Veedels-CheckMülheim – das Berlin-Kreuzberg-Flair am Rhein

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Der kleine Park neben dem Bürgerhaus Mütze

Mülheim – Sevgi Demirkaya spaziert gerne am Rhein entlang. Manchmal walkt sie auch, oder sie sitzt mit einem Frozen Yogurt auf einer der vielen Bänke und schaut auf das linksseitige Ufer des Flusses, mit Blick auf Dom und Colonius. Frozen Yogurt ist ihr Thema, da kennt sie sich aus.

Den Besten des Veedels gibt’s für sie bei Yoop in der Buchheimer Straße. Mit einem Yogurt vom Yoop am Rhein sitzen, rüber schauen und das Eis löffeln – so lässt es sich Demirkaya gerne gut gehen. Manchmal, wenn sie die Unternehmungslust packt, nimmt sie auch das Rad und überquert die Mülheimer Brücke rüber auf die andere Seite. Aber oft bleibt sie auch einfach in ihrem Veedel. Mülheim ist für sie mittlerweile ein Stück Heimat. Ein Stück Heimat, das einen viel zu schlechten Ruf hat, wie sie findet.

„Ich wünschte mir, dass die Menschen Mülheim so sehen würden, wie ich es sehe“, sagt Demirkaya, „nämlich als interkulturellen Stadtteil mit vielen Menschen, die gemeinsam leben und gemeinsame Probleme haben. Als einen Stadtteil, dessen Menschen sich auch in der Vielfalt des kulturellen Angebots ausdrücken.“ Teil dieses kulturellen Angebots ist auch der Kulturbunker an der Berliner Straße. Demirkaya kümmert sich hier seit einigen Jahren um das Veranstaltungsmanagement und organisiert Events: ob Tanz, Theater, Konzert, Lesung, Party; ob Türkisch, Iranisch, Tunesisch, Britisch, Deutsch – sie will ein breites Publikum ansprechen – und Menschen zusammen bringen.

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Sevgi Demirkaya engagiert sich im Kulturbunker

„Am Anfang wurde mir immer gesagt, dass das ja nicht passiere, dass Afrikaner und Türken zusammen Veranstaltungen besuchen“, erzählt sie. „ Aber ich selbst bin türkische Kurdin und mir selbst war beim Ausgehen schon immer egal, ob das nun eine türkische, eine kurdische, oder sonst irgendeine Art der Veranstaltung war.“ Mittlerweile sähen ihre Zweifler, dass es eben doch geht. Dass Menschen aus verschiedenen Nationen gemeinsam tanzen und singen, lachen und weinen. Auch in einem Stadtteil wie Mülheim. „Natürlich gibt es hier auch Probleme. Aber es ist eben wichtig, dass man diese Probleme sieht und thematisiert“, sagt Demirkaya.

Die Probleme sind in Mülheim auch nicht aus der Luft gegriffen. Viele Menschen sagen hier, dass sie sich, besonders nachts, nicht wohlfühlen. Gerade der Wiener Platz werde gemieden. Wohnungslose, Alkoholiker, Drogenkonsumenten – unweit der Mülheimer Brücke treffen sich Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben. Gerade seitdem der Ebertplatz, ebenfalls ein Hotspot für Drogen und Gewalt, regelmäßig in den Schlagzeilen steht und in den Fokus der Kölner Polizei gerückt ist, ist der Auflauf am Wiener Platz größer geworden. Die Geschichte Mülheims ist lang, die strukturellen Probleme haben sich über Jahrzehnte entwickelt. Bis zum Jahr 1914 war Mülheim nicht einmal ein Stadtteil von Köln.

Als eigenständiger Ort war Mülheim einst ein wichtiges Handelszentrum. Mit einer evangelischen Kirche wurden im 18. Jahrhundert protestantische Händler angelockt, die sich im streng katholischen Köln einst nicht niederlassen durften. Religiöse Toleranz vor 200 Jahren.

Heute sind mehr als die Hälfte der Mülheimer Einwohnerinnen und Einwohner Nicht-Christen. Und Mülheim ist ein Ort, der längst nicht mehr nur katholische und protestantische Geschäftsleute beherbergt – sondern auch und vor allem muslimische. In der Keupstraße reihen sich türkische und kurdische Restaurants, Imbisse und Geschäfte aneinander.

Auch die türkische Gemeinde in Mülheim hat ihre Geschichte. In den 50er Jahren zogen Migranten, die ersten Gastarbeiter Kölns, in die Keupstraße. Sie suchten günstigen Wohnraum und fanden ihn in den heruntergekommenen Gebäuden im Mülheimer Zentrum. Günstiger Wohnraum ist auch heute noch ein Thema in Mülheim. Kostet eine 50-Quadratmeter-Wohnung in Lindenthal im Schnitt kalt rund 600 Euro, kostet die gleiche Wohnung in Mülheim etwa 100 Euro weniger pro Monat.

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Straßenzüge mit schönen Altbaufassaden finden sich in Mülheim.

Das ist wohl der Hauptgrund, warum man heute auch schon im Hintergrund leise die in Großstädten allgegenwärtige Gentrifizierung anklopfen hört. Für Studierende, die bezahlbare WGs in Köln suchen, ist Mülheim noch eine Option, die zusätzlich gut an die Innenstadt angebunden ist. Die niedrigeren Mietpreise sind aber eben auch der Grund, warum viele sozial schwache Familien, und ja, damit eben auch viele Familien mit Migrationshintergrund, nach Mülheim ziehen.

Sevgi Demirkaya weiß um die Probleme, aber findet auch: „Die Leute werfen hier oft alles in einen Topf. Die sehen nur, dass jemand nicht-deutsch aussieht und denken sofort schlecht. Dass viele Migranten hier aktiv sind und kulturell interessiert, sehen die nicht.“ Und sowieso: „Die Mischung macht Mülheim so faszinierend.“ Sie freut sich, dass nach und nach eine Art Berlin-Kreuzberg-Charme in Mülheim aufkommt. Zum Beispiel durch die Hafenterrasse am Lokschuppen, die rein vegane Speisen und Getränke anbietet und von einem kleinen urbanen Garten direkt am Rhein umgeben ist.

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Vor 20 Jahren, als sie selbst nach Mülheim kam, gab es sowas noch nicht. Nach und nach lernte sie, dass Mülheim mehr ist, es hier viele engagierte Bürgerinnen und Bürger gibt. Zum Beispiel bei der Sozialistischen Selbsthilfe Mülheim (SSM), einem alternativen Wohnprojekt in der Nähe des Rheins, wo rund 20 Menschen gemeinsam leben und arbeiten – aus verschiedenen gesellschaftlichen Schichten. Menschen mit Behinderung, ehemalige Junkies, Arbeitslose finden hier einen Platz in der Gesellschaft. „Das ist toll“, findet Demirkaya.

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Ein Garten am Lokschuppen in der Hafenstraße

Die SSM ist nur eines von vielen Projekten in Mülheim, die für Demirkaya heute, 20 Jahre später, ihr Veedel ausmachen. Im Bürgerhaus Mütze bieten Ehrenamtler Wohnungslosen aber auch Migranten Beratung und Unterstützung.

Hier finden auch Konzerte und Freizeittreffs statt. Die angrenzende Grünfläche ist von Graffiti gesäumt. „Man muss sich auf Mülheim einlassen“, sagt Demirkaya: „Aber dann findet man heraus, wie viel hier eigentlich passiert.“ Ob im großen Rahmen wie im Kulturbunker, oder im kleineren, wie im SSM oder der Mütze. Für Sevgi Demirkaya ist Mülheim das kulturelle Zentrum Kölns.

Die Geschichte des Veedels Mülheim

Mülheim ist erst seit etwas mehr als 100 Jahren Teil von Köln. Bis 1914 war Mülheim am Rhein eine kreisfreie Stadt. Die Bevölkerung der ehemaligen Stadt wehrte sich stark gegen die Eingemeindung, doch auf Willen des Regierungspräsidenten in Berlin passierte es letztendlich trotzdem. Ebenso wie weite Teile Köln wurde auch Mülheim im zweiten Weltkrieg stark zerbombt. Die damalige Mülheimer Brücke wurde am 14. Oktober 1944 zerstört, rund sieben Jahre später eröffnete das Bauwerk, das heute an gleicher Stelle steht. Ein unvergessener Punkt in der jüngeren Mülheimer Geschichte ist das Nagelbomben-Attentat an der Keupstraße. Am 9. Juni 2004 explodierte in der Straße, die durch überwiegend türkisch-geführte Geschäfte gesäumt ist, eine Nagelbombe, die 22 Menschen verletzte, Autos und Geschäfte stark beschädigte. Das Attentat wurde später dem Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) zugeordnet. (luh) 

Die Baustelle des Veedels Mülheim

Im Gespräch auf der Straße sagen viele Mülheimer, dass sie nachts nicht gerne unterwegs sind, gerade die Gegend rund um den Wiener Platz werde gemieden. Für Demirkaya ist der Wiener Platz das Aushängeschild des schlechten Images Mülheims.

„Wenn man in Mülheim ankommt, kommt man am Wiener Platz an – und das ist nicht sehr einladend.“ Sie selbst sehe jedoch genau dieses schlechte Image Mülheims als größeres Problem. Viele Menschen sähen nicht, wie viel das Veedel eigentlich zu bieten hat. Auch die gedankliche Trennung zwischen Mülheim-Nord und Mülheim-Süd findet Demirkaya problematisch. Der südliche Teil, wo viele “Alt“-Mülheimer wohnen grenze sich stark vom nördlichen Teil jenseits des Clevischen Rings ab. Auch viele Bauprojekte in Mülheim, trügen ihren Teil dazu bei. Die Brache am alten Güterbahnhof soll in den nächsten Jahren in ein Gewerbequartier umgewandelt werden. Zunächst sollte das Bauwerk dicht geschlossen sein, das hätte zu einer stärkeren Trennung zwischen den Nord- und Süd-Mülheimern beigetragen, glaubt Demirkaya.

Der aktuelle Plan, der durchlässigere Gebäude vorsieht, sei ein Schritt in die richtige Richtung. Ein anhaltendes Problem ist auch die hohe Arbeitslosenquote in Mülheim. Mit 13,15 Prozent liegt sie – wie auch in vielen anderen rechtsrheinischen Veedeln – weit über dem Kölner Durchschnitt.  

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