Belastung durch Verkehrslärm und Beeinträchtigungen des Immunsystems und des Stoffwechsel. Bei Lärm am Tag fiel auf, dass es zu mehr psychischen Störungen kam. 76 Prozent der Deutschen empfinden laut einer UBA-Umfrage Verkehrslärm in ihrem Wohnumfeld als störend. Über Flugverkehr sagten dies 43 Prozent, bei Schienenverkehr 34 Prozent. Durch Nachbarschaftslärm fühlen sich 57 Prozent belästigt, durch Industrie und Gewerbe 50 Prozent. (fu)

Was hat das Gericht festgestellt?

Die maßgeblichen Lärmgrenzwerte der 16. Bundesimmissionsschutz-Verordnung seien „allesamt überschritten“, urteilte das Verwaltungsgericht. Die Stadt Köln habe „verkehrliche Interessen“ als Grund für ihre Ablehnung genannt, dafür aber keine „belastbare Tatsachengrundlage“ geliefert. Welchen Effekt eine Temporeduzierung auf den Verkehr haben würde, habe die Stadt erst gar nicht analysiert, sondern „deren negative Effekte ohne Belege schlicht behauptet“. Das Verkehrsdezernat müsse nun die fehlenden Untersuchungen nachholen und die Anträge neu bescheiden.

Wie sind die anderen Fälle gelagert?

An St. Katharinen im Severinsviertel klagt Anwohner Manuel Braun (35). Die Stadt hat zwar in seiner Straße Tempo 30 eingeführt. Aber nicht auf der Auffahrt zur Severinsbrücke, die direkt daneben verläuft und von wo aus der Lärm weiterhin in seine Wohnung dringt. „Man kann kaum mal das Fenster aufmachen“, so Braun. An der Krefelder Straße hat die Stadt nur nachts 30 km/h vorgeschrieben, ein Anwohner fordert dies auch am Tag. In der Mommsenstraße in Sülz hat die Stadt bisher auf einem 100 Meter langen Abschnitt Tempo 30 angeordnet.

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Wie argumentieren die Kläger?

Rechtsanwalt Wolfram Sedlak, der die Kläger vertritt, warf der Stadt vor, geltende Gesetze zum Lärmschutz zu ignorieren. „Das Verhalten der Verkehrsbehörde ist rechtswidrig.“ Die Stadt berufe sich stets auf eine Richtlinie zum Straßenverkehrslärm von 2007 und setze Grenzwerte von 70 Dezibel am Tag und 60 Dezibel in der Nacht an. Maßgeblich sei aber die 16. Bundesimmissionsschutz-Verordnung mit Grenzwerten von 59 Dezibel tagsüber und 49 Dezibel nachts. Wenn diese Grenzwerte in Wohngebieten überschritten werden, müsse die Stadt von sich aus tätig werden und prüfen. Tempo 30 sei ein Weg, um Verkehrslärm deutlich zu mindern und habe laut einer Studie des Umweltbundesamtes überwiegend positive Wirkungen, ohne den Verkehrsfluss groß zu beeinträchtigen, so Sedlak.

Was sagt die Stadt Köln dazu?

Verkehrsdezernent Ascan Egerer erklärte auf Anfrage nur: „Die Verwaltung wird das Urteil und seine Begründung intensiv prüfen und dann festlegen, welche weiteren Schritte erforderlich sind.“ Köln war im Dezember einem Bündnis von Städten beigetreten, die innerstädtisch flächendeckend Tempo 30 ermöglichen wollen, was der Bund bisher ablehnt. Derzeit ist 50 die Regelgeschwindigkeit. Trotzdem könne Köln schon jetzt großflächig eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 Stundenkilometer vorschreiben, betont Sedlak. Der gesetzliche Hebel dafür sei der Lärmaktionsplan.

Wie geht es jetzt weiter?

Die Kläger warten auf neue Bescheide und werden erneut klagen, falls die Stadt nichts unternehmen sollte. Möglicherweise kommt eine Welle von Klagen auf die Stadt zu. In 14 Kölner Straßen haben Anwohner bisher geklagt. Durchgesetzt haben sie sich laut Sedlak bereits in der Erftstraße und der Maybachstraße in der Neustadt Nord, am Melatengürtel in Ehrenfeld und im Gottesweg in Sülz. Anhängig seien Klageverfahren in der Jesuitengasse in Weidenpesch, der Bergstraße und der Merheimer Straße in Nippes, der Lindenstraße in der Neustadt Süd, der Siegburger Straße zwischen Deutz und Poll sowie in der Weißer Straße zwischen Rodenkirchen und Weiß.

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