Seit 2020 ist assistierter Suizid in Deutschland unter Bedingungen erlaubt. Laut Studien kommt es zunehmend zu Anfragen. Mediziner und Kirche ringen um eine Haltung.
Immer mehr assistierte SuizideDer Wunsch nach einem letzten Medikament

Immer mehr Menschen scheiden freiwillig aus dem Leben.
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„Doktor, gibt es nicht eine Spritze, um mich zu erlösen?“ Solche und ähnliche Fragen, wie man mit ärztlicher Hilfe seinen Tod herbeiführen kann, kennt der Palliativmediziner Christian Schaefer aus seiner langjährigen Berufspraxis. „Anfragen in diese Richtung gab es schon immer. Ich erkläre dann, wie die Medizin Leiden mit Schmerzmitteln lindern kann. Den meisten Patienten reicht das als Antwort aus.“ Doch nicht alle Menschen in einer Notlage geben sich damit zufrieden. Seit 2020 haben sie das Recht auf ihrer Seite. Damals hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass in Deutschland ein assistierter Suizid erlaubt ist, unabhängig vom Gesundheitszustand – unter bestimmten Bedingungen. So muss klar sein, dass die Person weiß, was sie tut, wenn sie sich mit medizinischer Hilfe das Leben nehmen will, zudem muss sie Alternativen zur Vermeidung von Schmerzen kennen.
Die Entscheidung darf nicht von außen beeinflusst werden
Sie darf nicht aus einem Affekt handeln und der Wunsch zum Freitod muss dauerhaft bestehen – das schließt Menschen mit einer psychischen Krankheit weitgehend aus. Die Entscheidung darf nicht von außen beeinflusst und der Suizid muss eigenhändig ausgeführt werden. Eine andere Person darf ein tödliches Medikament also nur bereitstellen, einnehmen muss man es selber. Eine Möglichkeit, die zunehmend genutzt wird: Nach Angaben des Forschungsnetzwerkes Suizidassistenz gab es im vergangenen Jahr bundesweit knapp 900 Fälle. Assistierter Suizid – ein Begriff, der auf Berufsgruppen verweist, die Kranke und Sterbende begleiten. Nach verschiedenen Studien werden vor allem Pflegekräfte in Krankenhäusern und Pflegeheimen darauf angesprochen, ob sie nicht ein Mittel besorgen können, das dem Leben ein Ende bereitet. Auch an Mediziner und Seelsorger wenden sich Menschen in einer Notlage mit diesem Wunsch. Bei einer aktuellen Online-Umfrage der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin lehnen von den rund 800 teilnehmenden Medizinern 17 Prozent einen assistierten Suizid ab.
61 Prozent halten ihn bei kranken Patienten für möglich, weitere 20 Prozent würden ihn auf Wunsch auch bei gesunden Menschen unterstützen. Welche Einstellungen Seelsorger haben und wie sie im konkreten Fall handeln würden, hat das Forschungsprojekt „Seelsorge und Assistierter Suizid“ des Zentrums für Gesundheitsethik (ZfG) an der Evangelischen Akademie Loccum näher betrachtet. Dafür wurden per Online-Umfrage 1600 Pastoren der evangelischen Landeskirche Hannover befragt. Zudem gab es 20 ausführliche Interviews mit Seelsorgern, die vor allem in Krankenhäusern und Altenheimen tätig sind. In der Umfrage sagten 70 Prozent, dass sie ihr Verhalten vom Einzelfall abhängig machen würden, 19 Prozent lehnten einen assistierten Suizid ab, 11 Prozent würden in jedem Fall den Patienten bis in den Tod begleiten.
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Patienten wägen das Für und Wider genau ab
„Diese unterschiedlichen Einstellungen haben wir auch in den Interviews festgestellt. Dabei suchen alle Seelsorger das Gespräch, um die Notlage besser zu verstehen und verzichten darauf, ihrem Gegenüber den Todeswunsch auszureden“, sagt ZfG-Studienleiterin Dorothee Arnold-Krüger. Sie verweist darauf, dass die Anwesenheit eines Pastors im Moment der Medikamenteneinnahme in vielen Fällen gewünscht sei. „Aus den Antworten ergibt sich auch, dass sich viele Krankenhäuser erst seit kurzem mit dem Thema assistierter Suizid beschäftigen. Wenn Patienten diesen Wunsch äußern, werden sie teilweise nach Hause, in eine Pflegeeinrichtung oder ein Hospiz entlassen“, sagt Arnold-Krüger. Sie spricht zudem davon, dass sich Patienten vor einer Entscheidung für einen assistierten Suizid oft über einen langen Zeitraum mit dem Thema auseinandersetzen und das Für und Wider genau abwägen. Innerhalb der evangelischen und der katholischen Kirche gibt es eine kontroverse Diskussion über den assistierten Suizid, der vor allem von Seiten der Kirchenleitungen abgelehnt wird. Michael Brems, Vorsitzender der Konferenz für Krankenhausseelsorge in der Evangelischen Kirche Deutschland, hält es dagegen für nötig, Menschen im Einzelfall bis in den Tod zu begleiten.
Mann im Rollstuhl stürzt sich in die Flensburger Förde
Er berichtet von einem Mann, der nach einem Unfall vom Hals ab gelähmt war und seinen Rollstuhl nur mit dem Kinn steuern konnte. „Nach neun Monaten im Krankenhaus kam er in ein Pflegeheim. Er hat mir gesagt, dass er immer noch gern lebt, aber manchmal vor der Zukunft Angst habe. Eines Tages hat er sich mit seinem Rollstuhl in die Flensburger Förde gestürzt und ist ertrunken“, sagt Brems und fügt hinzu: „Ich hätte ihm so sehr einen friedlichen Übergang in eine andere Welt gewünscht. Es wird immer Menschen geben, die unerträglich leiden. Dann muss ich helfen.“ Wer seinen Entschluss getroffen hat, für den dürften oft die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben, Dignitas Deutschland oder der Verein Sterbehilfe Ansprechpartner sein.
In den Sterbehilfeorganisationen muss man zahlendes Mitglied werden, um seinen Todeswunsch erfüllt zu bekommen. Erst nach Gesprächen mit Juristen und Medizinern, Prüfung von Unterlagen und einem Gutachten kann grünes Licht für den assistierten Suizid gegeben werden. Das führt nicht selten noch einmal zum Überdenken der eigenen Entscheidung: Der Verein Sterbehilfe weist darauf hin, dass 180 Mitglieder, die im vergangenen Jahr alle rechtlichen Bedingungen erfüllten, sich letztlich für ein Weiterleben entschieden. Laut einem aktuellen Bericht des Bayerischen Rundfunks hat ein Team des Gesundheitsamtes München und der Rechtsmedizin der Münchner Uni sämtliche Sterbeakten in der bayerischen Landeshauptstadt seit 2020 ausgewertet. Dabei wurden 77 Fälle von assistiertem Suizid festgestellt. Nur eine Person, die ein todbringendes Medikament einnahm, war sterbenskrank.
In vielen Fällen handelte es sich um alte Menschen, die aus Angst vor den möglichen künftigen Auswirkungen einer Krankheit wie Kontrollverlust und Pflegebedürftigkeit mit fremder Hilfe aus dem Leben schieden. Kritisch merkt der Bericht an, dass die Erstellung eines Gutachtens, die Verordnung eines tödlichen Medikaments, die Suizidassistenz und die ärztliche Leichenschau in vielen Fällen in der Hand eines einzigen Arztes lag.

