Favoriten damals und heuteNie hat ein großer Außenseiter den WM-Titel geholt

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13.07.2014, Brasilien, Rio de Janeiro: Der deutsche Spieler Bastian Schweinsteiger (M) hebt den WM-Pokal neben seinen Teamkollegen Miroslav Klose (r) und Shkodran Mustafi (2.v.l.) in die Höhe. Schweinsteiger war die Symbolfigur des deutschen Kampfes im WM-Finale 2014.

In der Geschichte des Fußballs hat es bis zum heutigen Tag nur einmal einen Sensations-Weltmeister gegeben. Deutschland 1954. Der Schock dieses Ereignisses wirkt in diesem Sport nach wie die Hintergrundstrahlung, die der Urknall im Universum hinterlassen hat. Das Wunder von Bern war so groß, dass man keine Anführungszeichen für diesen Begriff braucht.

Dem Team von Sepp Herberger stand der größte Favorit gegenüber, der jemals im Endspiel einer WM stand: Ungarn. Vier Jahre und 31 Spiele lang waren die Magyaren ungeschlagen gewesen. Sie hatten die besten Einzelspieler und das beste System ihrer Zeit. Sie lagen schnell 2:0 in Führung. Und dann hat neun Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bei der Rückkehr auf die Bühne des Weltsports Deutschland gewonnen. Die Einzelheiten sind bekannt. „Rahn müsste schießen, Rahn schießt....“ Damit war eine große Fußball-Nation geboren – und eine andere untergegangen. Ungarn hat seitdem keine Rolle mehr gespielt im Weltfußball.

Nicht einmal die Niederlage der Brasilianer bei der Endrunde in ihrem Land 1950 hatte mehr Wucht. Uruguay war damals eine Fußball-Großmacht. Die 1:2-Niederlage im entscheidenden Spiel vor 200 000 Zuschauern stürzte den Ausrichter zwar in eine nationale Krise, die von einer hohen Zahl von Selbstmorden begleitet wurde, aber eine Außergewöhnlichkeit wie das Ereignis, das vier Jahre später in der Schweiz folgen sollte, war sie nicht.

Nur acht Länder konnten in 20 Weltmeisterschaften gewinnen

Rekorde

Der Kopfstoß von Zidane gegen Marco Materazzi 2006 im Finale Italien - Frankreich.

Der Kopfstoß von Zidane gegen Marco Materazzi 2006 im Finale Italien - Frankreich.

Erfolgreichster Schütze:

Miroslav Klose, 16 Tore, 2002 - 14

Die meisten Einsätze:

Lothar Matthäus, 25 Spiele

1982 bis 1998

Schnellstes Tor

Tor durch Hakan Sükür (Türkei),

2002 nach elf Sekunden gegen Südkorea

Schnellster Platzverweis

Rote Karte für José Batista (Uruguay),

1986 nach 52 Sekunden gegen Schottland

Jüngster Trainer

Juan José Tramutalo

(1930, Argentinien mit 27 Jahren)

Ältester Trainer

Otto Rehagel

(2010, Griechenland mit 71 Jahren)

Meiste Karten:

Zinédine Zidane (Vier Gelbe, Zwei Rote) in den Jahren zwischen 1998 bis 2006

Es sagt viel über das Wesen des Weltfußballs, dass es bei den bisher 20 Weltmeisterschaften nur acht Länder gab, die den Titel gewinnen können: Brasilien (5 x), Deutschland (4), Italien (4), Argentinien (2), Uruguay (2), Frankreich (1), England (1) und Spanien (1). Nur weitere vier Nationen konnten ein Endspiel erreichen. Die rätselhafteste unter ihnen ist gleichzeitig der einzig große Favorit, der niemals Weltmeister wurde. Die Niederlande mit dem unvergleichlichen Johan Cruyff hatten 1974 und 1978 die beste Auswahl zu den WM-Endrunden nach Deutschland und Argentinien geschickt.

Beide Male scheiterte die Elftaal im Finale gegen eine Auswahl des Gastgebers, die ihr technisch und taktisch prinzipiell unterlegen war. 2010 war die Geschichte anders. Da hieß der hohe Favorit Spanien. Und die niederländische 0:1-Niederlage in der Verlängerung war höchst verdient.

Aus diesem historisch gewachsenen Grund ist es alle vier Jahre sehr einfach, die Favoriten einer Weltmeisterschaft zu benennen. Es sind, in wechselnder Reihenfolge, immer Brasilien, Deutschland, Argentinien, Spanien, Frankreich. Und es wären auch die Italiener dabei, wenn ihnen nicht das Missgeschick passiert wäre, in der Qualifikation zu scheitern. Diese Länder haben alle Titel seit 1970 gewonnen. Man darf getrost viel Geld darauf verwetten, dass sich diese Tradition auch beim Turnier in Russland fortsetzen wird. Es ist Außergewöhnliches dazu nötig, um den höchsten Titel des Fußballs ohne dieses kollektive Wissen zu erringen. Als letzter Nation gelang dies Spanien 2010, allerdings erst nach jahrelanger Dominanz in Europa sowohl durch die Vereine als auch die nationale Auswahl. Nach dem Gewinn der EM 2008 waren die Iberer dem Rest der Welt so weit entrückt, dass sie den Fluch der Titellosigkeit bei Weltmeisterschaften 2010 in Südafrika unter großen Schmerzen in der Verlängerung des Finales gegen brutale Holländer brechen konnten. Seitdem muss man Spanien dank seiner riesigen Qualität immer zu den Favoriten zählen.

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Im selben Atemzug sind Brasilien und Deutschland zu nennen. Der Rekordweltmeister aus Südamerika weist diesmal untypische Merkmale auf, was ihn gefährlicher macht. Unter Trainer Tite hat die Selecao zu einer Form von Disziplin gefunden, die mit dem Samba-Fußball früherer Tage nicht mehr viel zu tun hat. Dennoch ist das Team dank seiner herausragenden Fußballer jederzeit in der Lage, auf Spektakelmodus zu schalten und Treffer aus dem nichts zu erzielen. Offenbar ist Superstar Neymar wieder fit geworden, wie er mit seinem Traumtor beim Test gegen Kroatien (2:0) bewies. Und der Kader verfügt gleich über zwei Torhüter der Extraklasse. Tite kann sich den Luxus leisten, den Hünen Alisson (AS Rom) dem gewandten Ederson von Manchester City vorzuziehen. Die Sache ist also ernst.

Über die Qualität des deutschen Kaders ist prinzipiell alles gesagt. Bundestrainer Joachim Löw muss aber mit der Last des Titelverteidigers antreten, der von allen gejagt wird. Dennoch hat er mehr Erfahrung darin als jeder andere Trainer der Welt, eine Auswahl guter Fußballer durch die Gruppenphase ins Halbfinale einer WM zu führen. Das ist ihm seit 2006, als er die rechte Hand von Jürgen Klinsmann war, in vier Versuchen immer gelungen.

Frankreich hat jede Position dreifach besetzt

Frankreich gilt als schillerndste Ansammlung von Fußball-Talent auf diesem Planeten. Die Equipe von Trainer Didier Deschamps hat jede Position doppelt und dreifach mit Weltklasse besetzt. Allerdings sagt uns ein Gefühl, dass die Fußball-Nation, die zuletzt 1998 Weltmeister wurde und sich 2010 in Südafrika vor aller Augen spektakulär selbst zerfleischte, einen Weg finden wird, kurz vor dem Ziel zu scheitern, wie ihr das bei der EM im eigenen Land im Finale gegen die biederen Portugiesen gelungen ist.

Und noch stärker hat der Zweifel seine Berechtigung bei den Belgiern, die mit ihrer Selektion von Premier-League-Stars um Kevin de Bruyne, Eden Hazard, Vincent Kompany, Romelu Lukaku und Jan Verthongen jeden Gegner schlagen können. Aber Belgien hat keine großen Fußball-Titel in seiner DNA. Und daran wird sich, wenn nicht mehrere Wunder geschehen, auch 2018 in Russland nichts ändern.

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