Mit Bürste blutig geschrubbtBuch enthüllt Misshandlungen in Rhein-Erft-Kinderheimen

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Das Benediktus-Erholungsheim in Brühl war ein Vorläufer des späteren Kreiskinderheims.

Das Benediktus-Erholungsheim in Brühl war ein Vorläufer des späteren Kreiskinderheims.

Rhein-Erft-Kreis – Die Schwarz-Weiß-Fotos zeigen überwiegend glückliche Kinder – Mädchen und Jungen beim Spiel im Garten, Kinder in einer Kutsche, beim Krippenspiel oder bei einem Ausflug. „Gut untergebracht“ heißt das Buch, in dem die Brühlerin Jutta Becher auf mehr als 330 Seiten die Geschichte der Kinderheime des Landkreises Köln nachzeichnet.

Gut untergebracht – ein Titel, der jedoch nicht nur die schönen Seiten der kreiseigenen Kinderheime hervorhebt. „Für viele war es sicher ein Segen, dass es diese Einrichtungen überhaupt gab“, sagt Becher, die bis 2015 das Museum für Alltagsgeschichte in Brühl leitete. Sie berichtet jedoch auch von seelischen und körperlichen Misshandlungen, von Übergriffen, die mit heutigen pädagogischen Standards überhaupt nicht mehr in Einklang gebracht werden können.

Schon 1496 gab es ein „Hospitälchen“ in Brühl

Bechers Untersuchung setzt früh an, beim erstmals 1496 urkundlich erwähnten Hospitälchen in Brühl für verlassene oder ausgesetzte Kinder über eine Kinderbewahranstalt der Dernbacher Schwestern in Brühl im 19. Jahrhundert bis zu einem 1918 gegründeten Kinderheim der Salvatorianerinnen, ebenfalls in Brühl, dem späteren Benediktus-Erholungsheim.

Bescherung im Haus Ehrenfried in Brühl 1962.

Bescherung im Haus Ehrenfried in Brühl 1962.

1926 beginnt dann die Geschichte der kreiseigenen Heime. Der Kreistag des Landkreises Köln fasst den damals als „Pioniertat“ eingeschätzten Beschluss, ein früheres Kurhotel in Barkhausen im Kreis Minden zu kaufen, um dort ein Kindererholungsheim einzurichten – für Schulkinder, die nach dem Ersten Weltkrieg oftmals unterernährt und kränklich waren. Später wurde das Haus um eine Waisenkinderabteilung erweitert. Rund 30 Kinder konnten dauerhaft hier aufgenommen werden. 1931 zogen „die ersten sieben kleinen Waislein im Alter von zweieinhalb bis drei Jahren bei uns“ ein, heißt es in einem Bericht des Liebfrauen-Ordens, dessen Nonnen die Kinder betreuten.

Ein Kinderheim in Brauweiler

Nach dem Krieg verlegte der Kreis die Abteilung nach Brauweiler, wo 1950 im früheren Hilfskrankenhaus das Kinderheim „Haus Ehrenfried“ eröffnet wurde. 1958 dann endete auch dieses Kapitel, denn in diesem Jahr zog die Abteilung unter gleichbleibendem Namen in den ersten und einzigen Kinderheim-Neubau des Kreises nach Brühl, das modernere „Haus Ehrenfried“, in dem sich Nonnen des Ordens der Cellitinnen zur heiligen Elisabeth um die Kinder kümmerten. Die Ordensschwestern zogen sich jedoch 1965 aus dem Kreiskinderheim zurück, weil die Arbeit für die wenigen verbliebenen und alten Nonnen schlicht zu viel wurde – der Landkreis übernahm den Betrieb des Heims mit weltlichem Personal selbst.

Eine Küchenschwester, eine Lernschwester, eine Küchenhelferin und eine Mädchengruppe bereiten das Essen im Kreiskinderheim in Brauweiler vor, das von 1950 bis 1958 bestand.

Eine Küchenschwester, eine Lernschwester, eine Küchenhelferin und eine Mädchengruppe bereiten das Essen im Kreiskinderheim in Brauweiler vor, das von 1950 bis 1958 bestand.

1966 erhielt das Kinderheim in Brühl hohen Besuch: Bundespräsident Heinrich Lübke und seine Frau Wilhelmine beschenkten die Heimkinder kurz vor Weihnachten. 1983 wurde das Heim geschlossen – der Kreis brauchte dringend Geld.

Einige Heimkinder leiden noch immer unter Traurigkeit

Für ihr Buch hat die Diplom-Pädagogin Becher mit zahlreichen Zeitzeugen gesprochen, mit ehemaligen Heimkindern, aber auch mit Erzieherinnen und Erziehern. Das Kapitel „Strenge, Strafen und Misshandlung“ fällt mit gerade mal zwei Seiten sehr kurz aus, ist darum aber umso eindrücklicher. „Je nachdem, in welchem Zeitraum die von mir befragten Ehemaligen im kreiseigenen Kinderheim »Haus Ehrenfried« gelebt hatten, beurteilten sie ihren Aufenthalt dort sehr unterschiedlich – als »besonders schön« und »erfreulich« die einen, anderen wiederum erlebten ihn als »überaus belastend«.“ Zwischen 1950 und 1970 sei das Personal „sehr streng“ gewesen.

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Einige der damaligen Heimkinder würden noch immer unter Traurigkeit, Verschlossenheit und Schüchternheit leiden. Gestraft und geschlagen worden sei mit dem Rohrstock, Linealen, Kleiderbügeln oder dem Handfeger, wer ins Bett gemacht habe, sei mit der Wurzelbürste blutig geschrubbt worden. Manche Heimkindern berichteten, dass sie ihr eigenes Erbrochenes essen mussten.

Das Buch „Gut untergebracht – Die Geschichte der Kinderheime des Landkreises Köln“ von Jutta Becher ist in der Reihe „Studien zur Geschichte an Rhein und Erft“ des Rhein-Erft-Kreises im Böhlau-Verlag erschienen und für 45 Euro im Buchhandel erhältlich.

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