Zweiter WeltkriegIm Keller von Schloss Türnich suchten Soldaten und SS-Leute Schutz

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Kerpen-Türnich – „Hier im Haus wird nicht rumgelaufen, und in diesen Raum dort, da gehen Sie nicht hinein, der ist privat. Sie halten sich hier strikt an die Hausordnung, ist das klar?“ Diese mit festem Blick in die Augen des diensthabenden deutschen Kommandanten gesprochenen Sätze von Agnes Gräfin von und zu Hoensbroech haben sieben polnischen Zwangsarbeitern Ende des Zweiten Weltkriegs ganz offenbar das Leben gerettet.

Das Verbot war gleichsam der seidene Faden, an dem das Schicksal der versteckten Kriegsgefangenen hing. Schweigend kauerten sie im hintersten Gewölbekeller von Schloss Türnich in der feuchten Finsternis. Hinter einer einzigen Wand, keinen Meter von ihnen entfernt, kauerten abwechselnd SS-Leute und durchziehende deutsche Soldaten im Nachbargewölbe hinter einer niedrigen Tür.

Sie mussten sich wie die gräfliche Familie und die Mitarbeiter des Hauses besonders gegen Ende des Kriegs vor den Tieffliegern in Sicherheit bringen, die die hiesigen Industrieanlagen, Köln und den Chemiegürtel bombardierten. „Ein trauriger Aufenthaltsort für alle, doch wir konnten natürlich nicht nein zu den Soldaten sagen, sonst wären meine Eltern standrechtlich erschossen worden“, erinnert sich Godehard Graf von und zu Hoensbroech, der damals noch ein Kind war. „Die Soldaten hatten zwar Fronterfahrung, doch offenbar hatten sie noch nie Luftangriffe erlebt. Sie glaubten, die Welt gehe unter.“

Die Angriffe seien immer nach einem bestimmten Schema abgelaufen: „An den vier Ecken des Zielgebietes haben zunächst Flugzeuge Leuchtmittel abgeworfen, die in der Luft aussahen wie Christbäume. Deshalb wurden sie auch so genannt.“ Anschließend seien die Bomber gekommen und hätten ihre todbringende Fracht so genau wie möglich innerhalb dieses Viereckes abgeworfen. „Wenn es besonders windig war, hatten wir immer Angst, dass einer dieser Christbäume in unsere Richtung abgetrieben wird und wir plötzlich mitten im Abwurfgebiet liegen.“

Für einen deutschen Hauptmann war der Druck zu groß. Nur mit Unterhosen bekleidet drehte er eines Nachts durch und ließ seiner Panik freien Lauf. Graf Hoensbroech hat die Bilder noch vor sich: „Das war für uns alle so ein jämmerlicher Anblick. Und das wollten die Herren der Welt sein.“

Wie viel mehr Angst die polnischen Zwangsarbeiter in ihrem dunklen Gewölbe einige Schritte entfernt wohl ausgestanden haben müssen, das kann man nur erahnen. In der Dunkelheit schlichen sie unerkannt auf die Toilette. Von der Schlossküche aus wurden sie heimlich mit Lebensmitteln versorgt. Tage der Dunkelheit und des Schweigens im kühlen Keller. Zuvor waren schon 25 ukrainische Kriegsgefangene verschwunden, die auf den Ländereien um Türnich zur Zwangsarbeit gezwungen worden waren. Anfang 1945 seien sie „abgeholt“ worden, wie Graf Hoensbroech sich erinnert: „Wir wussten, was das bedeutete. Sie sind sicher nie in ihrer Heimat angekommen, sondern wurden wie die Hasen abgeschossen.“ Mit den polnischen Zwangsarbeitern habe man lange zusammengelebt. „Die waren schon 1939 zu uns gekommen und furchtbar nett. Diese Menschen waren völlig integriert.“ Als sie von der Abschiebung erfuhren, hätten seine Eltern ihnen versprochen: „Wir verstecken euch hier, bis der Krieg zu Ende ist.“

Einmal habe ein Wehrmachtsgeneral Station in Türnich gemacht. Ganz niedergeschlagen habe er von seiner Begegnung mit Adolf Hitler berichtet. „Er hatte seine weißen Handschuhe zu diesem Anlass vergessen und sich schnell welche geliehen, die ihm aber zu groß waren. Als der Führer seine Hand drückte, habe er nur einige Zipfel des Handschuhs, nicht aber die Hand darin erwischt. „Der General war darüber so zerknirscht, dass es ihm beim Erzählen der Geschichte die Tränen in die Augen trieb“, erinnert sich der Graf: „Was waren das für kaputte Figuren?“ Kaputt, aber lebensgefährlich für jeden im Schloss.

Um die sakralen Gegenstände wie Kelche oder Monstranzen in der Schlosskapelle vor Diebstahl zu schützen, habe sein Vater Eugen eine gefährliche List angewendet, berichtet Godehard Graf Hoensbroech: „Die Kapelle war ja ein öffentlicher Raum. Der Beichtstuhl stand im Gang. Die Wand dahinter war vertäfelt.“ Von einem vertrauenswürdigen Maurer ließ er die Vertäfelung heimlich abnehmen und eine künstliche Wand vor der ursprünglichen einziehen, sodass ein Hohlraum entstand. Danach seien die Vertäfelung wieder angebracht und der Beichtstuhl wieder davorgestellt worden. Von der Geheimwand wusste fast niemand. Auch dieses Versteck blieb wie mehrere andere im Haus unentdeckt. Die sakralen Kunstwerke überstanden den Krieg unversehrt.

Als der Krieg zu Ende war, hätten die sieben Polen in ihre Heimat zurückkehren können, so Godehard Graf Hoensbroech. In und um das Schloss änderte sich vieles. Amerikanische Besatzungssoldaten wurden dort einquartiert. Manche paddelten im Überschwang der Nachkriegstage in Kommoden aus dem Rokoko-Gebäude über den Schlossteich. „Einige haben dann sogar versucht, den Tabernakel in der Kapelle aufzubrechen. Meine Mutter fand aber heraus, dass der stellvertretende Kommandant Katholik war und hat sich bei ihm beschwert.“

Am kommenden Tag seien die 120 Mitglieder der amerikanischen Einheit zum Appell gerufen worden. Und dann geschah etwas, dass den jungen Grafen sehr beeindruckt hat: „Vor aller Augen wurden die zwei oder drei Übeltäter zur Schnecke gemacht. Dann wurden sie öffentlich degradiert. Mit einer Schere haben die Vorgesetzten ihnen die Schulterstücke abgeschnitten.“ Die amerikanischen Soldaten mussten für fünf Tage „in den Bau“, einen provisorischen Arrestraum am Schloss. „Von diesem Augenblick an herrschte hier Ruhe und Respekt.“

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