Eine viel beachtete Studie zu den wirtschaftlichen Folgen der Erderwärmung enthielt gravierende Fehler. Die Korrektur der Daten wirft grundsätzliche Fragen zur Qualitätskontrolle auf.
Wegen RechenfehlerRenommierte Klimastudie steht in der Kritik

Eine Studie zur Wirtschaftsleistung und dem Klimawandel gerät ins Wanken. Forscher stellen einige Fehler fest.
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Wie groß die Schäden sind, die der Klimawandel anrichtet, etwa durch Hitze oder Dürre, ist eine Frage großer politischer Sprengkraft. Mit der Antwort wird zum Beispiel die Forderung nach Kompensationszahlungen an betroffene Länder begründet.
Im April 2024 veröffentlichte das Wissenschaftsmagazin „Nature“ eine Studie zur Abschätzung der künftigen Schäden, die hohe Wellen schlug. Das aufsehenerregende Resultat: Bis zum Jahr 2050 werde das weltweite Bruttoinlandprodukt wegen des Klimawandels um 19 Prozent niedriger ausfallen als in einer Welt ohne Klimawandel; bis 2100 müsse man sogar mit einer Reduktion um 60 Prozent rechnen. Diese Zahlen waren deutlich höher, als Forscher bis anhin berechnet hatten.
Klimawandel-Studie: Fehlerhafte Daten aus Usbekistan
Das Medienecho war groß, und auch in der Wissenschaft fand die Studie viel Resonanz. Seit ihrer Publikation wurde sie in mehr als 300 anderen Studien zitiert. Außerdem wurde sie als eine relevante Quelle von mehreren internationalen Organisationen berücksichtigt, etwa von der OECD und der Weltbank.
Seit der Publikation der prominenten Studie zu den Klimaschäden sind allerdings erhebliche Zweifel an ihr aufgekommen. In den vergangenen Wochen erschienen bei „Nature“ zwei Beiträge, die deutliche Kritik an der Arbeit üben.
Um die Schäden der globalen Erwärmung zu berechnen, hatten sich die Autoren um Maximilian Kotz vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung auf Daten aus 1600 Regionen gestützt, die in den vergangenen 40 Jahren erhoben worden waren. Diese sehr detailreiche Basis war neu; zuvor hatten Forscher Daten auf Landesebene ausgewertet.
Die wissenschaftlichen Kritiken beziehen sich auf zwei Punkte. Problematisch sind gemäß ihnen sowohl die Methodik als auch die Datenbasis der Studie.
Tom Bearpark von der Princeton University moniert gemeinsam mit zwei Fachkollegen, die Autoren hätten fehlerhafte Daten zu Usbekistan einbezogen. Diese hätten die Resultate stark verzerrt. Ohne die usbekischen Daten gehe das weltweite Bruttoinlandprodukt bis 2100 nicht um 60 Prozent zurück, sondern nur um gut 20 Prozent. Außerdem sei die Unsicherheit der Resultate wesentlich größer, als die Autoren sie angegeben hätten, schreiben die Kritiker. Darauf, dass die Unsicherheit unterschätzt worden sei, weist auch Christof Schötz von der Technischen Universität München in einer weiteren Kritik hin.
Überarbeitete Klimawandel-Studie veröffentlicht
Inzwischen haben die Autoren eine revidierte Version ihrer Studie veröffentlicht, die noch begutachtet werden muss. Dabei haben sie allerdings nicht nur die fehlerhaften Daten aus Usbekistan weggelassen. Zusätzlich haben sie auch ein Detail an der Methode zur Schadensberechnung geändert. Durch die beiden Änderungen kamen die Autoren zu ganz ähnlichen Ergebnissen wie in der ursprünglichen Studie, nur der Unsicherheitsbereich wurde etwas größer.
Mehrere Kritiker äußerten sich skeptisch gegenüber der Art der Revision, etwa Greg Hopper vom Bank Policy Institute in Washington. Das Vorgehen wirke so, als ob das Rechenmodell gezielt so verändert worden sei, um die gewünschte Schlussfolgerung zu erreichen.
Noch sind die Querelen um diese Studie, die im Extremfall mit einem Widerruf enden könnten, nicht zu Ende. Es stellt sich aber nach dem bisherigen Verlauf schon jetzt die Frage, ob Berechnungen von Schäden des Klimawandels gründlich genug überprüft werden, bevor die Zahlen für politische oder ökonomische Zwecke verwendet werden.
Die Schäden durch den Klimawandel abzuschätzen, ist zum Beispiel für die Finanzwelt relevant. Das Network for Greening the Financial System (NGFS), ein internationaler Verbund von Zentralbanken und Aufsichtsbehörden, änderte aufgrund der „Nature“-Studie vor kurzem die Methode, wie es die Schäden des Klimawandels berechnet.
Dieses Netzwerk will nach eigenen Angaben „zur Entwicklung des Umwelt- und Klimarisikomanagements im Finanzsektor beitragen, um beim Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft mitzuhelfen“. Das Netzwerk erarbeitet Szenarien, um Klimarisiken von Banken einzuschätzen. Diese werden von den Mitgliedern genutzt. Dazu zählen zum Beispiel die Europäische Zentralbank, die Schweizerische Nationalbank und die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht.
Auf Anfrage teilt das Sekretariat des NGFS mit, dass es sich der Kritik an der Studie bewusst sei, derzeit aber keinen Handlungsbedarf sehe. Man wolle abwarten, wie das Magazin „Nature“ im nächsten Schritt entscheiden werde.
Grundsätzlich gehen die Berechnungen der Schäden, die der Klimawandel anrichtet, derzeit weit auseinander: Die Resultate des Potsdamer Instituts liegen im obersten Bereich der Spanne. Viele Wissenschaftler kommen auf deutlich geringere Schäden. Es gibt sogar Gruppen, die einen ökonomischen Nutzen des Klimawandels für möglich halten.
Klimawandel: Rechnung mit vielen Unbekannten
Um die ökonomische Wirkung des Klimawandels zu ermitteln, ist eine komplizierte Rechnung nötig. Zum einen müssen die Forscher den Klimawandel und seine Folgen detailliert prognostizieren. Zum andern müssen sie die Wirtschaftsleistung vorhersagen. Schließlich sind die Auswirkungen des Klimawandels auf die Wirtschaft zu beziffern. Das ist eine Rechnung mit vielen Unbekannten.
Generell ist das weltweite Bild der ökonomischen Folgen uneinheitlich: Manche Länder werden erheblich unter den Folgen des Klimawandels zu leiden haben, vor allem in den Tropen und Subtropen. Länder in Arktisnähe hingegen – vor allem Kanada und Russland – könnten von der Erwärmung profitieren, weil landwirtschaftlich nutzbare Flächen größer werden. Ohnehin könnten Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel die Schäden in Grenzen halten. Andererseits besteht das Risiko, dass plötzliche Veränderungen im Klimasystem zusätzliche Kosten verursachen.
Vor dem Hintergrund dieser Unsicherheit ist es einigermaßen verblüffend, dass das NGFS der umstrittenen „Nature“-Studie einen so hohen Stellenwert einräumt. Eine solch wichtige Frage wie die nach den ökonomischen Kosten des Klimawandels sollte schließlich nur auf der Basis von Studien beantwortet werden, deren Solidität außer Frage steht.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Neuen Zürcher Zeitung.