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YouTube, TikTok, StandAuf welche Strategien Kandidaten aus Rhein-Sieg im Wahlkampf gesetzt haben

5 min
SPD-Landratskandidatin Sara Zorlu setzt im Kommunalwahlkampf auch stark auf TikTok.

SPD-Landratskandidatin Sara Zorlu setzt im Kommunalwahlkampf auch stark auf TikTok.

Hat der klassische Wahlkampf ausgedient? Drei Kandidaten von CDU, SPD und Grünen berichten, welches Fazit sie kurz vor der Kommunalwahl ziehen.

Unübersehbar prangt das Konterfei von Harry Schulz auf einem Riesenplakat am Kreisel Wellenstraße/Zeithstraße in Siegburg. Doch zum Auftakt seiner Kampagne sorgte der Bürgermeisterkandidat der CDU für Aufsehen in den sozialen Medien. Ein Video zeigte ihn beim Ärmelhochkrempeln, Joggen und vor allem im Anzug beim Sprung vom Fünfmeterbrett im Oktopus-Freibad. Die Botschaft war klar: Für die Christdemokraten soll ein Mann der Tat den Chefsessel im Rathaus der Kreisstadt erobern.

CDU-Bürgermeisterkandidat Harry Schulz springt für ein Wahlkampfvideo vom Fünf-Meter-Brett im Siegburger Oktopus-Bad.

CDU-Bürgermeisterkandidat Harry Schulz springt für ein Wahlkampfvideo vom Fünf-Meter-Brett im Siegburger Oktopus-Bad.

Nicht minder pfiffig gestaltete sich die Replik aus einem anderen politischen Lager: Die Siegburger Jusos ließen einen KI-generierten Anzugträger ebenfalls ins Wasser springen und spotteten so süffisant, dass Schulz zwar viel Action, aber wenig Inhalte präsentierte. Nach dem Motto „ich kann im Anzug schwitzen und schwimmen, also bin ich der richtige“.

Der Persiflierte sieht das gelassen: Schulz erläutert auf Anfrage, das Video sei wichtig gewesen sei, um für ihn als noch weitgehend unbekanntes Gesicht seinen Bekanntheitsgrad zu erhöhen. Mindestens ebenso wichtig wie Präsenz in den sozialen Medien aber sei ihm der klassische Wahlkampf mit Besuchen von Haustür zu Haustür: Seiner Erfahrung nach sei das Feedback an den Haustüren besser, ehrlicher und für ihn „emotional tragender“, als Kommentare oder Beiträge bei Instagram oder Facebook. „Ich habe schon 100 Blumen an einem Tag verteilt“, so Harry Schulz. Soziale Medien seien allerdings wichtig, um junge Wähler zu erreichen.

Für ihren Auftritt bei TikTok hat Landratskandidatin Sara Zorlu (SPD) einen 18-Jährigen eingestellt

Klassischen Wahlkampf mit Hausbesuchen und Wahlständen auf Marktplätzen und vor Supermärkten betreibt auch Sara Zorlu, die Landratskandidatin der Rhein-Sieg-SPD. „Ich mache das, seit ich mich für politische Ämter bewerbe“, sagt die 40-Jährige. „Allerdings habe auch ich festgestellt, dass das nicht mehr reicht, um alle Altersklassen mit meinen politischen Themen anzusprechen.“

Eine wichtige Rolle in Zorlus Wahlkampf spielen deshalb die sozialen Medien. Bei Instagram beispielsweise hat sie in den vergangenen Monaten vor allem mit Videos zu verschiedenen Themen ihre Reichweite deutlich gesteigert. Beim Versuch, gerade eine junge Zielgruppe als Wählerinnen und Wähler zu gewinnen, spielt aber TikTok eine noch wichtigere Rolle. Zorlu beschäftig dafür eigens einen Mitarbeiter, der selbst aus der Zielgruppe kommt: Ein 18-jähriger Abiturient managt den Wahlkampf der Eitorferin auf TikTok.

„Ich verlasse mich da völlig auf seine Expertise“, sagt Zorlu. „Wenn er mir sagt, dass meine Botschaften bei der jungen Zielgruppe in der Form, die ich vorschlage, nicht ankommen, dann machen wir das so, wie er es sagt.“ Mittlerweile erlebt Zorlu, dass der Social Media-Wahlkampf auch zurückwirkt auf den traditionellen Wahlkampf. „Zuletzt bin ich an Wahlkampfständen immer wieder auf ein TikTok-Video angesprochen, in dem ich über Frauenhäuser spreche.“

Wahlkampf auf TikTok: Zahlreiche Anfeindungen kommen vor allem aus der extrem rechten Ecke

Allerdings erlebt die SPD-Kandidatin nicht nur positive Rückmeldungen. Vor allem aus der extrem rechten Ecke gibt es auch zahlreiche Anfeindungen. „Das ist schon eine krasse Dynamik, die einen da mit voller Wucht trifft“, sagt Zorlu über Posts, die dann oft mit blauen Herzchen-Emojis gekennzeichnet werden, einem beliebten Erkennungszeichen von AfD-Anhängern. Beeindrucken lassen will sie sich davon nicht. „Man weiß ja auch nicht, wie viele dieser Reaktionen von echten Menschen kommen und wie viele von Bots.“

Angesichts dieser Art von Gegenwind auf Wahlkampf in den sozialen Medien zu verzichten, kommt für die Politikerin aber nicht infrage. „Dafür sind diese Kanäle zu wichtig, um auch junge Menschen über Politik und meine Positionen zu informieren.“

Grünen-Kandidat Thomas Möws aus Troisdorf wurde beim Haustürwahlkampf gebissen

Dass man beim Haustürwahlkampf nicht nur erfreuliche Begegnungen hat, musste auf schmerzhafte Weise Thomas Möws erfahren, der für die Grünen ins Rennen um das Bürgermeisteramt in Troisdorf geht: Ein Hund habe ihn gebissen, erzählt er; ein blauer Fleck und eine Schürfwunde waren die Folgen. Aber: „Bis ich Bürgermeister bin, ist das wieder weg“.

Damit er tatsächlich den Chefsessel im Rathaus erobert, haben die Troisdorfer Grünen in diesem Jahr stark auf Social Media gesetzt. „Wir hatten ein sehr gutes Social Media-Team“; Ziel sei es gewesen, das Internet nicht der AfD zu überlassen, die da sehr präsent sei. In Kurzfilmen präsentierten sich die Kandidierenden, wurden Themen aus dem Wahlprogramm erklärt. 

Ein ganz neues Format erprobten die Bündnisgrünen erstmals am vergangenen Wochenende: Beim „Graphic Recording“ konnten Besucherinnen und Besucher eines Infostandes ihre Wünsche und Ideen vortragen, die eine Zeichnerin dann bildlich umsetzte. „Mal was anderes als der normale Text“, so Möws. Auch am kommenden Samstag, 13. September, werde die Zeichnerin noch einmal am Stand der Partei in der Fußgängerzone zu erleben sein.

Eine junge Frau steht neben einem Plakat mit kleinen Zeichnungen. „Was können wir für dich in Troisdorf tun“, steht darüber.

Zum ersten Mal setzten die Grünen in Troisdorf das 'Graphic Recording' ein. Mit dem Zeichenstift brachte Linn Lehmann phantasievoll zu Papier, was sich die Besucher am Wahlkampfstand wünschten.

Kurz vor dem Wahlsonntag am 14. September sind die bislang Unentschlossenen im Visier

Darüber hinaus haben auch die Grünen auf klassische Wahlkampfmedien gesetzt. Die von der Stadtverwaltung gesetzte Obergrenze von 75 Plakaten in der Größe DIN AO haben die Wahlkämpfer der Partei ausgeschöpft. „Ganz bewusst“, so Thomas Möws, sei man damit in die Stadtteile und in Tempo-30-Zonen gegangen: Dort, so die Hoffnung, finden die Plakate mehr Aufmerksamkeit, als wenn die Umworbenen schnell vorbeirauschen.

Was man so kurz vor der Wahl noch erreichen kann? „Die Unentschlossenen kann man noch 'mal ansprechen“, hofft der Kandidat der Grünen. Beim Wahlkampffinale in der Innenstadt müsse man „sehen, wenn man noch erreicht.“ Laut Auskunft aus dem Rathaus haben 14.000 der rund 60.000 Wahlberechtigten in Troisdorf Briefwahl beantragt – es gibt also noch Potenzial.