Auf Einladung des Freundeskreises Mewasseret Zion berichteten Israelis über die Situation in ihrem Land.
Vortrag und DiskussionIsraelische Stimmen über die Lage im Land berühren Publikum in Sankt Augustin

David Levy während seines Vortrags in Sankt Augustin
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Ein Mann mit roter Kappe steht auf der Bühne. „End this fuc*ing war“ ist in großen Lettern darauf zu lesen. Hinter ihm füllt ein Meer aus wehenden israelischen Flaggen die Leinwand. In der Aula der Fritz-Bauer-Gesamtschule verfolgen die Gäste das Bild, das zunächst nur Symbolkraft ausstrahlt, doch im Vortrag von David Levy eine konkrete Botschaft erhält. Es geht um Menschen, die kaum zu sehen sind, die aber für etwas eintreten: für ein Ende des Krieges, für ein friedliches Nebeneinander von Staaten im arabischen Raum und für ein Israel, das zugleich jüdisch und demokratisch bleibt.
Rund 100 Besucherinnen und Besucher waren der Einladung des Freundeskreises Mewasseret Zion gefolgt, um unter dem Titel „Meine Ängste um mein Land“ eine eindrucksvolle Dokumentation zu erleben. Mit Fotos, Musik und eindringlichen Worten berichteten David Levy und Ja’akov Avneri aus dem Kibbuz Ma'abarot nördlich von Tel Aviv von den politischen und gesellschaftlichen Umbrüchen in ihrem Land.
In Sankt Augustin werden tiefe Brüche in der Gesellschaft deutlich
David Levy, seit 25 Jahren als Gästeführer unterwegs, begann seinen Vortrag mit einem Zitat, das die Initiatoren der israelischen Protestbewegungen eint: „Es ist nicht so einfach zu sagen: ihr und wir. Denn das ‚Ihr‘, das könnte auch mein Bruder sein, der auf der anderen Seite steht.“ Damit machte er die tiefen Brüche in der Gesellschaft deutlich, die nicht nur das politische Leben, sondern auch Familienbeziehungen durchziehen. „Jahrelang war ich fest von der Existenz unseres Staates überzeugt. Heute empfinde ich diese Existenz nicht mehr als selbstverständlich.“
Levy schilderte, wie er den 7. Oktober 2023 erlebte: An jenem Tag war er mit einer Touristengruppe aus Köln unterwegs in Nazareth, zwei Tage später brachte er sie sicher bis zur jordanischen Grenze. Seitdem sei das „heißeste Thema“ der israelischen Gegenwart unausweichlich, erzählte er, und sprach von Verunsicherung, aber auch von dem Willen, Zugehörigkeit und tiefe Verbundenheit zum Staat Israel nach außen zu tragen.
Besonders eindringlich wurde dieser Gedanke, als Levy auf das Bild der wehenden Flaggen zurückkam: „Die Flaggen symbolisieren, was uns wichtig ist.“ Er zeigte Musikvideos aus einem Amphitheater, in dem Schlagzeuger, Geiger und unzählige Sängerinnen und Sänger ein Lied aus dem Jahr 1982 anstimmten, entstanden im ersten Libanonkrieg und heute wieder aktuell. „Es sind gesungene Emotionen“, erklärte er, „und wir möchten Ihnen ein Stück davon vermitteln.“
Ermordung Jitzchak Rabins prägt Israel bis heute
Levy nahm die Zuhörer mit auf eine Reise durch die politischen und gesellschaftlichen Brüche der vergangenen Jahrzehnte. Er spannte den Bogen vom Oslo-Abkommen 1993, das die Hoffnung auf ein friedliches Nebeneinander von Israelis und Palästinensern weckte, über die Ermordung des Ministerpräsidenten Jitzchak Rabin, ein Schock, der die israelische Gesellschaft bis heute prägt, bis hin zu den anhaltenden Anti-Netanjahu-Protesten der Gegenwart.

Für ein Ende des Krieges demonstrieren viele Menschen auch in Israel.
Copyright: Andrea Enzenberger
„Es sind harte Ereignisse, die wie Wendepunkte wirken und bis heute bestimmen, wie wir unser Land erleben“, sagte Avneri. Er beschrieb die Demonstrationen von zehntausenden Aktivisten, die für Demokratie und gegen politische Spaltung eintreten. „Wir stehen in einer Auseinandersetzung, die nicht nur unsere Politik, sondern auch das Fundament unseres Zusammenlebens betrifft.“
Zuhörer in Sankt Augustin diskutierten lebhaft
Im Anschluss entwickelte sich eine lebhafte Diskussion. Eine Frage zielte auf den Einfluss ultraorthodoxer Gruppen, insbesondere aus den USA: „Da fließt ja immer noch viel Geld nach Israel.“ Levy bestätigte den Einfluss und fügte hinzu: „Viele Gelder der Ultraorthodoxen kommen ins Land. Aber die noch größere Sorge betrifft die Ultraorthodoxen in Israel selbst. Sie sind eine große Last für die Gesellschaft, ihr Beitrag ist gleich null. Sie sitzen da, weil sie die politische Macht haben.“
Auch die Rolle der arabischen Minderheit wurde thematisiert. Avneri verwies auf mehrere israelisch-arabische Gruppierungen, die ebenfalls auf die Straße gehen und protestieren. Gleichzeitig beschrieb er die schwierige Lage: „Da die Polizei nichts gegen Konflikte und Gewalt tut, ist die arabische Gemeinschaft noch stärker isoliert. Das ist ein ganz, ganz großes Problem.“
Freundeskreis zeigt sich beeindruckt von der Resonanz
Besonders direkt war die Frage, wann sich die politische Situation ändern werde oder, wie ein Zuhörer formulierte: „Wann ist Netanjahu weg?“ Levy zeigte sich zuversichtlich: „Der Wendepunkt ist bald da. Diese Menschen, die sich einsetzen, arbeiten Tag und Nacht, sie bauen Infrastruktur auf. Schon jetzt gibt es viele Projekte. Die Hoffnung ist da, sonst gingen wir nicht auf die Straße.“ Er machte deutlich, dass sich die Erwartungen vieler Israelis auf die nächsten Wahlen im November 2026 richten.
Der Abend war geprägt von einer offenen und intensiven Stimmung. Der Referent beantwortete Fragen geduldig und ausführlich, viele Zuhörer zeigten sich bewegt und nachdenklich.
Die Vorsitzende des Freundeskreises, Anke Riefers, die den Abend eröffnete, zeigte sich beeindruckt von der Resonanz: „Wir wollten Raum für Begegnung und Austausch schaffen – das ist uns gelungen.“ Viele Gäste verließen die Veranstaltung wohl mit einem tieferen Verständnis für die komplexe Realität Israels und mit Dankbarkeit für die Möglichkeit, diese Eindrücke aus erster Hand zu gewinnen.