Zum 100. GeburtstagAuf den Spuren von Mundartdichter Schulte durch Lückerath

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Im Herzen von Lückerath erblickte Heinrich F. Schulte das Licht der Welt.

Bergisch Gladbach – Er sah den Menschen auf den Mund und fasste in Worte, in Mundart noch dazu, was die kleinen Dinge im Leben ausmacht und schreckte zugleich nicht davor zurück, was er an Schrecken im Krieg erlebt hatte als Anklage gegen Gewalt zu formulieren. Heute vor 100 Jahren wurde Heinrich F. Schulte in Bergisch Gladbach-Lückerath geboren.

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Heinrich F. Schulte (1921-73)

„Lügget“ wie er in Mundart gesagt hätte. Ein Anlass, mit seinem Sohn Eckhard Schulte auf den Spuren seines Vaters durch den zusammengewachsenen Ort auf der Grenze zwischen Bensberg und der alten Stadt Gladbach zu gehen. Eine Zeitreise, die durch die Industriegeschichte der Grube Berzelius zurück bis in die Zeiten des Kurfürsten Jan Wellem führt.

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Gegenüber dem Restaurant Am Fürstenbrünnchen geht’s los. „Mit Fürst ist hier natürlich der Kurfürst Jan Wellem, Erbauer des Bensberger Schlosses, gemeint. Zu seinem »Brünnchen« kommen wir später noch“, sagt Eckhard Schulte und beginnt mit seiner Führung, die er erstmals für eine Geburtstagsfeier kreierte, in Alt-Lückerath.

Milchbornbach war Wasserlieferant für Lückerath

Entstanden sei die Siedlung wohl zwischen 1000 und 1300, im preußischen Urkataster von 1827 seien Neuborn, Unterlückerath und Oberlückerath aufgeführt. Während sich aus den ersten beiden Lückerath entwickelt habe, das zur Kirche Bergisch Gladbach gehörte, habe Oberlückerath zur Herkenrather Pfarrei und damit nach Bensberg gehört.

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Das „Heilige Pützchen“ ist wegen Schwermetallen verschlossen.

„Alt Lückerath Nummer 4 ist wohl das älteste Haus hier“, sagt Schulte und deutet auf einen Fachwerkbau: „1858 lebten darin 57 Personen.“ Wir gehen am Milchbornbach bergauf und befinden uns rasch mitten in einer der grünen „Adern“ von Lückerath. „Der Bach war früher Wasserlieferant für den Ort“, erzählt Schulte. „Im Sommer haben sie einen Damm gebaut und hatten ihr eigene »Badeanstalt«“.

Schulte brachte Geschichten des Alltags zu Papier

„Da verläuft die Grenze nach Oberlückerath – Bensberger Gebiet“, sagt Schulte augenzwinkernd zur heutigen „grünen Grenze“. Sein Vater Heinrich wohnte in Unterlückerath, ging daher nach Gladbach auf die Schule. Es geht rechts den Berg hinauf, da wo heute Häuser entlang der Straße „Am Zubusch“ stehen, grasten früher die Kühe von Bauer Rembold aus Bensberg.

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Schafe grasen heute auf dem Lückerather Anger.

„Deshalb hieß das auch »Rembolds Puckel«. Im Winter war das ein prima Rodelhang. Wer genug Schwung hatte, kam bis über die kleinen Brücken, die es unten am Bach gab“, erinnert sich der engagierte Lückerather. „Mein Vater hatte immer einen Block dabei.“ Oft sind es die kleinen Geschichten des Alltags, die er in Reimform brachte. Fast 1000 Gedichte in Mundart entstanden auf diese Weise, dazu zwei Romane sowie ungezählte Erzählungen und Skizzen.

Ins Herz von Lückerath

Geschafft: An der Einmündung auf die Saaler Straße ist der höchste Punkt erreicht, mehr als 110 Meter über dem Meeresspiegel – mit Domblick. Am Horizont sind die Spitzen der Kölner Kathedrale zu sehen: „Wenn die Türme ganz nah scheinen, gibt es meist Regen“, erklärt Schulte und deutet die Saaler Straße hinunter: „Karneval wurde früher in der Gaststätte Saaler Mühle gefeiert, kurz vor der Eisenbahnunterführung, auf der von 1870 bis 1989 Züge verkehrten.“

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Die Familie: Michael, Mutter Klara, Heiner, Eckhard, Renate (Wagen)

Durch die Straße Im Luchsfeld geht’s zurück durchs Tal des Milchbornbachs, der weiter talab Saaler Mühlenbach heißt, ins Herz von Lückerath. Von der Straße Am Fürstenbrünnchen ist an der Abzweigung An den Braken das Haus von Heinrich F. Schulte zu sehen (Nr. 22), das er 1957 für seine Familie baute.

Heinrich F. Schulte kehrt 1948 aus Gefangenschaft zurück

Eckhard Schulte zückt ein altes Familienfoto: „Das hat mein Vater hier auf der Straße am Fürstenbrünnchen aufgenommen, damals gab’s hier auf dem Teil noch kaum Häuser.“ Heinrich F. Schulte und seine Frau Klara hatten vier Kinder: Michael, Heiner, Eckhard und Renate. „Die liegt auf dem Foto noch im Kinderwagen“, sagt der große Bruder.

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Sohn Eckhard Schulte am wohl ältesten Lückerather Haus.

Schwer gezeichnet vom Krieg war Heinrich F. Schulte 1948 aus der Gefangenschaft heimgekehrt – und sparte auch dieses Thema in seinen Texten nicht aus. „Un, nu, nu künnen se nit verjesse, wat em Kreeg es jewäse, wat se am Kreeg mohte dun, han jedonn. Manch eene säht, wat es dat schon“, schreibt er in einem Gedicht über seine Hände („Ming Häng“) und fügt dann hinzu: „Doch ech, ech ben nit manch eene.“

Gasthaus in 1700 gebauten Haus

Sein Vater habe schwer getragen an der Kriegserfahrung, sagt Eckhard Schulte. Schweigend geht es weiter die Straße hinunter. Wir passieren das Gebäude, in dem sich früher die Gaststätte Rübkamp befand. Später hieß sie „Zur Alten Stadtgrenze“ (heute zu einer Wohnung umgebaut). Früher machten hier die Bergleute der nahen Erzgruben oder die Arbeiter der Zinkhütte schon am Morgen Halt, wie Schulte zu berichten weiß.

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Blick über Lückerath auf die Zinkhütte mit bis zu 300 Beschäftigten (heute Gewerbegebiet Zinkhütte).

Um die Ecke steht das Geburtshaus seines Vaters am Lückerather Weg 57. Um 1700 soll das Haus gebaut worden sein. „Mein Opa hatte das erste Auto in Lückerath“, erzählt Schulte und zeigt ein Foto, auf dem sein Vater als Kind mit seinem Onkel in dem Hanomag zu sehen ist – unweit der Kreuzung Lückerather Weg/Am Fürstenbrünchen, wo früher das „Geschäftszentrum“ des Orts war, mit Gaststätte Rübkamp, Metzgerei Dürscheid, Lebensmittelladen, Friseur und Schumacher Rodehüser.

„Im Pützchen“ gewinnt mehrere Preise

Von der Straße „Am Fürstenbrünnchen“ zweigt „Am Pützchen“ ab. Versteckt im Wald liegt das „Heilige Pützchen“, das heilige Brünnchen, an dem der Legende nach 1705 Kurfürst Jan Wellem während einer Jagd getrunken und das Wasser als so schmackhaft gepriesen haben soll, dass der Brunnen fortan „Fürstchenbrünnchen“ hieß.

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1971/72 kam das Gefallendenkmal an seinen heutigen Platz.

Seit 1921 ist er allerdings fest verschlossen. Durch den Erzbergbau in der Hardt für die nahe Zinkhütte war das Wasser derart mit Schwermetallen belastet, dass es nicht mehr zum Trinken geeignet war. Ökologischer ist da der Lückerather Anger gleich neben der Siedlung „Im Pützchen“, die als „Blumensiedlung“ mehrfach Preise beim Wettbewerb „Die besten Kleinsiedlungen in NRW“ einheimste.

Erz durch den Neuborner Wald transportiert

Der Anger entstand 2002 aus aufgewertetem Ackerland und Wiese. Eine als ökologische Ausgleichsmaßnahme für das Hochregallager der Firma Krüger, deren Zaun wir bald im Neuborner Wald erreichen, nachdem wir in der Bahnunterführung die im Zweiten Weltkrieg angelegten, glücklicherweise aber nicht genutzten Sprengkammern gesehen haben. Mit Sorge verfolgt man in Lückerath die Absicht von Krüger, für ein Kita-Gebäude noch weiter in den Neuborner Wald vorzudringen.

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„Das ist ein echter Naturwald“, sagt Eckhard Schulte und weist auf den Kölnpfad hin, der hier verläuft. Früher führten durch den Wald der gelbe, mit Dolomit befestigte Weg, auf dem die Fuhrwerke mit Erz von Gruben in der Hardt zur bis 1931 existierenden Zinkhütte fuhren, und der mit Schlacke befestigte „schwarze Weg“, auf dem sie wieder zurückfuhren.

An der Einmündung der Berzeliusstraße auf die Bensberger Straße ist noch das Haus des Direktors der Zinkhütte zu sehen. Durch die historische Berzelius-Arbeitersiedlung geht’s zum Gefallenen-Ehrenmal, in dessen Nachbarschaft bis etwa 1975 Gut Neuborn stand. Den Abriss hat Heinrich F. Schulte nicht mehr erlebt. Er starb 1973 mit nur 52 Jahren. Was blieb, ist sein unverstellter Blick auf Lückerath, die Welt und das Leben. Oder wie er es ausgedrückt hat: „Jede Dag es an Kostbarkeet, mirschtens hä unjeacht verrüvver jeht.“

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