„Hier herrscht das Faustrecht“Obdachloser las vor Lohmarer Schülern seine Biografie

Lesezeit 3 Minuten
Richard Brox (Mitte) diskutierte mit (v.l.) Bernhard von Grünberg und Horst Becker über Obdachlosigkeit. Oberstufenschüler hatten die Veranstaltung vorbereitet, die Schulausschussvorsitzende Gabriele Krichbaum half, der Schulleiter Mario Heese (r.) hieß die Gäste willkommen.

Richard Brox (Mitte) diskutierte mit (v.l.) Bernhard von Grünberg und Horst Becker über Obdachlosigkeit. Oberstufenschüler hatten die Veranstaltung vorbereitet, die Schulausschussvorsitzende Gabriele Krichbaum half, der Schulleiter Mario Heese (r.) hieß die Gäste willkommen.

Lohmar – Der Gegensatz hätte nicht größer sein können: hier die überwiegend wohlbehüteten Gymnasiasten, das ganze Leben noch vor sich. Dort Richard Brox, der seit mehr als 30 Jahren auf der Straße lebt. Obdachlos geworden mit 21, damals nur wenige Jahre älter als die Schüler heute. Brox, einer von vielen und doch etwas besonders: Der 54-Jährige hat ein Buch geschrieben, ein packendes Stück Literatur, eine wahre Geschichte, seine Biografie.

30 Minuten las er aus „Kein Dach über dem Leben“, man hätte ihm noch viel länger zuhören mögen. Mucksmäuschenstill war das junge Publikum auch in der anschließenden Diskussionsrunde, wo Brox klarmachte: „Es sind Schicksalsschläge, die die Menschen obdachlos machen.“ Jeden könne es treffen, ob Arbeiter oder Akademiker, Frau oder Mann, jung oder alt.

Der Mannheimer hatte keinen guten Start ins Leben

Der gebürtige Mannheimer hatte keinen guten Start ins Leben, beide Eltern traumatisiert im KZ, der Junge oft auf sich allein gestellt. Es folgten Jahre im Heim, Jahre als Streuner auf der Straße, Drogen, immer wieder kehrte er in die kleine Wohnung seiner Eltern zurück. Dann starb früh der Vater, acht Jahre später 1986 die Mutter, und Richard Brox musste die Wohnung räumen: Zu groß sei diese für ihn als Sozialhilfeempfänger. Eine Willkürmaßnahme, das habe er viele Jahre später und viele Jahre klüger, gewusst: „Der Sachbearbeiter hätte durchaus Spielraum gehabt. Spielraum – ein komisches Wort, wenn es um das Dach über dem Kopf geht.“

Mit seinen Habseligkeiten in zwei Plastiktüten landete er abends im Obdachlosenasyl – und als er morgens aufwachte, waren die Tüten weg, gestohlen. Und er stand am Beginn eines „30-jährigen Krieges“, wie er seine Zeit auf der Straße beschreibt. „Hier herrscht das Faustrecht.“ Mit Behörden scheint er überwiegend schlechte Erfahrungen gemacht zu haben. Als Obdachloser sei man „schutzlos, rechtlos – und oftmals würdelos“.

Brox wünscht sich ein Recht auf Arbeit und Wohnen für alle

Zwei Ereignisse 2009 hätten die Wendung in sein Leben gebracht: Er war als Unbeteiligter nachts im Schlafsack mit Tritten traktiert worden. Von den jungen Leuten, die zuvor von seinem Kumpel massivst beleidigt worden waren. „Ihm haben sie ein Messer in den Leib gesteckt.“

Nach einem Unfall habe er auf der Intensivstation einer Klinik eine Nahtoderfahrung gemacht. „Das hat mich zu mir selbst gebracht.“ Die Bekanntschaft mit dem Enthüllungsjournalisten Günter Wallraf mündete nicht nur in der Biografie, sondern übergangsweise auch in einer eigenen Wohnung. Die gab Brox aber wieder auf. In der Jabachhalle sammelte er Spenden für ein Projekt, in das auch die Tantiemen für sein Buch fließen: Er betreut alte, schwer kranke Obdachlose und träumt von einem Hospiz-Hotel für sie. Von der Politik wünscht er sich, dass jeder Mensch ein Recht auf Arbeit und Wohnen habe, „nicht nur in einer Notschlafstelle“.

Rundschau abonnieren