Ein Leben mit weit geöffneten Türen führt die Leuscheiderin schon seit vielen Jahren.
Offene TürenMathilde Höhlein aus Windeck betreut seit den 90er Jahren geflüchtete Menschen

Mathilde Höhlein (Mitte) aus Windeck öffnet seit Jahrzehnten die Tür für Menschen, die Unterstützung brauchen. Gaylina und Jakob Usikova kamen aus der Ukraine.
Copyright: Sylvia Schmidt
„Ich habe ein kunterbuntes Rentnerleben“, findet Mathilde Höhlein. In erster Linie führt die Leuscheiderin das auf ihre Gabe zurück, auf Menschen zuzugehen und die Tür zu öffnen, wenn diese in Not sind. Das bedeutet für sie: aufnehmen, begleiten, loslassen, Kontakt halten. Seit mehr als 30 Jahren haben Geflüchtete bei ihr Unterkunft und Unterstützung erhalten, waren Teil ihres Familienlebens, wurden ins Dorfleben eingebunden und nach Möglichkeit gefördert.
Besuch aus dem Irak
Erst wenige Tage zuvor haben David, Niko, Luka, jetzt zwölf, 15 und 19 Jahre alt, eine Woche Ferien bei ihr verbracht. Mit ihren Eltern kamen sie damals aus Georgien nach Leuscheid und sind vor acht Jahren nach Limburg umgezogen. Seither kommen sie jedes Jahr für eine Woche zu „Oma Leuscheid“.
Kaum waren sie weg, kamen Taraneh und ihr Bruder Mani aus dem Iran mit Sami aus dem Irak zu Besuch, ebenfalls junge Leute, die irgendwann bei ihr gewohnt haben. „Sie waren voll integriert, wir haben Karneval gefeiert, zusammen gegrillt, Ausflüge gemacht. Neben der ganzen Bürokratie halte ich es für wichtig, auch etwas Schönes zu unternehmen“, sagt Mathilde Höhlein. Samy ist Jeside, seine Mutter war bereits in Deutschland, als er mit seinen Geschwistern in einem Schlauchboot übers Meer flüchtete, um zur Mutter zu kommen. In Leuscheid gab ihm ein Iraner Deutschunterricht.
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Ein prägendes Erlebnis hatte Mathilde Höhlein bereits mit 14 Jahren: Damals besuchte sie eine Reha-Einrichtung für tuberkulosekranke Mädchen. „Es entspricht meinem christlichen Verständnis, nicht wegzuschauen“, sagt Mathilde Höhlein. Sie wurde Kinderkrankenschwester, heiratete den praktischen Arzt Dr. Harald Höhlein. Weil Ärztemangel herrschte, ließen die Eheleute sich von Ostfriesland nach Windeck locken. Ihr Mann übernahm 1970 die Praxis in Leuscheid, wo sie heimisch wurden.

Ihre Tür und ihre Stube hält Mathilde Höhlein stets offen für Menschen, die Hilfe benötigen.
Copyright: Sylvia Schmidt
Sie war im Praxisteam die Arzthelferin für alles. Dort kam sie Anfang der 90er Jahre mit den ersten Geflüchteten in Kontakt, hauptsächlich Iraner, die in der Gaststätte Paulus untergebracht waren. „In der Arztpraxis gehört hinterfragen dazu, ich habe mich für die Geschichten der Menschen interessiert.“
Die 77-Jährige erinnert sich an einen musikalischen Iraner. „Ihm habe ich mein Akkordeon ausgeliehen, damit er sich ein wenig ablenken kann. Die Ankömmlinge fühlten sich fremd, waren einsam.“ Sie besuchte sie zu Hause, und bald bildeten sich Freundschaften, von denen viele bis heute halten.
Nach dem Tod ihres Mannes, ihre drei Kinder waren erwachsen, absolvierte sie 2002 eine Hospizausbildung, später eine Ausbildung zur Trauerbegleiterin. Sie ist Gründungsmitglied des Hospizvereins Windeck-Eitorf. 32 Jahre wirkte sie im Presbyterium mit, organisierte 18 Jahre lang im Evangelischen Gemeindehaus eine Weihnachtsfeier, damit an Heiligabend niemand allein ist.
Großfamilie aus der Ukraine
Als 2015 Angela Merkel die Grenzen für syrische Flüchtlinge öffnete und Deutschland zutraute: „Wir schaffen das“, schrieb sie an die Kanzlerin einen ermutigenden Brief und dankte ihr für diese menschliche Geste. Während das Land sich bis heute an dem Satz entzweit, gehört Mathilde Höhlein zu denjenigen, die dem Satz Taten folgen ließen. Sie meldete sich bei der Gemeinde und nahm Syrer bei sich auf, arbeitete eng mit Sozialamtsleiter Wolfgang Wirths und dem Jugendamt zusammen.
Als Russland 2022 die Ukraine überfiel, wollte Mathilde Höhlein zwei Personen in ihre Wohnung im Obergeschoss aufnehmen. „Es ist immer aufregend, wer kommt. Ich hatte zur Begrüßung gelb-blaue Luftballons vor der Tür aufgehängt, einen großen Einkauf gemacht, aber täglich kam: niemand.“ Das änderte sich Ende April, als der Gemeindebus vor der Haustür hielt und eine Großfamilie, die Großeltern Jakob und Gaylina Usikova mit Kindern und Enkeln ausstiegen, die Männer sollten später nachkommen. „Bis dahin hatte ich Einzelne aufgenommen, da stand nun die ganze Familie.“

Liebevoller Eintrag im Gästebuch.
Copyright: Sylvia Schmidt
Als die Ankömmlinge erfuhren, dass sie getrennt untergebracht werden sollen, weinten sie furchtbar. Ein Nachbar, der russisch spricht, half übersetzen. Die Menschen hatten 2014 schon den Donbass-Krieg erlebt. Die Eltern der Schwiegertochter waren bei einem Bombenangriff auf ihr Auto ums Leben gekommen. Nun stand sie als Mutter mit Mann und zwei Kindern vor der Tür. „Das war sehr emotional, wir haben alle geheult. Abends um sechs Uhr sollte die Familie mit Baby nach Kuchhausen abgeholt werden.“ Mathilde Höhlein mobilisierte Tochter und Nachbarschaft und holte die junge Frau zurück.
Nach gut einem Jahr bekam die Familie eine Wohnung in Leuscheid, eine Arbeit, und alle sind gut integriert. Jakob Usikova hilft fast täglich am Sportplatz und kümmert um Sauberkeit in der Straße. Weihnachten feiern sie und ihre Familie mit den Ukrainern. „Alles hat sich gefügt“, sagt Höhlein zufrieden. „Opa und Oma sind glücklich, meine Enkel haben unser ungenutztes Hexenhäuschen nebenan für sie restauriert.“
Als Höhlein gesundheitliche Probleme hatte, kam eine Mutter, die mit ihrem Sohn bei ihr gewohnt hatte, und putzte die Wohnung. Andere brachten Gemüse und halfen anderweitig. „Ich bekomme ganz viel zurück“, betont Mathilde Höhlein. „Kennt man die Geschichten der Flüchtlinge, wird man demütig. Das Zusammenleben mit ihnen hat mich zu einer reichen Frau gemacht, nicht auf dem Bankkonto, ich habe nie Miete genommen, sondern mit all dem, was ich von ihnen zurückbekomme.“
2017 verlieh ihr Bundespräsident Joachim Gauck persönlich in Berlin das Verdienstkreuz am Bande. Mit ihren 77 Jahren hält sie an ihrem Leitsatz fest: „Wir müssen immer noch besser werden.“