Urlaub statt UnterrichtDürfen Schulen in NRW wirklich ein Attest verlangen?

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Endlich Ferien! Mit einem Attest früher aus der Schule fernzubleiben, ist aber keine Lösung.

Endlich Ferien! Mit einem Attest früher aus der Schule fernzubleiben, ist aber keine Lösung.

Schulen in NRW wollen mit der Attestpflicht die Unsitte der Ferienverlängerung bremsen. Doch wirklich erlaubt ist das nicht. Wir klären die wichtigsten Fragen.

Weil einige Eltern der Versuchung nicht widerstehen, mit ihren schulpflichtigen Kindern schon vor Ferienbeginn zu verreisen, verlangen einige Schulen ärztliche Atteste. Kinder- und Jugendmediziner halten das für unnötig und fühlen sich von den Behörden unter Stress gesetzt.

Warum halten sich manche nicht an die Ferien?

Weil Flüge und Unterkünfte vor Ferienbeginn und nach Ferienende in der Regel billiger und die Staus kürzer sind. Einige sagen auch, dass die Kinder in den letzten Tagen vor Ferienbeginn gar nicht mehr richtig unterrichtet werden. Ein Klassenausflug ins Grüne gilt als unwichtig, die Familienreise geht vor.

Ist das tatsächlich ein großes Problem?

Im Jahr werden in NRW weit mehr als 1000 Verfahren wegen privater Ferienverlängerung eingeleitet, im Regierungsbezirk Düsseldorf waren es zuletzt 419. Wer das Risiko eingeht, muss mit einem Buß­geld bis zu 1000 Euro rechnen. Die Eltern sollen möglichst mehr Bußgeld zahlen, als sie durch die Ferienverlängerung gespart haben.

Werden die Familien an Flughäfen kontrolliert?

Ein Sprecher der Bundespolizei am Flughafen Köln/Bonn erklärt auf Nachfrage, dass Bundespolizisten, wenn sie bei der Ausreisekontrolle Verdacht auf „Ferienverlängerung“ schöpfen, die zuständigen Behörden benachrichtigen. Die Bezirksregierungen prüfen diese Fälle und leiten gegebenenfalls Verfahren ein.

Wie ist die aktuelle Rechtslage?

Etwas knifflig. Natürlich müssen Kinder bis zum letzten Schultag weiter zur Schule gehen. Die Frage, ob Schulen von Eltern in den Tagen vor und nach den Ferien bei Fehlzeiten grundsätzlich ein ärztliches Attest verlangen können, ist aber nicht so einfach zu beantworten. Laut Paragraf 43 Schulgesetz NRW reicht bei Fehlzeiten eine schriftliche Entschuldigung der Eltern. Weiter heißt es: „Bei begründeten Zweifeln, ob Unterricht aus gesundheitlichen Gründen versäumt wird, kann die Schule von den Eltern ein ärztliches Attest verlangen“.

Lässt sich daraus eine Attestpflicht ableiten?

Nein, stellt das NRW-Schulministerium klar: „Ein ärztliches Attest sollen die Schulen ausdrücklich nur dann einfordern, wenn begründete Zweifel bestehen, dass der Schüler beziehungsweise die Schülerin tatsächlich erkrankt ist. Eine generelle Attestpflicht für das krankheitsbedingte Fehlen vor und nach den Ferien gibt es also nicht. Vielmehr sind die Umstände des Einzelfalls entscheidend.“

Wie argumentieren die Kinderärzte?

Sie sagen, die Forderung von Schulen nach einem ärztlichen Attest diene nur Kontrollzwecken. „Das Ausstellen solcher Atteste fällt somit nicht in unseren ärztlichen Versorgungsauftrag“. Der Stress in den Praxen sei groß, das Personal habe Wichtigeres zu tun.

Die Kindermediziner schlagen vor, dass der Staat über den öffentlichen Gesundheitsdienst – also über Gesundheitsämter – Attest-Möglichkeiten schaffen oder Ordnungsämter beauftragen könnte. Besonders praktisch wäre „ein kurzer Besuch im Schulsekretariat“, um zu beweisen, dass das Kind vor Ort und nicht im Urlaub ist.

Könnte der öffentliche Gesundheitsdienst aushelfen?

Nein, versichert Dr. Emmanuel Wiggerich, Sprecher des Landeverbandes des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, auf Nachfrage. „Wir sind personell so knapp aufgestellt, dass wir gerade eben unsere gesetzlichen Aufgaben schaffen. Wir können ja nicht die Schuleingangsuntersuchungen runterfahren, um uns um Atteste zu kümmern.“ Im Übrigen sei das Ausstellen von Attesten für Schulen grundsätzlich keine ärztliche Aufgabe.

Was sagen Schulleitungen?

Harald Willert, Chef der Schulleitungsvereinigung NRW, sagt, Atteste sollten nicht standardmäßig eingefordert werden. Sie seien aber sinnvoll, wenn im Einzelfall ein Verdacht auf Ferienverlängerung bestehe.

Was sagen Lehrer und Eltern?

Der Vorstoß der überlasteten Mediziner sei verständlich, meint Oliver Ziehm, Vorsitzender der Landeselternschaft der Gymnasien. Dennoch dürften sich die Kinder- und Jugendärzte nicht weigern, Schülerinnen und Schülern um die Ferienzeit Atteste auszuschreiben. Grundsätzlich zeigt die Landeselternschaft kein Verständnis für Eltern, die unbegründet die Urlauszeit ihrer Kinder verlängern möchten: „Die Schulpflicht gilt selbstverständlich bis zum ersten Ferientag.“ Ziehm schlägt vor, die Schulbefreiung von Kindern und Jugendlichen an Flughäfen und Bahnhöfen bei Stichpunktkontrollen zu überprüfen. „Wir wollen, dass es gerecht zugeht und sich nicht einige Eltern ein Recht rausnehmen, das sie nicht haben.“

Für den Philologenverband NRW ist die angekündigte Weigerung der im Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte organisierten Mediziner „nicht nachzuvollziehen“. Der Verband verweist auf einen Erlass des Schulministeriums unter Bezug auf das NRW-Schulgesetz: „Unmittelbar vor und im Anschluss an die Ferien darf eine Schülerin oder ein Schüler nur beurlaubt werden, wenn die Beurlaubung ersichtlich nicht dem Zweck dient, die Schulferien zu verlängern, preisgünstigere Urlaubstarife zu nutzen oder möglichen Verkehrsspitzen zu entgehen.“ Der Philologenverband, der die Interessen der Lehrkräfte an Gymnasien und Gesamtschulen vertritt, sieht „keinen Grund, an dem bisherigen und nachvollziehbaren Verfahren etwas zu ändern“.

Katrin Schäfer, Vize-Vorsitzende der Landeselternkonferenz (LEK), findet den Vorschlag der Kinderärzte, dass Eltern rund um die Ferien selbst Atteste ausstellen sollten, nicht schlüssig. „Dann besteht die Gefahr, dass die Eltern etwas Falsches bescheinigen.“ Kinder, die tatsächlich erkrankt seien, gerieten dadurch zudem unter Generalverdacht.

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