Zum 50. GeburtstagDas Tor des Monats – ein Klassiker seit dem ersten Tag
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Etabliertes Ritual beim Tor des Monats: Das Ziehen der Gewinner, hier mit Moderator Ernst Huberty (Mitte) und Mitarbeitern.
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Köln – Von den Junioren bis zu den Fußball-Altherren ist es ein geflügelter Ausdruck für einen Treffer der ganz besonders sehenswerten Art: das „Tor des Monats“. Und wer heute an die ARD Sportschau denkt, der denkt das „Tor des Monats“ gleich mit. Denn das, was anfangs nur eine originelle Idee eines WDR-Reporters war, entwickelte sich in Windeseile zu einer Marke, die Fußballdeutschland bis heute prägt – und nun ihren 50. Geburtstag feiert. Wir blicken zurück auf Rekorde, Persönlichkeiten und Kuriositäten.
Ein Ball klemmt im Winkel
Der Name Gerhard Faltermeier dürfte in Fußballdeutschland nur den wenigsten geläufig sein. Dabei steht er in den Geschichtsbüchern: Faltermeier wurde 1971 der erste Schütze eines „Tor des Monats“ in der ARD Sportschau. Am 28. März 1971 trat er mit Jahn Regensburg in der damals zweitklassigen Regionalliga Süd beim VfR Mannheim an und jagte einen Freistoß aus 20 Metern zum 2:0 in den linken Torwinkel. Der Schuss hatte solch eine Wucht, dass der Ball zwischen Torgestänge und Netz hängen blieb. Die Zuschauer der Sportschau kürten diesen außergewöhnlichen Treffer zum allerersten „Tor des Monats“.
Eine Erfolgsgeschichte
Dass es diese Abstimmung im Frühjahr vor 50 Jahren überhaupt geben konnte, lag vor allem an Klaus Schwarze. Der WDR-Reporter, später 18 Jahre lang Moderator der Sportschau, hatte die Idee aus England mitgebracht. Im April 1971 war es so weit: Erstmals wurde eine Tor-Auswahl für den Monat März vorgestellt. Was folgte, war eine Erfolgsgeschichte sondergleichen.
Einem Fußballer gefiel die allmonatliche Auszeichnung im Ersten besonders gut: Lukas Podolski sicherte sich zwischen 2004 und 2017 zwölfmal die „Tor des Monats“-Medaille. „Ich glaube, wir hätten sogar ein Einwurftor zur Wahl stellen können – das hätten seine Fans auch gewählt“, sagt WDR-Redakteur Christian Riewe in Bezug auf „Prinz Poldi“.
Erfolgreichster Schütze beim Tor des Monats: Lukas Podolski (hier als Medaillengewinner im Jahr 2004.
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Sein (bisher) letztes „Tor des Monats“ erzielte Podolski 2017 in Abschiedsspiel bei der Nationalelf gegen England. Der Poldi-typische Fernschuss in den Winkel wurde später gar zum Tor des Jahres gewählt. In der Sportschau-Jubiläumsdoku, die am Sonntag in der ARD läuft, schwärmt Podolski von jenem Moment im Dortmunder Stadion und meint: „Kann sein, dass der liebe Gott ein Poldi-Fan ist.“
Der Fallrückzieher-König
Nach dem Distanzschuss (151) und dem Volley (87) ist der legendäre Fallrückzieher mit 77 Toren die Art, in der am häufigsten das „Tor des Monats“ erzielt wurde. Und keiner konnte ihn so schön zelebrieren wie Klaus Fischer, der König der Fallrückzieher. Eines seiner spektakulären Tore schaffte es zu ganz besonderem Ruhm: Der Treffer am 16. November 1977 zum 4:1 im Länderspiel gegen die Schweiz in Stuttgart wurde Jahrzehnte später zum „Tor des Jahrhunderts“ gewählt.
Das Jahrhunderttor, das aus der Auswahl zum Tor des Monats stammt, erzielte Klaus Fischer 1977 per Fallrückzieher.
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Der alte Mann und das Tor
Eine der größten Sensationen war im Jahr 2001 der Triumph des 79-jährigen Kurt Meyer. Für eine Reportage über Altherrenfußball war ein WDR-Team beim Ü-40-Spiel zwischen Blau-Weiß Post Recklinghausen und dem FC Jungsiegfried Hillerheide. In der 38. Minute schlug Meyers Sternstunde, als er die Recklinghausener mit einem schönen Schlenzer in den Winkel mit 1:0 in Führung brachte – und die Kamera hielt voll drauf. Die Sportschau-Zuschauer wählten den Treffer zum „Tor des Monats“ und später zum „Tor des Jahres“ – und machten Meyer damit zum ältesten Geehrten überhaupt.
In die Geschichtsbücher
Der 8. September 1974 machte Bärbel Wohlleben zum ersten Promi des deutschen Frauenfußballs: Da traf sie im ersten offiziellen Endspiel um die deutsche Meisterschaft mit einem satten Rechtsschuss aus 20 Metern ins Tor.
Wie die JVA Köln zum Tor des Monats kam
Die Abstimmungen der Zuschauer zum Tor des Monats - zu Beginn noch in Postkarten - gingen vom Start weg durch die Decke. „Es gab mal eine Hochzeit Ende der 1970er, wo bei jeder Wahl millionenfach Postkarten eingesendet worden sind“, berichtet WDR-Sportredakteur Christian Riewe, der heute verantwortlich ist für das „Tor des Monats“. Die Postkartenflut war der Sportschau-Redaktion bereits Mitte der 70er-Jahre über den Kopf gewachsen. Es wurde dringend nach Unterstützung für die Auszählung gesucht. Fündig wurde man bei der JVA Köln, auch als „Klingelpütz“ bekannt. Jobs für die Gefangenen waren hier immer gern gesehen. So kam es, dass die Häftlinge für die Sportschau Hunderttausende Postkarten nach Treffern sortierten und so ein nicht unbedeutender Teil der „Tor des Monats“-Geschichte wurden.
Es war nicht nur das 3:0 ihres TuS Wörrstadt gegen Eintracht Gelsenkirchen-Erle, sondern auch das erste „Tor des Monats“ einer Frau in der ARD Sportschau. „Erst viel, viel später habe ich gemerkt, dass das eine Art Initialzündung für den Frauenfußball war“, erzählte Wohlleben Jahrzehnte danach. Auf Bärbel Wohlleben sollten bis heute 13 weitere Torschützinnen des Monats folgen. Der prominenteste Treffer dürfte das „Golden Goal“ von Nia Künzer im WM-Finale 2003 gegen Schweden sein.
Gewinner ohne Ehrung
Das erste Eigentor in der „Tor des Monats“-Historie erzielte Helmut Winklhofer vom FC Bayern München im August 1985 im Spiel bei Bayer Uerdingen, als er den Ball aus 30 Metern über Torwart Jean-Marie Pfaff hinweg ins eigene Tor drosch. Winklhofer und Pfaff wurden nach erfolgter Wahl zur Medaillenübergabe ins Sportschau-Studio eingeladen. Die Bayern-Verantwortlichen fanden diese „Auszeichnung“ hingegen gar nicht lustig: Manager Uli Hoeneß war stinksauer und verbot Winklhofer und Pfaff, zur Ehrung zu fahren.
Überdimensionale Muscheln
Im Laufe der 50 Jahre haben sich die Sportschau-Redakteure die ein oder andere exotische Idee einfallen lassen, um dem „Tor des Monats“ und der Auswahl der Zuschriften noch mehr Glanz zu verleihen. Besonders gut meinte es die Redaktion immer wieder mit Rainer Bonhof: 1978 wurde er als Torschütze des Monats Oktober bei seinem neuen Verein in Valencia besucht. Die ARD engagierte für den TV-Beitrag extra einen Taucher, der die Postsäcke voller Zuschriften aus dem Mittelmeer an die Costa Blanca zog. Hier wurden die Karten dann auf einen Eselskarren geladen, und Bonhof konnte aus den Abertausenden Zuschriften die Gewinner-Post ziehen – unter den Augen seiner sehr interessiert wirkenden Teamkollegen. Ein weiteres Mal durfte er als Monatssieger auf zwölf mit Zuschriften gefüllte Säcke in einem Tor schießen – er traf Sack Nummer 6, aus dem dann die Gewinner gezogen wurden.
Völlig skurril wurde es nach Bonhofs Wahl zum „Tor des Jahres“ 1978. Bevor die Gewinner-Zuschriften aus einem der Postsäcke gelost wurden, musste Bonhof eine nummerierte Apfelsine aus einer Schale ziehen. Diese Schale wurde ihm von einer jungen Losdame gereicht, die dem Zuschauer als „Maria Jesus“ vorgestellt wurde. Dass das junge Mädchen dafür in einer glitzernden Landestracht aus einer überdimensionalen Muschel stieg, setzte dieser bizarren Situation die Krone auf.
Seltene Pausen
Das „Tor des Monats“ gilt seit fünf Jahrzehnten als Dauerbrenner. Lange Jahre wurden jedoch imDezember und häufig auch im Januar keine Tore gekürt, weil keine Spiele stattfanden. Gleiches galt für spielfreie Monate im Sommer. Seit Juli 2004 - damals gewann das Kopfballtor des Griechen Angelos Charisteas im EM-Finale - wurde aber durchgehend gewählt. Bis zum März 2020. Dann kam Corona, und der April 2020 musste ohne „Tor des Monats“ auskommen. Insgesamt wurde in 50 Jahren nur 43-mal kein „Tor des Monats“ gewählt. In allen anderen Monaten durfte sich jemand über die legendäre Sportschau-Medaille freuen. Freuen darf sich Sonntag auch die Sportschau-Redaktion, wenn das erste „Tor des Monats“ von Gerd Faltermeier auf den Tag genau 50 Jahre zurückliegt. Zur Feier des Tages zeigt die ARD ab 18.30 Uhr die Dokumentation „50 Jahre Tor des Monats“. Ein Termin, den sich Fußballliebhaber wohl nicht entgehen lassen sollten.