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Interview

Ehepaar vom Bondi Beach
„Ich hatte noch nie so eine Angst“

5 min
Sydney: Ein Blumenschmuck vor dem Bondi Pavilion am Bondi Beach in Sydney.

Sydney: Blumenschmuck vor dem Bondi Pavilion am Bondi Beach in Sydney.

Tascha und Hendrik Hoffmann aus Hannover haben den Anschlag am Bondi Beach in Sydney hautnah miterlebt. Im Interview schildern sie ihre Erlebnisse zwischen Schock, Angst und Solidarität.

Am Sonntag hat sich der Bondi Beach in Sydney in einen Ort des Schreckens verwandelt: Ein antisemitischer Terroranschlag forderte mindestens 16 Todesopfer. Unter den Augenzeugen waren Tascha (27) und Hendrik Hoffmann (31), ein Paar aus Hannover. Im Gespräch mit Barbara Barkhausen schildern sie, wie unbeschwerte Strandtage in puren Schrecken kippten – und wie die Gemeinschaft inmitten der Angst zusammenrückte.

Tascha und Hendrik Hoffmann, Sie sind nach Australien gekommen, um Ihren Traum von Work and Travel zu verwirklichen. Was hat Sie am Bondi Beach so fasziniert?

Hendrik: Für uns war Sydney immer ein Sehnsuchtsort. Seit dem 5. November sind wir hier und waren seitdem eigentlich jeden Tag am Bondi Beach. Wir arbeiten da beide, unsere erste Unterkunft war nur 50 Meter vom Strand entfernt. Bondi Beach war für uns das Paradies: bestes Wetter, Menschen, die den ganzen Tag lächeln, ein Ort ohne sichtbare Sorgen. Keine Armut, keine Kriminalität – nur dieser leichtlebige, sonnige Surfervibe, den man sich immer erträumt. Es ist schwer, einen Ort zu finden, an dem man sich so zu Hause fühlt. Die Community hier ist unglaublich stark – man unterhält sich täglich mit fremden Menschen und fühlt sich sofort verbunden.

Sie haben den Anschlag am Bondi Beach miterlebt – waren nur rund 200 Meter vom Anschlagsort entfernt. Wie war das Gefühl, als die ausgelassene Stimmung am Strand plötzlich in Panik umschwenkte?

Tascha: Plötzlich war Bondi kein sicherer Ort mehr. Sonntags gibt es bei uns im Lamrock Café, wo ich arbeite, immer Livemusik bis etwa 18.30 Uhr. Die Stimmung war ausgelassen. Wir Mitarbeiter sangen gemeinsam mit den Gästen, trommelten mit Gabeln auf Töpfe und tanzten unbeschwert. Als der Musiker gerade fertig war, hörten wir etwas, das sich wie Feuerwerk anhörte. Was für ein schönes Ende des Tages, dachten wir noch. Doch am Himmel war kein Feuerwerk zu sehen. Dafür war es auch noch viel zu hell.

Hendrik: Ich selbst war noch unterwegs. Erst kam ein erster Schuss, dann zehn Sekunden nichts, dann ganz viele Schüsse auf einmal. Als die Leute anfingen zu rennen, verstand man: Hier stimmt etwas nicht. Dann bin ich einfach mitgerannt.

Rückkehr zur Normalität: Ein Surfer am Bondi Beach

Rückkehr zur Normalität: Ein Surfer am Bondi Beach

Was ging Ihnen in diesem Moment durch den Kopf?

Tascha: Man wusste gar nicht, wie viele Täter es sind. Wo zur Hölle ist mein Ehemann? Kommt gleich einer den Berg runter? Das Schlimmste war: Wir kannten das Ende noch nicht. Wenn man solche Nachrichten liest, ist es vorbei. Wir waren dabei, als es noch nicht vorbei war und wir den Ausgang noch nicht kannten. Ich rannte durch die Küche in den Hinterhof und wählte Hendriks Nummer. Um diese Uhrzeit ist er normalerweise auf dem Weg zu mir, um mir beim Reinräumen der Tische zu helfen.

Sie haben sich in diesem Moment nicht sofort gefunden. Wie war das?

Tascha: Ich wusste nicht, wo er ist. Er hatte mir geschrieben, er komme zur Live-Musik ins Café, aber er kam nicht. Dann die Whatsapp: „Barbecue?“ – vielleicht war er doch woanders. Ich rief ihn an – keine Antwort. Mein Herz raste wie noch nie. Er ging nicht ans Handy. Ich hatte noch nie in meinem Leben so eine Angst. Ich wusste einfach nicht, wo er war. Um mich herum schrien Menschen, jemand rief, man solle das große Tor schließen. Und dann sah ich ihn: Ein blonder Mann sprintete noch hinein. Hendrik. Ich war noch nie so glücklich, ihn zu sehen.

Hendrik: Ich wusste, dass Tascha im Café war, das war ein gutes Gefühl. Aber andersrum, wenn du nicht weißt, wo dein Partner ist, der irgendwo safe da draußen ist – das ist ein richtiges Scheißgefühl.

Nachdem Sie einander wiedergefunden hatten, haben Sie sich eineinhalb Stunden in einem Tattoo-Studio versteckt. Was ist dort passiert?

Tascha: Die Hintertür eines Tattoo-Studios im Innenhof öffnete sich, und alle rannten hinein. Wir waren etwa 40 Leute in diesem Raum. Wir versteckten uns unter Tischen, hielten uns an den Händen, die vor Angst zitterten. Die Besitzerin des Studios kümmerte sich rührend um uns, bot Wasser aus den Kühlschränken an und versuchte, uns zu beruhigen. Viele haben geweint, gezittert. Wir waren noch mit die Stabilsten. Das Schlimmste war, dass teilweise an der Tür gerüttelt wurde, weil noch Leute reinkamen. Wir wussten nie: Wer ist das? Machen wir auf? Neben uns saß ein Mädchen, das an diesem Tag 30 geworden war. Ihr Tattoo wurde mitten im Stechen abgebrochen. Hendrik wollte sich auf unserer Reise eigentlich auch ein Tattoo in Bondi stechen lassen. An diesem Abend änderte sich seine Meinung schlagartig.

Hendrik: Die ganze Zeit erreichten uns Fake-Informationen über soziale Medien und Whatsapp. Nach zehn Minuten hieß es: „Alles sicher.“ Eine Minute später: „Doch nicht.“ Dann Nachrichten über Schüsse in den Nachbarstadtteilen Double Bay und Coogee – alles nicht wahr. Es hat sich angefühlt, als wären 30 Minuten lang Schüsse gefallen, dabei waren es wohl nur sechs Minuten. Das Schlimmste, wenn man mittendrin ist: Man kennt das Ende nicht.

Wie haben Sie die Zeit danach erlebt?

Tascha: Wir liefen die zehn Minuten nach Hause, bergauf. Auf dem Weg sahen wir durch Fenster hindurch überall flackernde Fernseher. Wir wussten immer noch nicht genau, was passiert war. Als ich am nächsten Tag wieder arbeiten war, konnte ich nicht mehr an der Straße sitzen. Ich hatte Angst, dass jemand das Fenster im Auto runtermacht und wieder schießt. Das klingt vielleicht krank, aber so eine Angst hatte man. Bei der Gedenkveranstaltung am Pavillon mit über 100 Polizisten fühlte ich mich in der Menschenmasse nicht sicher. Ich wollte nur weg.

Gab es Momente der Anteilnahme, die Sie berührt haben?

Tascha: Ja, die Anteilnahme der Australier nach dem Anschlag war überwältigend. Als wir zum Bondi Beach runtergingen, war der Strand zum ersten Mal leer. Überall Absperrband, überall Security. Es war bewölkt, es nieselte – manchmal ist das Wetter der ehrlichste Spiegel der Gefühle einer Gesellschaft. An uns vorbeigingen unendlich viele Menschen mit Blumen. Die Menschen umarmten sich auf der Straße. Polizisten bekamen Kaffee von den Café-Besitzern, zwei Mädels versorgten die Arbeitenden an den Straßensperren mit Getränken und Schokolade. Die Anteilnahme am Bondi Beach Pavilion war unbeschreiblich. Gefühlt ganz Sydney kam nach Feierabend vorbei, um Blumen niederzulegen.

Hendrik: Auch Menschen, die wir kannten – unsere Gastmutter, der Café-Besitzer – waren erschüttert, teilweise mit Tränen in den Augen. Unsere Gastmama Paula weinte, als wir nach Hause kamen. Für sie war ihre sichere Heimat plötzlich nicht mehr sicher. „Warum haben sie uns hier gefunden?“, fluchte sie. „Warum auch hier?“ Zum ersten Mal schloss sie an diesem Abend die Haustür ab – eine Tür, die sonst immer offen steht.