Prozess um Tod eines PolizistenSchießübung im Gerichtssaal – Aussage unter Tränen

Mit den Tränen kämpfte der angeklagte ehemalige Polizist beim Prozessauftakt am Donnerstag. Ein Kollege starb durch eine Kugel aus seiner Dienstwaffe.
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- Ein Bonner Polizist muss sich vor Gericht wegen der fahrlässigen Tötung seines Kollegen verantworten.
- Bei einer Schießübung mit sogenannten Rotwaffen – also Übungswaffen – hatte der Mann mit einer scharfen Waffe seinen Kollegen erschossen.
- Die Frage ist, ob es sich um fahrlässige Tötung handelt, oder ob der Abzug der Waffe versehentlich betätigt wurde.
Bonn – Dass eine ganze Strafkammer im Gerichtssaal eine Schießübung absolviert, passiert auch nicht alle Tage: Dennoch ließ der Vorsitzende der 4. großen Strafkammer am Bonner Landgericht Klaus Reinhoff am Donnerstag nacheinander die Vertreterin der Nebenklage, den Staatsanwalt, den Verteidiger und im Anschluss seinen Richterkollegen und die Schöffen einmal den Abzug einer sogenannten Rotwaffe betätigen, bevor er zu guter Letzt auch selber abdrückte.
Ziel der Übung war offenbar den Verfahrensbeteiligten ein Gefühl dafür zu geben, wie viel Kraft notwendig ist, um das Abzugsgewicht von 3,8 Kilogramm zu überwinden. Denn die Frage, ob die Betätigung des Abzugs auch versehentlich aus einem Schockmoment heraus geschehen kann, oder nur mit Absicht steht im Fokus des Verfahrens.
Wegen großen öffentlichen Interesses am Landgericht
Neun Monate nach dem Tod eines 23-jährigen Polizisten bei einem Schießtraining am 26. November 2018 im Bonner Polizeipräsidium hat am Donnerstag der Prozess gegen seinen damaligen Kollegen begonnen, aus dessen Waffe sich der verhängnisvolle Schuss löste. Dem heute 23-Jährigen wird fahrlässige Tötung vorgeworfen. Bereits eine Viertelstunde vor Prozessbeginn saß der Angeklagte auf seinem Platz, vergrub seinen Kopf in seinen Armen und kämpfte sichtbar mit den Tränen. Seinen Polizeidienst hat er quittiert.
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Das Medieninteresse an dem Fall ist groß und das ist auch der Grund, warum er überhaupt am Landgericht stattfindet: Reinhoffs Kammer verhandelt normalerweise als Schwurgericht schwere Verbrechen. Die Staatsanwaltschaft habe sich wegen des großen öffentlichen Interesses entschieden, Anklage am Landgericht und nicht wie bei fahrlässiger Tötung meist üblich am Amtsgericht einzureichen.
Schuss nach gemeinsamen Antiterrortraining
Verteidiger Christoph Arnold skizzierte aus Sicht seines Mandanten die Situation am Tag der Tragödie am 26. November: Man habe noch wenige Minuten zuvor Situationen geübt, in denen es angeschossene Kollegen zu retten galt. Sein Mandant habe nicht in Form eines perfiden Spaßes auf seinen Kollegen geschossen, sondern aufgrund eines bedauerlichen Irrtums. Nach seiner Einstellung zum Umgang mit der Dienstwaffe befragt, sagte der Angeklagte unter Tränen: „Mir ist bewusst, dass das ein sehr gefährliches Instrument ist und ich muss sicher mit diesem Ding werden“, habe er sich beim ersten Kontakt gesagt.
Nach dem gemeinsamen Antiterrortraining von insgesamt elf Polizisten auf dem Gelände der Bundespolizei in Sankt Augustin-Hangelar waren die Beamten ins Präsidium zurückgekehrt. Dort standen weitere Trainingseinheiten an, zu denen sich die Teilnehmer in zwei Gruppen aufteilten. Der Schütze und der später getötete Beamte sowie vier weitere Kollegen gehörten zu derselben Gruppe.
Schuss habe sich versehentlich gelöst, so der Angeklagte
Nach der Rettungsübung auf der sogenannten „Magistrale“ – einem breiten Gang im Präsidium, von dem Flure zu den Umkleiden abgehen – wollte man gemeinsam in das Schießkino gehen, wo erstmals am Tage auch Übungen mit scharfen Waffen stattfinden sollten. Die holten dann auch alle sechs Polizisten aus den Wertfächern ihrer Spinde. Diese kleinen, getrennt abschließbaren Fächer sind offenbar aber nicht dazu gedacht, dort Dienstwaffen zu lagern: Dementsprechend hatten mehrere Kollegen ihre Waffen auch vorher entladen, nicht so jedoch der Angeklagte.
Sicherer Umgang mit Schusswaffen hat höchste Priorität
Die Polizei NRW ist mit der Walther P99 DAO als Dienstpistole ausgestattet, die über verschiedene Sicherungen verfügt.
Der sichere Umgang mit Schusswaffen genießt höchste Priorität, teilte auf Anfrage das Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei Nordrhein-Westfalen in Selm mit. Dazu gebe es umfassende Regelungen, die von jedem Polizisten einzuhalten und bei der Handhabung zwingend zu beachten seien. Sie unterliegen aber der Verschlusssachenanweisung mit dem Grad „Verschlusssache – nur für den Dienstgebrauch“.
Jederzeit gelte höchste Vorsicht im Umgang mit der Waffe, egal ob es sich um eine farblich markierte „Trainingswaffe“ oder die dienstliche Schusswaffe handelt. Die Dienstwaffen der Polizei NRW sind grundsätzlich in der Farbe schwarz brüniert. Darüber hinaus werden in der Aus- und Fortbildung der Polizei NRW „Trainingswaffen“, so genannte Rotwaffen verwendet. Sie unterscheiden sich durch eine Färbung sehr deutlich von den dienstlichen Schusswaffen. Größe und Gewicht entsprechen der der echten Dienstwaffe. Grundlagen wie Griff, Visierung, Körperhaltung bis hin zum Magazinwechsel, Zieh- und Holstervorgänge können so sicher und realitätsgetreu geübt werden.
Schießtraining und Handhabung der Schusswaffen sind feste Bestandteile polizeilicher Aus- und Fortbildung in NRW, die jährlich überprüft werden. (kmü)
Er habe die geladene Waffe mit der rechten Hand aus dem Fach genommen und mit der linken nacheinander Fach und Spind abgeschlossen. Normalerweise signalisiere ein deutlich hörbares Klicken das Einrasten der Pistole im Holster. Weil er das aber nicht gehört habe, hätte er die Waffe wieder herausgenommen und vor seine Brust bewegt, wo sich dann während er die Tür zwischen Umkleide und Flur passierte, ein Schuss gelöst habe. Der traf seinen Kollegen am Hals.
Größenunterschied zwischen Täter und Opfer wichtig
Die Staatsanwaltschaft wirft dem Angeklagten hingegen vor, dass er aus Spaß auf seinen Kollegen gezielt habe. Und zwar in der irrigen Annahme, dass er noch immer eine Rotwaffe und nicht seine scharfe Dienstwaffe in den Händen halte. Dabei stützt sie sich auf zwei Annahmen: Zum einen geht es um den Größenunterschied zwischen Täter und Opfer.
Weil der Schusskanal durch den Hals des getöteten Polizisten nahezu waagerecht sei, nehmen die Ankläger an, dass der kleinere Schütze bei Abgabe des Schusses seine Waffe relativ hoch gehalten haben müsse. Tatsächlich aber könne die Entfernung zwischen Opfer und Schütze eine genauso große Auswirkung auf den Winkel des Schusskanals haben, ließ sich Richter Reinhoff noch einmal von dem Sachverständigen bestätigen.
Zeuge widerruft Aussage teilweise
Zum anderen geht es auch um die Aussage eines Zeugen: Die Tat selber war von niemandem beobachtet worden, ein Kollege, der gemeinsam mit dem Schützen Erste Hilfe leistete, war in einem ersten Vernehmungsprotokoll dahingehend zitiert worden, dass der Schütze ihm gesagt habe, er habe mit der Rotwaffe auf den Getöteten gezielt. Das ließ er als Zeuge nun aber nicht so stehen: Er habe das nie gesagt, erinnern könne er sich nur, dass die Worte „Rotwaffe“ und „ich dachte“ gefallen seien. Er habe schließlich seine ganze Aufmerksamkeit darauf gerichtet, dem Verletzten zu helfen, der zwei Wochen später starb.
Bei der rechtlichen Bewertung, dass es sich um eine fahrlässige Tötung handelt, sind sich Anklage und Verteidigung weitgehend einig: Es gelte herauszufinden, ob es sich, wie von der Staatsanwaltschaft angenommen, um Leichtfertigkeit handele, oder, wie die Verteidigung annimmt, um eine leichte Fahrlässigkeit, hatte Gerichtssprecher Thomas Stollenwerk vor der Verhandlung skizziert. Bei einer Verurteilung reicht der Strafrahmen von einer Geldstrafe bis zu einer Freiheitsstrafe von maximal fünf Jahren. Das Verfahren soll am 26. August mit dem Abschluss der Beweisaufnahme fortgesetzt werden.