Pharmazie aus LeidenschaftOberbergs ältester aktiver Apotheker

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Pillen drehen und Magenpulver mischen gehörte einst zum Arbeitsalltag von Sebastian Wahl.

Pillen drehen und Magenpulver mischen gehörte einst zum Arbeitsalltag von Sebastian Wahl.

Bergneustadt – Der Händler auf dem Bergneustädter Wochenmarkt wird in Zukunft nicht mehr so schnell an seine Kopfschmerztabletten kommen. „Ich habe jeden Donnerstag auf dem Markt eingekauft, da konnte ich dem Mann ganz unkonventionell helfen und ihm seine Tabletten vorbeibringen“, erzählt Oberbergs vermutlich ältester aktiver Apotheker, Sebastian Wahl.

Sein Arbeitsplatz, die Alte Apotheke am Bergneustädter Rathausplatz, liegt nur ein paar Schritte vom Wochenmarkt entfernt. Aber am heutigen Montag hat Wahl, der am 14. April seinen achtzigsten Geburtstag feiert, seinen letzten Arbeitstag, danach geht er in den Ruhestand – schon zum zweiten Mal.

Apotheker aus Leidenschaft

Denn nach dem Verkauf der Adler-Apotheke in Eckenhagen, die er zusammen mit seiner Frau Erika 40 Jahre lang leitete, hielt es ihn nicht lange zu Hause. „Der Kontakt mit den Menschen, die Weitergabe des alten Wissens und meiner Erfahrung machte mir so großen Spaß, dass ich von 2007 an als Angestellter in Bergneustadt weiter gearbeitet habe“, sagt der Apotheker aus Leidenschaft.

Die Pharmazie wurde ihm in die Wiege gelegt: Sein Großvater führte die Hirsch-Apotheke in Ründeroth, seine Mutter die Adler-Apotheke in Eckenhagen. Da half er schon als Jugendlicher, Hustenbonbons abzuwiegen und Pakete auszupacken. In den 1950er Jahren dachte noch niemand an elektronische Bestellungen und Datenverarbeitung. „Wenn ein Medikament zur Neige ging, wurde es per Hand in ein sogenanntes Defektbuch eingetragen“, plaudert Wahl, der auf 61 Jahre Berufsleben zurückblickt, aus dem Apotheker-Schränkchen.

Früher Medikamente noch selber hergestellt

Mitte der 60er Jahren, als er die Adler-Apotheke übernahm, gab es viel weniger fertige Medikamente als heute. Da wurde Magenpulver noch selbst hergestellt und Lebertransalbe nach Rezept gemischt, wurden getrocknete Arnikawurzeln mit Alkohol extrahiert, gefiltert, geklärt, um auf diese Weise eine Tinktur zu gewinnen, und mit „Pillenbrett“ und „Rollierer“ Tabletten geformt . „Man musste sehr genau arbeiten“, erinnert sich Wahl. „Die Pillen sollten ja alle gleich sein, nicht eine dick und die andere dünn.“

Die „Drogen“, also die Rohstoffe, lagerten in den sorgfältig beschrifteten Schubladen des Apothekerschranks. Nach und nach wurden sie von alphabetisch sortierten Fertig-Arzneimitteln verdrängt. „Aber als während der Grippeepidemie 1968/69 die Medikamente knapp wurden, da haben wir wieder selbst Zäpfchen gegen Fieber gegossen und Hustensäfte gekocht. Wir konnten doch niemanden unversorgt auf der Straße stehen lassen.“

Heutzutage alle Medikamente aus dem Ausland

Viel hat sich seitdem verändert. Heute geht alles vollelektronisch, vom Einlesen des Rezepts bis zur Bestellung und Abrechnung, es gibt Verträge zwischen Krankenkassen und Herstellern. „Früher war Deutschland die Apotheke der Welt, heute kommen die meisten Medikamente aus dem Ausland“, vergleicht Wahl.

20 Jahre lang war er im Vorstand des Apothekerverbands Köln, acht Jahre lang im Vorstand der Apothekerkammer Nordrhein, als Kreisvertrauensapotheker vermittelte er 24 Jahre bei Konflikten, etwa wenn es mal Differenzen gab bei der Einteilung zum Notdienst.

Nachhilfe beim Händewaschen

Vor allem wollte er immer für die Menschen da sein, betont der Pharmazeut. „Die Adler-Apotheke in Eckenhagen war ja eine Landapotheke. Früher galten der Arzt, der Pastor, der Lehrer und der Apotheker noch was. Manch einer suchte bei mir Rat, wenn es um das offene Bein der Oma ging oder um andere Sorgen.“ Das hat sich bis heute eigentlich kaum geändert.

Nach nun schon 14 Jahren in der Alten Apotheke erkennen ihn auch viele Bergneustädter auf der Straße. Vergangene Woche im Supermarkt habe ihn jemand gefragt, warum er statt seines gewohnten Medikaments ein anderes bekommen habe. „Da habe ich dann mit Ruhe und einfachen Worten erklärt, dass es sich um denselben Wirkstoff handelt und dass es in der Wirkung keinen Unterschied gibt – und auf einmal haben auch alle an den anderen Kassenbändern zugehört.“

Dieses Mal länger aushalten

Und auf dem Wochenmarkt hat er besorgten Bergneustädtern gerade geduldig erläutert, wie man sich richtig die Hände wäscht und sich in Zeiten von Corona verhalten sollte. „Dafür nehme ich mir gern die Zeit.“

Seine übrige Zeit möchte er nun zu Hause verbringen, sehr zum Bedauern von Henning und Gudrun von Scheven und ihren Mitarbeitern von der Alten Apotheke. Die entstand übrigens vor mehr als 100 Jahren aus der Eckenhagener Apotheke, die Wahl so lange gehörte.

„Ich werde jetzt 80, das ist doch ein guter Schluss“, sagt Sebastian Wahl – auch wenn seine Frau Erika noch daran zweifelt, dass ihr Mann es dieses Mal lange aushält im Ruhestand.

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