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„Es gibt nur noch das Essen, sonst nichts“Wie eine Rösratherin ihre Essstörung bewältigt

Lesezeit 4 Minuten
Jemand steht auf einer Waage.

Binge-Eating ist als eigenständige Krankheit anerkannt.

Eine Rösratherin leidet an der Binge-Eating-Störung und möchte jetzt eine Selbsthilfegruppe gründen.

Wenn Traurigkeit und Stress besonders schlimm sind, kommt der Heißhunger. Dann isst sie und isst und hört nicht mehr damit auf. Das ist ihr Ventil, den Frust beiseite zu schieben. Die Erkrankung, die Binge-Eating-Störung genannt wird, beherrscht seit vielen Jahren das Leben von Monika Friedrichs. Um einen Ausweg zu finden, möchte die Rösratherin eine Selbsthilfegruppe gründen und sucht Leidensgenossen zum Erfahrungsaustausch.

Wenn die Essanfälle kommen, stopft Monika Friedrichs bergeweise Lebensmittel in sich hinein. Alles, was ihr in die Quere kommt, vor allem Süßes: Eis, Kuchen, Schokolade, Kekse. Wenn das nicht reicht, auch Kartoffeln und Nudeln, alles, was sie in ihrer Küche findet. Ohne Hunger zu haben, hastig und ohne einen Genuss zu spüren.

Binge ist Englisch und bedeutet verschlingen. Es beschreibt, wie die Betroffenen während periodisch wiederkehrender Essanfälle unkontrolliert Nahrung in sich hineinstopfen. Die Binge-Eating-Störung, anerkannt als eigenständige Erkrankung, steht auf einer Stufe mit Magersucht und Bulimie.

„Mein Bewusstsein ist dann wie ausgeschaltet. Anders kann ich das nicht erklären“, berichtet Monika Friedrichs von ihrer Erkrankung, „in dem Moment gibt es nur noch das Essen, sonst nichts.“ Dann, nach den Anfällen, verfliegt der kurze Moment der Befriedigung durch das Essen. Zurück bleiben Schuld und Scham: „Mir geht es am nächsten Tag immer wahnsinnig schlecht“, erzählt die 61-Jährige, „das Gefühl, versagt zu haben, quält mich.“

Der totale Kontrollverlust nagt an ihrer Seele, vor allem aber sorgt er für eine deutliche Gewichtszunahme bis hin zur Adipositas. „Ich schäme mich für mein Aussehen“, sagt Monika Friedrichs. Die Blicke der anderen spüre sie wie Nadelstiche. Deshalb gehe sie kaum noch vor die Tür. „Das ist ein Teufelskreis“, sagt die Rösratherin. Denn die Einsamkeit, das Alleinsein verstärken die negativen Gefühle und sorgen für den nächsten Anfall.

In dem Moment gibt es nur noch das Essen, sonst nichts.
Monika Friedrichs, Binge-Eating-Erkrankte

Es ist erstaunlich, wie offen Monika Friedrichs heute mit ihrer Geschichte umgeht. Im Rahmen einer Kur zur psychosomatischen Nachsorge habe sie erlebt, wie heilsam die Nähe zu anderen Betroffenen sein könne. Die Idee, eine Selbsthilfegruppe speziell zu Binge Eating und Adipositas zu gründen, sei dort entstanden: „Der persönliche Austausch kann eine große Unterstützung sein und Kraft geben.“

Von Menschen, die eine ähnliche Geschichte haben, fühle man sich besser verstanden als von Menschen ohne Essstörung. Ihre Krankheit beschreibt Friedrichs als ein Auf und Ab. Mit 30 begann bei ihr der Kampf mit dem Gewicht. „Ich habe alle Diäten ausprobiert, die es gibt.“

Nach der zweiten Schwangerschaft habe sie dann nur noch stetig zugenommen – trotz aller möglichen Abnahmeversuche – sodass es zum bekannten Jo-Jo-Phänomen gekommen sei. Friedrichs nahm zehn Kilo ab und danach 20 Kilo zu.

Rösratherin hält mit Meditation und Musik dagegen

Wann die Rückfälle kommen, kann sie nicht sagen. Spürt sie den Drang zu essen rechtzeitig, versucht sie mit Meditation oder Musik dagegenzuhalten. Strategien, die sie in einer Verhaltenstherapie für sich erarbeitet hat. Die Therapie setzt aber nicht nur am Essverhalten an. Dahinter liegen ganz andere Probleme. Bei Friedrichs sei es ein Einsamkeitsgefühl in den 30 Jahren Ehe gewesen, wie sie berichtet. Das Alleinsein nach der Trennung habe die Traurigkeit noch verstärkt.

Dann kommt der Befreiungsschlag, als sie einen Trainerschein für Nordic-Walking macht: Sie schafft es, 80 Kilogramm abzunehmen. Aber es gibt wieder neuen Stress: Sie kümmert sich um ihre Mutter, die gepflegt werden muss. Verliert ihren Job als Floristin und muss Hartz IV beantragen. „Das Frustessen sorgt dafür, die Traurigkeit, den Stress, die Existenzängste für einen Moment beiseite zu schieben“, sagt Friedrichs.

Dieses „Gedankenkarussell“ möchte sie stoppen und hofft, dass sich Gleichgesinnte für eine Selbsthilfegruppe bei der Selbsthilfekontaktstelle Der Paritätische melden. Und wenn sie noch mehr Mut aufbringt, würde sie gerne eine Nordic-Walking-Gruppe gründen: „Das wäre großartig.“ Man spürt ihren Willen und glaubt es ihr, dass dies ein Ausweg sein könnte.


Selbsthilfegruppe

Kontaktdaten: Bisher gibt es noch keine reine Binge Eating-Selbsthilfegruppe im Rheinisch-Bergischen-Kreis. Die Selbsthilfe-Kontaktstelle Rheinisch Bergischer Kreis, Der Paritätische, Odenthaler Straße 19 in Bergisch Gladbach ist eine Beratungsstelle rund um das Thema Selbsthilfe und Selbsthilfegruppe. Die geplanten Gruppen-Treffen für Monika Friedrichs Selbsthilfegruppe zu Binge Eating sollen im Beratungshaus Overath-Untereschbach, Friedenshaus 7, stattfinden.

Anmeldungen und Infos telefonisch, 02202-936892. Bei der Allgemeinen Frauenberatungsstelle des Rheinisch-Bergischen Kreises des Vereins „Frauen stärken Frauen“, Hauptstraße 155, Bergisch Gladbach, gibt es eine Selbsthilfegruppe für Frauen ab 18 Jahren mit Essstörungen. Hier vereinen sich die verschiedenen Formen Anorexie, Bulimie und Binge Eating. Informationen telefonisch, 02202-45112, und im Internet.

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