Direktorin des Amtsgerichts„Die Bergischen haben es ganz schön in sich“

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Verhandlungsgeschick nicht nur im Gerichtssaal zeichnet Johanna Saul-Krickeberg aus. Seit 2013 ist sie Chefin in Bensberg.

Verhandlungsgeschick nicht nur im Gerichtssaal zeichnet Johanna Saul-Krickeberg aus. Seit 2013 ist sie Chefin in Bensberg.

Bergisches Land – Frau Saul-Krickeberg, Sind Sie als Direktorin des Amtsgerichtes mit aktuell 124 Mitarbeitern der Big Boss, die große Chefin, im Gericht?

Ja und Nein. Für die Beschäftigten und Rechtspfleger bin ich die Dienstvorgesetzte und kann Anordnungen treffen. Für die Richterinnen und Richter ist der Präsident des Landgerichts zuständig.

Richter haben bekanntlich einen besonderen Status, der ihre Unabhängigkeit schützen soll...

Ja, wir sind keine Beamten, sondern eben Richter, die dritte Staatsgewalt. Manchmal werden Richter auch als Beamte angesehen. Das ist aber falsch. Denn Beamte sind im Gegensatz zur Richtern weisungsgebunden. Allerdings kann ich als Dienstvorgesetzte der Rechtspfleger diese auch nicht anweisen, wie sie in der Rechtspflege zu entscheiden haben.

Viele Menschen freuen sich, wenn irgendwelche übermächtig erscheinenden Leute bis hin zum amerikanischen Präsidenten durch die Justiz ausgebremst werden.

Genau. Das ist die dritte Gewalt im Staat. Da sieht man, wie wichtig sie ist.

Wer entscheidet an Ihrem Amtsgericht, wer was macht?

Wir haben ein fünfköpfiges Präsidium, das aus gewählten Richtern besteht. Als Direktorin gehöre ich als geborenes Mitglied automatisch dazu. Ich schlage den Geschäftsverteilungsplan vor und das Präsidium beschließt ihn dann.

Kann man einen Richter einfach aus einer Abteilung in eine andere versetzen? Vom Familiengericht ins Strafgericht oder vom Strafgericht ins Zivilgericht?

Grundsätzlich ist das möglich. Aber die Richter im Präsidium entscheiden eigentlich nicht gegen den Willen der Richter. Wenn man einen Kollegen gegen seinen Willen ein Aufgabengebiet bearbeiten lässt, ist das keine besonders günstige Voraussetzung für die Arbeit. Ich bin folglich sehr damit beschäftigt, mit den Kollegen zu reden, ihnen das Für und Wider eines Wechsels des Aufgabengebiets zu erklären und sie vielleicht auch zu bitten, wenn es der Sache dient. Das läuft hier sehr kollegial.

Sie sind in Bensberg nicht ausschließlich als Chefin, sondern auch als Familienrichterin tätig. Über das Familiengericht steht fast nie was in der Zeitung, weil es unter Ausschluss der Öffentlichkeit tagt.

Genau. Die Verhandlungen im Familiengericht sind nicht öffentlich. Die Arbeit ist sehr zeitintensiv, zudem manchmal sehr belastend. Wir erleben Fälle, die man sich als Richterin und auch Sie sich nicht unbedingt vorstellen können. Einmal musste ich aus einer Familie alle fünf Kinder auf einmal herausnehmen, weil es ihnen wirklich sehr schlecht ging. Das war ein Fall, der mich lange beschäftigt hat. Denn die Kinder haben alle unter den Zuständen zu Hause sehr gelitten und waren daher sehr, sehr belastet.

Ich hatte auch einen Fall, in dem die 11 und 13 Jahre alten Kinder nach der Trennung der Eltern den Vater auf keinen Fall mehr sehen mochten, und das war nicht nachvollziehbar. Der Vater hat das zugunsten der Kinder akzeptiert. Das sind Fälle, die unter die Haut gehen. Schwer ist es auch, wenn man Kinder in Obhut nehmen und den Eltern das Aufenthaltsbestimmungsrecht entziehen muss. Das ist dramatisch, weil die Eltern eigentlich die Kinder gerne behalten möchten, dazu aber nicht in der Lage sind, weil Alkohol oder Drogen im Spiel sind.

An einem anderen Gericht hatte ich den Fall, dass sich die Eltern stritten, weil beide ihr Kind an Silvester nicht haben wollten. Ich habe damals appelliert: Stellen Sie sich vor, Ihr Kind säße hier und bekäme das mit! Am Ende hat ein Elternteil das Kind doch genommen. Das war für mich ein nicht nachvollziehbarer Fall: Dass Eltern das Kind nicht nehmen wollten – eigentlich unvorstellbar.

In so einem Fall wäre doch es doch einfacher, das Kind direkt aus der Familie zu nehmen?

Eigentlich ja. Aber das konnte ich natürlich nicht machen. Im Prinzip ging es dem Kind ja bei den Eltern ganz gut.

Zur Person

Seit fünf Jahren leitet Richterin Johanna Saul-Krickeberg das Amtsgericht Bergisch Gladbach als Direktorin. Sie ist zugleich als Familienrichterin tätig.

Zwischen 1995 und 2005 war sie bereits einmal als Richterin in Bensberg tätig. Am 11. Mai vollendet die Juristin ihr 60. Lebensjahr. (sb)

Sie sind seit fünf Jahren in Bensberg. Ist hier alles im grünen Bereich?

Nicht alles. Das Personal ist weniger geworden, die Arbeitsbelastung aber nicht. Die hat sich nur auf dem Papier verringert, weil das justizinterne Personalberechnungsmodell PEBBSY geändert wurde. Bei der Kopfzahl der Richterinnen und Richter hat sich zwischen meinem Amtsantritt hier im Jahr 2013 und heute zwar so gut wie nichts verändert, aber insbesondere bei den Rechtspflegern gibt es personelle erhebliche Engpässe. 2013 – also als ich hier angefangen habe – arbeiteten noch 21 Rechtspfleger hier, jetzt sind es 17! Das hängt mit der geänderten Personalbedarfsberechnung, aber auch mit Pensionierungen zusammen. Auf den Geschäftsstellen gab und gibt es Engpässe, die ebenfalls mit Pensionierungen zusammenhängen. Aber sicher auch mit hohen Durchschnittsalter der Mitarbeiter und damit zusammenhängenden Erkrankungen.

So groß war im letzten Herbst der Engpass, dass Sie sogar in einem Brief an die Notare und Rechtsanwälte um Verständnis geworben haben und die Rauchpausen Ihrer Mitarbeiter gestrichen haben …

Die Rauchpausen habe ich nicht gestrichen, sondern mit dem Personalrat vereinbart, dass die Mitarbeiter für die Zeit des Rauchens ausstempeln müssen. Die Lage war damals die: Wir hatten mit viel Mühe endlich die Rückstände im Grundbuch abgebaut und die Bearbeitungszeiten verkürzt, als eine Rechtspflegerin pensioniert wurde und sich eine weiterer Kollege erfolgreich zum Bundesamt für Justiz nach Bonn wegbewarb. Hinzu kamen längerfristige Krankheiten in anderen Abteilungen. Mein Schreiben hatte das Ziel, um Verständnis zu werben und ist ganz gut angekommen, weil danach jeder Bescheid wusste und dadurch auch die eine oder andere Beschwerde wegfiel, deren Bearbeitung sonst wieder zusätzlich Zeit gekostet hätte. Die Beschwerden, die trotzdem noch kamen, sind direkt an mich gegangen. Inzwischen sind wir aber insgesamt im Gericht und insbesondere im Grundbuch wieder ganz gut aufgestellt und haben eine Bearbeitungszeit von einem Monat.

Amtsgericht Bensberg in Zahlen

1803 Strafsachen sind im Jahre 2017 beim Bensberger Amtsgericht eingegangen. Im Jahre 2013 waren es ebenfalls 1803 gewesen. Beim Zivilgericht waren es im vergangenen Jahr 2579 neue Sachen (gegenüber 2854 im Jahre 2013) und beim Familiengericht 2142 gegenüber 2350.

Beschäftigt sind am Bensberger Amtsgericht (Stand 2017) 126 Personen, darunter 18 Richterinnen und Richter, 17 Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger und 14 Auszubildende. Seit 1. Januar sind es 19 Richterinnen und Richter, darunter vier Richterinnen und ein Richter in Teilzeit. Bei den Rechtspflegern arbeiten vier in Teilzeit.

Die Vergleichszahlen für 2013: 132 Beschäftigte insgesamt, darunter 19 Richter und 21 Rechtspfleger sowie 8 Azubis. (sb)

Was tun Sie gegen die Engpässe?

Wir sind abhängig vom Personal, das uns zugewiesen wird. Bei den Auszubildenden bemühen wir uns selbst um den Nachwuchs – was übrigens immer schwieriger wird. Es gibt in Gladbach nicht mehr so viele Bewerbungen zum Justizfachangestellten wie früher. Die scheinen alle nach Köln zu gehen. Mittlerweile müssen wir in Gummersbach anrufen und fragen: „Habt ihr noch Bewerber für uns?“ Wir müssen umtriebig sein und nehmen auch an Ausbildungsbörsen teil.

Apropos Gummersbach: Sie haben jetzt in verschiedenen Gerichten in leitender Funktion gearbeitet. In Gummersbach waren Sie Direktorin, in Brühl Vize. Wie unterscheiden sich aus Ihrer Sicht die Gerichtsstandorte?

Eine ganz schön schwierige Frage.

Es gibt in unserem Archiv ein Zitat von Ihnen, wonach Oberberg ein schwieriges Pflaster sei.

Ach, das geht so. Erst einmal ist Bergisch Gladbach etwas größer als Gummersbach, was ich ganz schön finde. Hier sind 19 Richter, in Gummersbach zwölf. Dem Oberberger wird nachgesagt, er sei stur. Ja – aber der Bergische ist auch nicht ohne. Ich weiß nicht, ob es da so viele Unterschiede gibt. Die Bergischen haben es auch ganz schön in sich. Fragen Sie nur mal die Zivilrichter, was die so für Fälle haben.

Gibt es einen Unterschied zur anderen Rheinseite?

Jedes Amtsgericht ist gleich schön (lacht), aber ich arbeite gerne auf dieser Rheinseite. Vor fünf Jahren bin ich schweren Herzens aus Gummersbach weggegangen, aber ich bin auch gerne nach Bergisch Gladbach gekommen, weil das hier ein sehr schönes Gericht mit sehr freundlichen und aufgeschlossenen Kollegen ist. In Gummersbach waren die Kollegen auch sehr freundlich, aber ich wohne in Köln und die lange Fahrtzeit wäre auf die Dauer für mich nicht mehr zumutbar gewesen.

Stammen Sie auch aus Köln?

Ich komme aus dem Sauerland. Ich bin in Menden geboren, bin nach der Schule nach Marburg und Hamburg gegangen. 1988 kam ich nach Köln wegen meines Mannes, der in Köln lebte und sehr eingebunden war. Ich bin ganz klassisch als Frau nachgezogen…

…und haben hier Ihren Weg gemacht.

Ich bin sehr dankbar, dass ich diese Arbeit machen kann. Ich kann als Behördenleiterin viel gestalten. Dazu muss man kommunikativ sein und transparent arbeiten und den Blick haben, was wichtig ist und was vielleicht auch verändert werden muss. Und das entscheide ich dann in Abstimmung mit meiner Geschäftsleiterin, deren Stellvertreterin und den weiteren Mitarbeitern in der Verwaltung

Das Gespräch führte Stephan Brockmeier.

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