„Wie in einem Horrorfilm“Wie eine Bus-Unternehmerin Ukrainern bei der Flucht hilft
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Viele Ukrainer wollen derzeit nach Polen fliehen. Natalie Volk hilft dabei.
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Köln – Ob sie gerade sprechen könne? „Später“, schreibt Natalia Volk am Wochenende zurück. „Ich evakuiere gerade die Leute.“ Seit Tagen organisiert, umdisponiert und telefoniert sie rund um die Uhr. „Es ist wie im Horrorfilm“, erzählt Volk in einer ruhigeren Sekunde mit zittriger Stimme. Mal ist ein Busbahnhof zerbombt, mal eine Brücke zerstört, mal fehlen die Fahrer. Seit Tagen schläft sie kaum.
Zur Geburt der Enkelin nach Deutschland gereist
Volk ist Chefin des Busunternehmens „Euroclub“. Die quietschgelben Busse sind normalerweise günstige Alternativen für Osteuropa-Reisende. Sie gehören auch in Deutschland zum gewohnten Bild auf den Autobahnen, pendeln zwischen West- und Osteuropa. Jetzt sind die Busse für viele Ukrainer der Weg in die Sicherheit.
Unternehmerin Natalia Volk hilft den Ukrainern dabei, das Land zu verlassen.
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Eigentlich war Volk im Januar nach Deutschland gereist, um bei der Geburt ihrer Enkelin dabei zu sein. Am 1. März wollte sie zurück in die Ukraine. Der russische Angriff durchkreuzte ihre Reisepläne. Jetzt sitzt sie in Köln und macht aus der Not eine Tugend.
In sozialen Netzwerken wie Facebook informiert sie, wo welche Busse ihres Unternehmens fahren, und rekrutiert Personal. „Suche Fahrer in Richtung Polen oder Deutschland – Familie kann kostenlos mitgenommen werden“ – lautet einer dieser Beiträge. „Die Hälfte unserer Fahrer ist im Krieg, die andere Hälfte ist geflohen“, sagt die Unternehmerin. Die Fahrten direkt aus Kiew heraus sind seit Tagen schon ein Wagnis angesichts der vorrückenden russischen Truppen.
Verstopfte und zerstörte Straßen in Ukraine
60 bis 80 Stunden hätten die letzten Busse, aus der Ukraine kommend, bis zu ihren Zielen in Deutschland gebraucht. Die Straßen in der Ukraine sind verstopft oder zerstört. An den Grenzen warten Tausende auf Einlass in die Europäische Union.
Aber auch in die andere Richtung fahren Volks Busse – bis hinein in die Ukraine. Es ist eine Reise ins Ungewisse. Am Samstag beispielsweise startete ein Bus um 7 Uhr morgens in Köln, fuhr über Hannover und Berlin. Überall stiegen Menschen zu. In der niedersächsischen Landeshauptstadt lagen sich zwei Schwestern weinend in den Armen. Die eine blieb in Deutschland, die andere wollte heim in die Ukraine. Der Bus kam bis Lwiw, einer ukrainischen Großstadt in der Nähe der polnischen Grenze. An Bord befanden sich Rentner, Familienväter und junge Männer, die ungeachtet des Krieges in die Heimat wollten – zur Familie.
„Mein Sohn lebt in Kiew. Ich muss da hin“, sagte die 70-jährige Svitlana Khadvova unserer Redaktion. Ob sie die umkämpfte Hauptstadt mittlerweile erreicht hat, ist nicht klar. Ihr Telefon scheint abgeschaltet zu sein.
Ebenfalls im Bus befand sich der Student Dmytro, der zu seinen Eltern reisen wollte. Die Heimatstadt des 22-Jährigen liegt in unmittelbarer Nähe der Kämpfe in der Südukraine; von Lwiw eine Tagesreise entfernt. Am Montagabend meldete er sich auf dem Kurznachrichtendienst Telegram: Er sei angekommen. „Morgen schließe ich mich der ukrainischen Armee an.“ Die Kämpfe in seiner Heimatregion dauern an.
Kämpfe um Heimatstadt von Volk dauern an
Busunternehmerin Volk sitzt derweil in Deutschland und organisiert. „Ich habe große Erfahrung 2014 gesammelt“, sagt sie. Damals annektierte Russland die Krim und stiftete Bürgerkriege im Osten der Ukraine an. Auch damals flohen viele Menschen, auch damals häufig per Reisebus. „Dass es noch schlimmer werden kann als damals, hätte ich nicht gedacht“, sagt die Unternehmerin.
Nun wird auch um ihre Heimatstadt Kiew gekämpft. „Ob ich Kiew noch mal wiedersehe?“, fragt sie und schiebt eine weitere Frage hinterher: „Ob es die Ukraine morgen überhaupt noch gibt?“ Alles ist unklar.
Volk muss weiter organisieren. Nicht nur die Bustouren, sondern auch das, was danach mit den Menschen geschieht, wenn sie in Sicherheit sind. „Wenn die Busse hier ankommen, stehen die Leute auf der Straße. Nichts ist vorbereitet.“ Gerade sucht sie nach einer Unterkunft für eine Familie, die Frau sei schwanger, sagt Volk, die von der Busunternehmerin zur Flüchtlingshelferin wurde.