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Rundschau-Debatte des TagesKönnen Gerichte für Klimagerechtigkeit sorgen?

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Die Auswirkungen des Klimawandels treffen auf Vanuatu auch den Tourismus: Die auf Stelzen gebauten Villen des Holiday Inn in der Hauptstadt Port Vila sind teilweise versunken, nachdem sie von mehreren Wirbelstürmen und einem Erdbeben getroffen wurden.

Die Auswirkungen des Klimawandels treffen auf Vanuatu auch den Tourismus: Die auf Stelzen gebauten Villen des Holiday Inn in der Hauptstadt Port Vila sind teilweise versunken, nachdem sie von mehreren Wirbelstürmen und einem Erdbeben getroffen wurden. 

Vanuatu ist auf den ersten Blick ein Südsee-Paradies. Doch viele seiner Inseln liegen nur knapp über dem Meeresspiegel. Wenn er durch den Klimawandel steigt, verschwindet Vanuatu. Die Regierung sucht nun nach Wegen, die Verursacher zur Verantwortung zu ziehen.

Kelly MacNamara Paris Hitzewellen, Überflutungen, Tropenstürme: Vanuatu bekommt die Folgen der Klimakrise regelmäßig zu spüren. Deshalb will der Inselstaat vor dem welthöchsten Gericht klären, inwieweit Staaten völkerrechtlich zum Klimaschutz verpflichtet sind. Das von dem kleinen Südpazifik-Staat veranlasste erste Gutachten des Internationalen Gerichtshofs (IGH) zur Klimapolitik reiht sich ein in die zunehmende Befassung von Gerichten in aller Welt mit der folgenschweren Erderwärmung. Ein Überblick:

Immer häufigerer Rückgriff auf Klimaklagen

Die fortschreitende Klimakrise und ihre katastrophalen Auswirkungen sind bekannt, dennoch können Staaten sich oft nicht zu einem entschiedenen Gegensteuern durchringen. Aus Frustration darüber wenden sich immer mehr einzelne Betroffene, Organisationen oder auch ganze Staaten an Gerichte. „Wenn politische Systeme versagen, wird die Justiz als ein Werkzeug angesehen, (...) die Umsetzung von eingegangenen Verpflichtungen zu erzwingen“, sagt der stellvertretende Leiter der Rechtsabteilung des UN-Umweltprogramms (Unep), Andrew Raine.

Erleichtert werden die Klagen durch die zunehmend präzise und detaillierte Klimawissenschaft. Bis Ende 2024 wurden fast 3000 Klimaklagen in fast 60 Staaten eingereicht, wie das Forschungsinstitut Grantham darlegt.

Nicht all diese Klagen waren erfolgreich und manche von ihnen richteten sich sogar gegen Klimaschutzmaßnahmen. Es gab in den vergangenen Jahren allerdings auch Verfahren, die eine entschiedenere Klimapolitik erzwangen. So erwirkte die niederländische Umweltorganisation Urgenda 2019 eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs des Landes, dass die Regierung bis Ende des Folgejahres die Treibhausgasemissionen um ein Viertel verringern müsse.

2021 erklärte das Bundesverfassungsgericht auf Grundlage von Klagen junger Menschen aus Deutschland, Bangladesch und Nepal das deutsche Klimaschutzgesetz für teilweise verfassungswidrig, da es die Freiheitsrechte künftiger Generationen beeinträchtige. Die Karlsruher Richter räumten mit ihrem Urteil dem Recht auf Klimaschutz Verfassungsrang ein.

Im Mai wies das Oberlandesgericht in Hamm die Klage eines peruanischen Kleinbauers gegen RWE zurück, der wegen der Bedrohung seines Hauses im Zuge der Klimaerwärmung von dem deutschen Energiekonzern eine Entschädigung gefordert hatte. Zugleich stellte das Gericht aber die grundsätzliche Verantwortung großer Energiekonzerne für die Klimakrise fest.

Laut Unep-Rechtsexperte Raine nimmt die Zahl der grenzüberschreitenden Verfahren zu. 24 Klagen wurden demnach bereits vor regionalen oder internationalen Gerichten oder anderen Einrichtungen eingereicht. Dieses transnationale Vorgehen markiere einen „Wendepunkt“ und entspreche der grenzüberschreitenden Bedeutung der Klimapolitik, betont Raine.

Historische Entscheidungen vor internationalen Gerichten

Besonders zwei Klimaklagen haben nach Einschätzung von Experten das Verständnis von Regierungen, Unternehmen und der Justiz von klimapolitischer Verantwortung geprägt.

Im vergangenen Jahr legte der Internationale Seegerichtshof in einem Gutachten dar, dass klimaschädliche CO2-Emissionen als Meeresverschmutzung eingestuft werden können und Staaten eine Rechtsverpflichtung haben, Maßnahmen zur Verringerung dieser Meeresverschmutzung zu ergreifen. Die Schutzverpflichtung der Staaten ist demnach nicht auf die Bestimmungen des Pariser Klimaabkommens oder die Vorgaben des UN-Klimasekretariats UNFCCC beschränkt. Große Emittenten hatten zuvor argumentiert, die UN-Rahmenbestimmungen reichten aus und Gerichte dürften nicht darüber hinaus Auflagen formulieren.

Zudem veröffentlichte der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte in diesem Monat ein Gutachten, in dem er das Recht auf ein gesundes Klimasystem und die Schutzrechte der Natur bekräftigte. Das wohl stärkste Statement des Gerichts war aber die Gleichsetzung des Schutzes vor irreversiblen Folgen des Klimawandels mit internationalen Bestimmungen gegen Völkermord und Folter, wie der Klima-Rechtsexperte César Rodríguez-Garavito von der New York University sagt.

Das Gericht stellte demnach fest, dass die „massive und ernsthafte Schädigung des Klimasystems durch Emissionen“, die Zerstörung von Wäldern und andere Aktivitäten „vom internationalen Recht absolut untersagt“ seien. Rodríguez-Garavito betont, dies sei die bislang entschiedenste Stellungnahme eines internationalen Gerichts überhaupt zur Pflicht von Staaten, schwere Umweltzerstörungen zu vermeiden.

Nächste wegweisende Klima-Rechtssprechung?

Der Internationale Gerichtshof könnte nun nachlegen. Vanuatu, ein besonders stark von den Folgen der Erderwärmung bedrohter Inselstaat, hat das Gericht in Den Haag zu einer Stellungnahme zur Pflicht von Staaten aufgerufen, ihren Treibhausgasausstoß zu verringern. Dahinter steht die brisante Frage, ob große Treibhausgasemittenten rechtliche Konsequenzen ihres klimaschädlichen Vorgehens fürchten müssen und wenn ja, welche. „Das sind Fragen der globalen Gerechtigkeit“, sagt Rodríguez-Garavito. Das Gerichtsverfahren berühre kontroverse Fragen wie Reparationszahlungen für Klimaschäden an diejenigen, die am wenigsten für die Emissionen und den daraus resultierenden Klimawandel verantwortlich sind.

Unep-Rechtsexperte Raine hebt hervor, dass die Umsetzung von Entscheidungen wie der anstehenden des IGH zwar nicht juristisch erzwungen werden könne, Klima-Urteile aber dennoch großes Gewicht hätten. „Sie stellen klar, wie internationales Recht auf die Klimakrise anzuwenden ist, und das wirkt sich auf nationale Gerichte, Gesetzgebungsverfahren und öffentliche Debatten aus“, sagt der UN-Experte. „Das zwingt Staaten zwar nicht zum Handeln, aber es zeigt ihnen, wo das Recht steht und wohin sie sich bewegen sollten.“ (afp)