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„Mein größter Gewinn“
Mit Mut hat Anne-Kathrin Weiß aus Nümbrecht das Internat verändert

3 min
Anne-Kathrin Weiß sitzt an einem Tisch und zeigt ihr Schwimmabzeichen in die Kamera.

Der erfolgreiche Schwimmkurs macht Anne-Kathrin Weiß noch immer stolz.

Wie aus einem einfachen Schwimmkurs ein Stück Selbstbestimmung – nicht nur für Anne-Kathrin Weiß aus Nümbrecht – wurde.

Der größte Gewinn von Anne-Kathrin Weiß ist eine Leistung, die nicht nur ihr selbst viel bedeutet, sondern auch für andere etwas verändert hat. Das weiß sie heute, 60 Jahre danach. Ab ihrem zehnten Lebensjahr besuchte die Nümbrechterin ein Mädcheninternat im westfälischen Büren. Der Tagesablauf war streng geregelt: „Wir hatten Internatsmesse, Schulmessen, Maiandacht, alles nach Plan“, erinnert sich Weiß. „Aber ich wollte das so. Ich fand Hanni und Nanni immer toll – und ich wollte auch ins Internat.“

Sport spielte im Schulalltag kaum eine Rolle. Eine Turnhalle gab es nicht, der Sportunterricht fand in einem alten Kohlenkeller statt. „Da mussten wir über Waschmittelkisten springen. Es war wirklich fürchterlich.“ Umso größer war die Freude, wenn die Schülerinnen gelegentlich ins Freibad durften. Dort entdeckten Anne-Kathrin und ihre Freundin Hanne eines Tages einen Aushang: Es wurden Teilnehmerinnen für ein Schwimmtraining gesucht – mit der Möglichkeit, den DLRG-Grundschein zu erwerben. Dreimal die Woche abends, außerhalb des Schulbetriebs.

Zwei Schwimmabzeichen und ein Bild von Anne-Kathrin von früher, wie sie von einem Sprungturm springt, liegen auf einem Tisch.

So sahen die Abzeichen vor 60 Jahren aus. Anne-Kathrin Weiß hat sie bis heute aufbewahrt, sechs Jahrzehnte nach dem Abenteuer im Bürener Internat.

„Allein schon, dass man abends rausgehen würde, war was Besonderes.“ Doch leicht war das nicht durchzusetzen. Die beiden Mädchen wandten sich an ihre Lieblingsnonne, Schwester Bernhardine. „Zu ihr konnten wir einfach rein, wenn wir etwas auf dem Herzen hatten“, erzählt Weiß. Mit viel Überzeugungsarbeit gewann Schwester Bernhardine schließlich auch die Oberin für die Idee – und so durften Anne und Hanne zum Training gehen. „Das war eine große Errungenschaft für uns.

Dreimal die Woche von 18 bis 20 Uhr, nach dem Schwimmbadbetrieb – und dann 15 Minuten zu Fuß zurück ins Internat. Das war damals als Mädchen absolut ungewöhnlich.“ Das Training selbst war anspruchsvoll. Tauchübungen, Sprünge vom Turm. Besonders in Erinnerung geblieben ist Frau Weiß ein strenger Hilfsbademeister: „Der hat es geliebt, uns Mädchen im Sprungbecken tief unter Wasser zu ziehen, damit wir den Befreiungsgriff üben konnten. Das war schon heftig – manchmal haben wir echt überlegt, ob wir das durchhalten.“

Schwimmtraining unter harten Bedingungen – und eine unerwartete Prüfung

Am letzten Trainingstag trieb der Bademeister die Gruppe besonders hart an – und verkündete am Ende lachend, sie hätten bestanden. „Wir waren völlig fertig, aber auch glücklich – weil wir gar nicht wussten, dass das die Prüfung war“, erinnert sich Anne-Kathrin Weiß. „Keine Nervosität, kein Prüfungsstress – einfach geschafft.“ Im Rückblick war das Schwimmabzeichen mehr als ein persönlicher Triumph. „Wir hatten nicht nur das Abzeichen in der Tasche, wir hatten auch ein Stück Freiheit gewonnen“, sagt Anne-Kathrin Weiß.

Und mehr noch: Im Jahr darauf wurde weiteren Schülerinnen erlaubt, an einem Tanzkurs außerhalb des Internats teilzunehmen – ein Meilenstein. Anne-Kathrin Weiß schmunzelt. „Klar“, sagt sie, „meine Tochter, meine Enkelkinder und mein Mann – das ist natürlich mein allergrößter persönlicher Gewinn.“ Doch für den Sommerwettbewerb hat sie die Geschichte vom Schwimmabzeichen ausgewählt.

Beim Durchstöbern alter Unterlagen stieß Anne-Kathrin Weiß auf einen Brief von Schwester Bernadine aus dem Jahr 1974. Darin schrieb die Nonne: „Es ist einfach zu schwer, im Internat etwas durchzusetzen, was zur allgemeinen Freude beiträgt.“ Ein Satz, der vieles erklärt – und den Wert dessen unterstreicht, was die beiden Mädchen damals erreicht haben.

Auf die Frage, ob sie sich den Aufwand noch einmal antun würde, antwortet Anne-Kathrin Weiß heute: „Ja, auf jeden Fall. Mit jemandem wie Hanne an meiner Seite jederzeit. Allein hätte ich das nicht gemacht – ich war zu zurückhaltend. Aber zusammen haben wir das gut geschafft.“ Und so wurde ihr größter Gewinn ein vierfacher: „Für mich war es ein Gewinn. Für Hanne. Für Schwester Bernadine. Und für die nachfolgenden Schülerinnen. Irgendwer muss ja anfangen, etwas durchzusetzen.“