Abo

Boutique bis KunstwerkverkaufRhein-Siegs Reisebüros suchen nach Krisen-Alternativen

Lesezeit 4 Minuten
Reisebüro Krise 1

Carmen Schiffer-Kesseler (l.) und Susanne Quadt haben Spaß am Verkaufen: nicht nur von Reisen, sondern auch von Second-Hand-Mode.

Rhein-Sieg-Kreis – Der Winter ist für die Reisebranche eine heiße Phase: Jetzt wird normalerweise der Sommerurlaub gebucht. Doch in der Pandemie ist alles anders, das Geschäft steht nahezu still.

City Reisebüro Schiffer

Statt Reisekatalogen liegen Jeans in den Regalen, dekorativ nach Farben sortiert. „Travel & Fashion“ heißt die neue Devise im City Reisebüro in Neunkirchen-Seelscheid. In der rechten Hälfte des Ladens von Carmen Schiffer-Kesseler werden weiterhin Kunden beraten, links lockt modische Kleidung zu günstigen Preisen. Und damit verwirklicht die Inhaberin des Geschäfts ihren „Plan B“, wie sie es nennt. „Die Pandemie hat die gesamte Branche hart erwischt“, sagt Schiffer-Kesseler, die im Vorstand der Werbegemeinschaft Neunkirchen-Seelscheid ist. Das Reisegeschäft ist in ihrem Unternehmen fast zum Erliegen gekommen.

„Aber ich betreibe mein Geschäft seit 30 Jahren und deshalb baue ich darauf, dass wir wohlbehalten durch die Krise steuern werden“, so Schiffer-Kesseler. Die Lösung, die sie nach Brainstormings und Marktanalysen mit ihren vier Mitarbeiterinnen gefunden hat: eine Second-Hand-Boutique, denn die gibt es in Neunkirchen-Seelscheid noch nicht. „Wir kaufen Markensachen ein, allerdings nicht von privat und auch nicht in Kommission“, umreißt die Ladeninhaberin das Konzept. Die Linie sei „jung, ausgefallen und modern – Sachen, die wir selbst gern tragen“, so Mitarbeiterin Susanne Quadt. Die Leidenschaft, Reisen zu verkaufen, lasse sich ohne weiteres auf die Mode übertragen, hat das Team herausgefunden – was den Reiz der fachfremden Tätigkeit erhöht. Die Resonanz sei groß, und einige Anfragen, eine entsprechende Boutique für Herrenkleidung zu eröffnen, gab’s ebenfalls.

Alles zum Thema Neunkirchen-Seelscheid

reisen + mehr

„Wir Deutschen reisen durch 98 Prozent der Welt und sind eigentlich immer willkommen. Nur jetzt nicht. Das ist völlig ungewohnt“, skizziert Petra Sültenfuß die Lage. Wer aktuell ein sicheres Urlaubsziel sucht, dem empfiehlt die Inhaberin von „reisen + mehr“ in Niederkassel die Kanaren. Doch es sind nur wenige Kunden, die sich darauf einlassen. „Die Leute verhalten sich sehr defensiv“, sagt die Reisebürokauffrau, und das gelte auch für die Planung des nächsten Sommerurlaubs. „Jetzt müsste es eigentlich losgehen, weil die neuen Kataloge eingetroffen sind. Es gibt auch Kunden, die sich beraten lassen. Aber Verträge kommen nur vereinzelt zustande. Davon aber leben wir“, sagt Sültenfuß.

Zurzeit aber lebt das kleine Reisebüro von der staatlichen Überbrückungshilfe; eine Mitarbeiterin ist in Kurzarbeit, mit einer Minijobberin hat Sültenfuß flexibles Aushelfen verabredet. Und weil die Kunden mit Fotos von sonnigen Paradiesen kaum zu ködern sind, hat sie ein Schaufenster kurzerhand umdekoriert und mit adventlichen Präsenten bestückt. Mit Konfitüren, Keksen und Kunsthandwerk rückt sie die Palette von karitativen Vereinen in den Blick, die ihre Produkte normalerweise auf Weihnachtsmärkten anbieten.

Derpart Papendick

Mit 90 Prozent Umsatzeinbruch rechnet Werner Papendick bis zum Jahresende. „Die Kunden sind sehr verunsichert“, sagt der Geschäftsführer von Derpart Reisebüro Papendick. Große Reiseveranstalter wie die DER-Touristik böten zwar die Möglichkeit, den Sommerurlaub bis 14 Tage vor Reiseantritt kostenlos zu stornieren oder umzubuchen. Aber die Resonanz sei äußerst verhalten. Das Familienunternehmen, das der 51-Jährige in dritter Generation führt, hat die Hälfte seiner 75 Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken müssen.

Und dennoch ist Papendick zuversichtlich: „Wir haben die Zeit genutzt, um unsere digitale Kommunikation zu modernisieren und Tüv-Zertifizierungen zu absolvieren. Unser Unternehmen ist durch die gute Eigenkapital-Ausstattung grundsolide aufgestellt. Ich gehe davon aus, dass wir gestärkt durch die Krise kommen. Der Wettbewerb verändert sich“, meint der Reisespezialist auf zahlreiche Schließungen von anderen Anbietern bundesweit.

Als Volldienstleister organisiert Papendick mit fünf Touristik-Filialen in Siegburg, Hennef, Troisdorf, Bonn und Hamburg nicht nur den privaten Urlaub, sondern bietet auch Reisen für Firmen, die 60 Prozent des Geschäfts ausmachen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Stabil blieb in der Pandemie das Geschäft mit den Marinetarifen: Sie werden von Seeleuten genutzt, die von ihren Schiffen und Bohrinseln in die Heimat geflogen werden. „Und wir haben in jüngster Zeit sogar Industriekunden gewonnen“, betont Papendick, was sich in der Eröffnung zweier neuer Standorte in Hamburg und Dresden widerspiegelt. „Das Reisen gehört bei den Firmen zur DNA. Persönliche Begegnungen werden auch künftig unerlässlich sein.“

Überzeugt ist er auch davon, dass das Reisebüro für den private Urlaub die erste Anlaufstelle bleiben wird. Im März hat Papendick mit den Reiseveranstaltern die Rückholaktion von Tausenden Menschen organisiert. Dieser Aufwand brachte zwar finanziell nichts ein, aber durchaus einen Imagegewinn. „Wir haben gezeigt, dass wir erreichbar und greifbar für die Menschen sind, im Gegensatz zu manchen Internetplattformen.“

Rundschau abonnieren