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„Teilweise drei Krisen auf einmal“Rhein-Bergs Krisenstabsleiter blickt zurück

Lesezeit 7 Minuten
Mehr als zwei Jahre und zwei Monate liefen im Krisenstab des Kreises die Fäden bei der Pandemiebekämpfung zusammen.

Mehr als zwei Jahre und zwei Monate liefen im Krisenstab des Kreises die Fäden bei der Pandemiebekämpfung zusammen.

Rhein-Berg – Mehr als zwei Jahre lang leitete Kreisdirektor Dr. Erik Werdel den Krisenstab für die Corona-Pandemie. Über Höhen und Tiefen und das, was er den Menschen nach zwei Jahren Einschränkungen jetzt rät, hat Guido Wagner mit dem Juristen aus der Kreishausspitze gesprochen.

Am 2. März 2020 wurde der erste Corona-Fall im Kreis bekannt, einen Tag später der Krisenstab aktiviert. Haben Sie damals geahnt, dass Ihre Arbeit so lange dauern würde?

Dr. Werdel: Nein, eine Krise wie diese hat es ja in der deutschen Nachkriegszeit noch nicht gegeben. Und wir hatten ja auch keine Vorerfahrungen mit einer Pandemie. Klar, gab es immer Krisenszenarien. Und auch Übungen. Etwa die für einen angenommenen Ausbruch der afrikanischen Schweinepest im Königsforst. Aber bei allen Krisenszenarien, die man zuvor mal durchgespielt hatte, hatte nie das gesamte Gesundheitswesen im Fokus gestanden.

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Sondern?

Da ging es um Großbrände, Flugzeugabstürze oder Zugunglücke – Szenarien, in denen Feuerwehr und Hilfsorganisationen im Fokus gestanden hätten. Eine Krisensituation, die so umfassend alles betreffen würde, war bis dahin beispiellos.

Was war die größte Herausforderung der neuen Situation?

Erstmal die zeitliche Planung. Auf welchen Zeitraum sollten wir uns einstellen? Und dann auch die Sorge, den übrigen Betrieb aufrecht zu erhalten. Und dann kamen da auch große Herausforderungen auf uns zu, wie etwa ein Bürgertelefon in diesem Umfang einzurichten, was eine sehr wichtige Aufgabe war.

Warum?

Weil Bürgerinformation und Medienarbeit gerade in dieser für uns alle neuen Situation ganz wichtig war, um die Menschen auch von der Notwendigkeit der Maßnahmen zu überzeugen – und um Panik zu vermeiden. Ich denke, das ist auch ganz gut gelungen. Bis in die Sozialen Netzwerke, wo die entsprechenden Krisenstabsmitarbeitenden oft bis tief in die Nacht Fragen beantwortet haben. Und auch Sie haben ja oft noch abends spät mit Frau Bär oder Herrn Wolter sprechen können, um Fragen für Ihre Leser zu klären.

Haben Sie angesichts der Vielfach-Belastung nicht mal gedacht: Das packen wir jetzt nicht mehr?

Die Sorge habe ich eigentlich nicht gehabt, weil da ein unheimlich großer Zusammenhalt war, im Krisenstab, aber auch sonst innerhalb der Mitarbeiterschaft. Gerade an der Hotline hatten wir ja auch sehr viele Mitarbeitende aus anderen Bereichen, die nicht Mediziner waren, und die jeden Morgen gebrieft wurden mit den wichtigsten Fragen und Antworten und die einen super Job gemacht haben.

Was hat Ihnen die größten Sorgen bereitet?

Die Todesfälle, vor allem die größeren Lagen in Seniorenheimen, in denen es mit dem Virus gleich um Leben und Tod ging. Manche haben es sicher anfangs auch nicht so ernst genommen, haben gesagt: „Ich habe den Krieg überlebt, da werde ich auch das schaffen.“ Aber es war eben ein vielfach auch tödliches Virus. Bei 245 Todesfällen, die wir bis heute hatten, war natürlich jeder einer zu viel.

Gerade beim Schutz der Seniorenheime gab es ja auch Kritik, man hätte die Bewohner dort noch besser schützen müssen, Mitarbeitende früher, konsequenter testen können.

Man kann immer etwas besser machen, wir sind auch gewachsen an den Aufgaben, aber man kann auch als Krisenstab nicht alles organisieren. Ganz wichtig war es auch, die Menschen von der Notwendigkeit der Schutzmaßnahmen zu überzeugen.

War es nicht schwierig, den Menschen Änderungen in der Pandemiebekämpfung zu vermitteln wie den Schritt, dann doch auf Masken zu setzen, als diese verfügbar waren?

Wir haben ja schon sehr früh auf Masken gesetzt.

Aber anfangs war die Kommunikationslinie immer: Wichtiger ist es, Abstand zu halten. Masken bringen nur eine „falsche Sicherheit“.

Das stimmt. Natürlich hat sich auch das Wissen über das Virus und den Schutz davor weiterentwickelt. Wir sind alle im Verlaufe der Pandemie schlauer geworden. Und es ist dann ja auch umgehend reagiert worden.

Bestand in Rhein-Berg Grund zur Sorge, dass das Gesundheitssystem hätte überlastet werden können?

Die Krankenhäuser waren mehrfach bis an die Belastungsgrenze belegt, aber wir haben hier keinen Covid-19-Patienten ausfliegen müssen, wie das in anderen Regionen Deutschlands der Fall war.

Hatten Sie Pläne, was Sie bei einer Überlastung der Krankenhäuser gemacht hätten?

Sicher, es gab ganz konkrete Vorüberlegungen und Untersuchungen, Notfallkrankenhäuser einzurichten. Eins in Bergisch Gladbach und eins im Nordkreis.

Warum ist es am Ende nicht dazu gekommen?

Zum einen haben die Kapazitäten der Krankenhäuser gereicht. Zum anderen wäre das schwierig geworden: Wir hätten zwar die Infrastruktur schaffen können, aber wir hätten kaum das Personal bekommen, wo es schon in den bestehenden Krankenhäusern knapp war.

Wie sind Sie als Krisenstabsleiter mit dem Druck umgegangen, wenn Forderungen erhoben wurden, etwa als es Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern nicht schnell genug ging mit den Öffnungen?

Da kann man nur den Rücken gerade machen und vor allem sachgerechte und begründete Entscheidungen treffen.

Ist das nicht schwer, wenn man ohnehin wegen aller möglichen Entscheidungen unter Druck steht?

Natürlich, die Nerven zu behalten, ist eine der größten Herausforderungen gewesen. Aber wir als Krisenstab hatten ja die Verantwortung. Und dann war es auch wichtig, dass wir die Entscheidungen getroffen haben, die auf der Basis der Lage und der Erkenntnisse unserer Experten die angezeigten waren. Aber sicher gab es zeitweise schon massiven Druck von allen möglichen Seiten. Auch als es um die Forderung aus der Politik ging, die Luca-App einzuführen, die am Ende weit hinter den in sie gesetzten Erwartungen zurückblieb.

Haben Sie sich da als Getriebener gefühlt?

Sicher gab es Tendenzen, dass man versucht hat, uns hierzu oder dazu zu bewegen. Aktion ist in der Krise immer wichtig, aber Aktionismus ist Gift. Ich brauche immer Pläne für die nächsten Schritte, aber ich darf nicht in Aktionismus verfallen.

Gab es Situationen, in denen Sie gedacht haben: Jetzt darf nichts mehr passieren, sonst schaffen wir das nicht mehr?

Ja, vor allem, als dann noch weitere Krisen hinzukamen. Die Starkregenflut im Juli letzten Jahres oder der Großbrand bei Currenta, bei dem anfangs nicht klar war, welche Gefahren auch für die Menschen in unserem Kreis drohten. Da hatten wir teilweise drei Krisen auf einmal.

Was hätte im Rückblick besser laufen können?

Sicher hätten wir die Kommunikation nach innen in die Verwaltung noch besser gestalten können, um die Menschen noch besser mitzunehmen. Schließlich mussten ja auch die übrigen Aufgaben der Kreisverwaltung weiterlaufen. Und da kam es natürlich dann, wie etwa im Straßenverkehrsamt, auch zu Engpässen. Wir hatten ja zeitweise mehr als 300 Mitarbeitende im Lagezentrum.

Zurzeit ist die Inzidenz immer noch hoch, aber viele Schutzregelungen sind gefallen. Wie erwarten Sie, wird es mit der Pandemie weitergehen?

Es wird wieder ein Sommer sein, in dem man sich wahrscheinlich nicht richtig auf das vorbereitet, was uns im Herbst wieder bevorsteht.

Rechnen Sie mit erneuten Einschränkungen?

Jetzt noch einmal die Zügel anzuziehen, wird sehr, sehr schwierig werden. Ich glaube, die Akzeptanz in der Bevölkerung bekommen wir kaum noch hin.

Sie haben vorige Woche auch den Krisenstab deaktiviert . . .

Ja, weil das derzeitige Krisenmanagement sehr gut in den bestehenden Strukturen vor allem des Gesundheitsamts geleistet werden kann. Wenn es aber nötig sein wird, eine neue Variante kommt oder die Intensivstationen bei der Behandlung von Covid-19-Patienten überlastet zu werden drohen, dann haben wir den Krisenstab bei Bedarf sehr schnell reaktiviert. Das wird sehr genau vom Gesundheitsamt und der Stabsstelle für Krisenmanagement im Blick gehalten.

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Was raten Sie denn den Menschen jetzt in der aktuellen Lage der Pandemie?

Dass sie den Sommer genießen sollen und wieder leben.

Das klingt aber gar nicht nach dem mahnenden Krisenstabsleiter . . .

Nein, aber das ist auch ganz wichtig. Losgelöst von den politischen Wirrungen dieser Zeit, nur die Pandemie betrachtend: Jetzt den Sommer genießen, Kraft tanken und ein Gemeinschaftsgefühl wieder leben. Das kann uns dann auch helfen, wenn zum Beispiel im Herbst erneut eine pandemische Lage auf uns zu käme, diese wieder gemeinsam anzugehen. Also: Kräfte tanken und Freude haben.

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