Gänsehaut in ErftstadtFlutopfer tragen ihre Geschichten aus neuem Buch vor

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Baustoffe und gewaltige Kanalrohre bildeten die Kulisse der Lesung, hier mit Gabriele von Knobelsdorff.

Erftstadt-Blessem – Es war eine ganz eigene Atmosphäre. Anrührend, traurig und hoffnungsvoll. Und irgendwie surreal, allein schon durch den Veranstaltungsort. Immer noch steht eine halbe Reithalle am Ortsrand von Blessem, die andere Hälfte hat die Flut vor einem Jahr verschlungen. An der offenen Seite hängen Fetzen der Deckenverkleidung herab, öffnet sich der Blick auf Kanalrohre und Baumaschinen.

Erftstadt: Geschichten aus Blessem und Frauenthal in Buch gebündelt

Einen eigenartigen Ort hatten die Organisatoren ausgesucht, um das Buch mit Erinnerungen an die Katastrophe vorzustellen. Den einzig richtigen Ort: An keiner anderen Stelle im Dorf sind Zerstörung und Wiederaufbau, Verzweiflung und Hoffnung so offensichtlich. Auf Bierbänken und Strohballen saßen die Menschen, die gekommen waren, um einige der Geschichten anzuhören und natürlich, um das Buch zu kaufen, in dem Fluterlebnisse aus Blessem und Frauenthal gebündelt sind.

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Zuhören oder doch schon mal in dem Band blättern? Das entschieden die Menschen im Publikum unterschiedlich. 

Die Mitglieder der Buchgruppe – Birgid Hoffmann, Monika und Rainer von Kempen, Gabriele von Knobelsdorff, Alexandra Krause, Renate Richardt, Daniela Vollbert-Weber und Philipp Wasmund – haben die Erzählungen der Menschen aus Blessem und Frauenthal zusammengetragen. Herausgekommen ist ein 404 Seiten starkes Buch, fast 1000 Gramm schwer – ein Kilo Erinnerungen.

Buch soll Gemeinschaftsgefühl der Betroffenen wahren

Wie die Idee entstanden ist, schildert Wasmund. Nach der Katastrophe hätten die vielen Helfer die Blessemer getragen. „Ende Oktober fing es an, dass es sich nicht mehr so schön anfühlte. Jeder war wieder auf sich gestellt.“ Das Buch sollte mithelfen, das Gemeinschaftsgefühl, das in der Katastrophe entstanden war, zu bewahren. Auf einen ersten Aufruf seien rund 100 Leute zum Treffpunkt an der Kirche gekommen – „an einem usseligen Herbsttag“. Von dem Echo ist Daniela Vollbert-Weber bis heute beeindruckt: Dass wir mehr als 40 Menschen finden, die ihre Geschichte erzählen, habe ich nicht zu hoffen gewagt.“

Dass die Blessemer ihren Humor nicht verloren haben, zeigt schon der Titel das Bandes: „Stadt, Sand, Fluss.“ Der Sand, auf dem der Ort gebaut ist und der so verhängnisvoll reagierte, als die Erft in die Kiesgrube strömte, findet sich in der Optik des Einbandes wieder, den Manuela Hoffmann gestaltet hat. Galgenhumor spricht auch aus so manchem Titel. „Der Horrorkeller – Heulparty“ hat Elisa Strank ihre Erzählung benannt. Bei Jochen Richartz heißt es „Die Entstehung der Frauenthaler Seenplatte oder wie kriege ich die Hühner wieder vom Dach?“. Anne Bär ist schlicht zu der Erkenntnis gekommen: „Ne Lappe hät do nit jelangt.“

Mehr als 40 Betroffene erzählen ihre Geschichte in „Stadt, Sand, Fluss“

Doch hinter der Selbstironie schimmert die tiefe Betroffenheit durch. Bei manchen Geschichten, die vorgelesen wurden, schnürte es den Zuhörern die Kehle zu, trieb die Tränen in die Augen. Da wurden Erinnerungen wach an Momente der Todesangst, an erlittene Verluste, an Hilflosigkeit und Rettung in letzter Sekunde.

Eine leichte Lektüre ist „Stadt, Sand, Fluss“ definitiv nicht. Aber eine, die es wert ist, immer wieder in die Hand genommen, aufgeschlagen zu werden. Auch wenn viele der Fotografien Bilder vor Augen bringen, die man viel lieber vergessen möchte. Einige der beeindruckendsten Aufnahmen stammen von dem international erfolgreichen Fotojournalisten David Young. Sein Bild von der Flutwelle aus der Kiesgrube war es, das Blessem auf die Titelseite der New York Times katapultiert hat. Young war eigens zur Buchvorstellung nach Erftstadt angereist.

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Das Bürgerforum Blessem ist Herausgeber von „Stadt, Sand, Fluss“, das im Verlag Köhl erscheint. Ab Samstag, 20. August, ist es für 15 Euro im Erftstädter Buchhandel erhältlich. An diesem Tag wird es auch auf dem Dankeschön-Fest in Blessem verkauft.

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