Clevere IdeeStudenten aus Reichshof und Morsbach haben eine Krücke für Krücken entwickelt

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Zu sehen sind zwei junge Männer und ihre an Krücken installierten Umfallhilfen.

Thorben Engel (l.) und Phil Janßen mit ihrer Erfindung, die das mühelose Abstellen von Gehhilfen ermöglicht.

Das oberbergische Start-up „Steets“ hat in dieser Woche das erste Medizinprodukt zum europäischen Patent angemeldet. 

Die Oma war „schuld“, dass Phil Janßen aus Lichtenberg sich heute fühlt, als hätte er „einen Sechser im Lotto gewonnen“. Dabei hatte die alte Dame vor Jahren ganz und gar keinen Grund zur Freude, war sie doch auf Gehhilfen angewiesen, und „jedes Mal, wenn sie in der Küche an der Anrichte hantierte und beide Hände brauchte, fielen – zack! – die Krücken um, und Oma konnte sich nicht bücken, um sie aufzuheben“, erinnert sich Janßen, der als Schüler darüber nachzugrübeln begann, wie man der Seniorin helfen könnte.

Alltagstauglichkeit wird in der Klinik in Nümbrecht getestet

Heute, mit 29 Jahren, hat er zusammen mit seinem besten Schulfreund Thorben Engel aus Reichshof nicht nur die Lösung gefunden: In dieser Woche haben die beiden die zum europäischen Patent angemeldete Umfallhilfe für Gehstöcke ihres Start-Ups „Steets“ zum letzten Mal in der Dr. Becker Rhein-Sieg-Klinik in Nümbrecht auf Alltagstauglichkeit getestet. Wenn alles gut geht, sollen die nützlichen Helfer im Mai auf den Markt kommen.

Die Technik erscheint simpel: Per Hebeldruck unterhalb des Griffs der Gehhilfe werden durch einen Seilzug am unteren Ende vier Stützen ausgeklappt, die das Umfallen verhindern. So stehen sie sicher, und der Patient hat die Hände frei, etwa um eine Tür zu öffnen. Verhaken sie sich irgendwo, klappen sie selbsttätig wieder ein. Doch die Entwicklung war ganz schön knifflig, erzählen die beiden.

Wir haben zuerst mit einem Apfel am unteren Ende der Gehhilfe experimentiert, in den wir Schaschlikspieße gesteckt haben.
Thorben Engel aus Reichshof erinnert sich an die ersten Gehversuche des Start-ups

So kompliziert, dass selbst der Chefarzt der Orthopädie, Prof. Dr. Klaus Peters, schmunzelnd gesteht, dass er selbst zwar schon lange dieselbe Idee hatte, aber an der Umsetzung immer wieder gescheitert sei. Umso freudiger ermögliche er den jungen Gründern die drei Testphasen mit Patienten der Reha-Klinik. Dabei waren die Anfänge auch für die beiden Oberberger und ihren Kollegen und Mitgründer Phillip Battisti aus Kamp-Lintfort durchaus stachelig. „Wir haben zuerst mit einem Apfel am unteren Ende der Gehhilfe experimentiert, in den wir Schaschlikspieße gesteckt haben“, erinnert sich Thorben Engel lachend.

Der heute 97-jährige Opa musste immer wieder als erste Testperson ran. Da hätten sie sich nicht träumen lassen, welche steile Erfolgskurve die Idee nehmen würde, die sie als Studenten weiter entwickelten: Zahlreiche Auszeichnungen, Gewinne von Wettbewerben, Innovationspreisen, Stipendien. „Das Geld haben wir sofort in die Produktentwickelung gesteckt“, erzählt der 28-jährige Engel, „zum Beispiel in den 3-D-Drucker, um den Prototypen herzustellen.“

Firmengründer aus Reichshof und Morsbach setzen auf recyceltes Material

Den Lebensunterhalt sicherten sie mit Jobs, Betriebswirtschaftsstudent Battisti als Footballtrainer, Medizintechnikstudent Engel in der Autoindustrie und Janßen, der an der Fachhochschule Dortmund Film und Sound studierte, als Mitarbeiter an Film-Sets unter anderem für den „Tatort“. Leicht sei es ihm nicht gefallen, nach dem Master-Abschluss statt Filme zu drehen seine ganze Energie in die Gründung des Start-Ups zu stecken, gesteht der Morsbacher.

Aber als sich auf einer Pitch-Veranstaltung der Uni Paderborn spontan zwei Business-Angel fanden, die ihre Unterstützung mit Know-how und Investitionen zur Verfügung stellten, fiel 2022 die Entscheidung, eine GmbH zu gründen und sich Vollzeit der Entwicklung ihres ersten Medizinprodukts zu widmen. „Um Menschen das Leben zu erleichtern“, betont Janßen. Das bestätigen die Testpersonen in Nümbrecht. So schätzt Uwe Schenzer „mehr Selbständigkeit und Mobilität“, eine Mitpatientin lobt, die Umfallhilfe erspare ihr Zeit und Nerven und will sie gar nicht mehr zurückgeben, und einer fragt spontan, wo es sie zu kaufen gebe.

Aber noch müssen die Umfallhilfen im Härtetest im Prüflabor 20 000 Mal auf- und zugeklappt werden, ehe sie in die Produktion im Werk eines der Investoren, einem großen Automobilzulieferer, in die Produktion gehen. Produziert wird in Deutschland, aus recyceltem Kunststoff. Beides liegt den Gründern am Herzen, „aus Qualitätsgründen“, sagt Phil Janßen.

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