Psychotherapeut im InterviewDas macht die Pandemie mit dem Familienleben

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Ob zu Hause oder in der Schule: Während der Pandemie wurde für Kinder plötzlich vieles anders. (Symbolbild)

  • Wie belastet die Corona-Pandemie den Umgang in den Familien und was bedeutet das für die Arbeit von Therapeuten?
  • Stefan Corssen sprach mit Ludger Sändker, dem Leiter der Psychologischen Beratungsstelle Herbstmühle.

Wipperfürth – Die Corona-Pandemie hat vieles verändert. Auch bei der Herbstmühle?

Im Frühjahr waren wir zwei Monate geschlossen. Seit den Sommerferien verzeichnen wir zunehmende Anmeldezahlen. Sie sind jetzt so wie vor Corona. In manchen Familien hat sich während des Lockdowns einiges aufgestaut. Corona verschärft manche Spannungen, die es vorher auch schon gab. Häusliche Gewalt wird zu einem größeren Problem, weil weniger nach außen dringt. Cybermobbing hat zuletzt stark zugenommen, vermutlich, weil das als Ventil dient.

„Lockdown, Maskenpflicht, Quarantäne“ – Begriffe, die wir alle seit März ständig benutzen, die auch die Gespräche in vielen Familien dominieren. Was bedeutet das für das Verhältnis von Eltern und Kindern?

Die Situation hat sich im Frühjahr ganz plötzlich geändert. Erst war das Virus noch weit weg, nämlich in China, dann kam Ischgl, wo ja auch einige Wipperfürther waren, und plötzlich war das Virus mitten in den Familien. Man starrt ständig darauf, fragt sich, „wie können wir damit leben“, mit der Gefahr, dass man sich gegenseitig aus dem Blick verliert. Mittlerweile ist das Virus ein Teil unserer Normalität geworden, dennoch bleibt alles ein Stück darauf fokussiert. Ich sehe eine Gefahr, dass die eigenen Bedürfnisse in der Familie dadurch nicht hinreichend berücksichtigt werden.

Wie gehen Kinder damit um?

Bis zu einem gewissen Alter ist eine Fokussierung, wenn sie von Eltern ausgeht, auch für ihre Kinder maßgebend. Sind Eltern ängstlich, dann überträgt sich diese Angst auch auf ihre Kinder. Corona und die Angst davor sind nicht identisch. In manchen Familien gibt es einen Elternteil, der besonders ängstlich ist, der diese Angst sonst aber vielleicht unterdrückt. Corona erlaubt es, die Angst zu haben. Man sollte seinen Kindern nichts vormachen, Kinder haben dafür eine feine Antenne.

Was können Eltern tun, um ihren Kindern ein Stück Angst zu nehmen?

Die Angst kann man schlecht nehmen. Aber es gilt ein Gegengewicht zu schaffen, indem sie positive Aspekte wie Freude und gemeinsame Aktionen stärker in den Mittelpunkt stellen, oder vielleicht gemeinsam mit ihren Kindern Nähe finden. Und sich die Frage stellen: Wo setze ich Prioritäten? Das ist der Job der Eltern. Kinder brauchen eine Orientierung. Ein hohes Maß an Solidarität hilft, sich gegenseitig zu stärken.

Bei Jugendlichen wird das schwieriger?

Wenn Jugendliche sich innerhalb der Familie an bestimmte Regeln halten, dann können anderswo andere Regeln gelten, dessen sollte man sich bewusst sein. Die Frage ist „wie überzeugend sind diese Regeln?“ Pubertät findet auch unter Corona-Bedingungen statt. Jugendliche sind dabei, ein eigenes Wertesystem zu entwickeln und lernen, sich Stück für Stück von ihren Eltern abzunabeln. Das coronale Geschehen stellt dem eine gegenläufige Tendenz entgegen und fordert eventuell zu weiteren Streitigkeiten heraus.

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Bietet eine Krise wie die Corona-Pandemie vielleicht auch eine Chance?

Das hängt sicher vom Einzelnen ab. Wenn Einzelne in Beziehungen nun die eigenen Werte neu justieren, kann das zu zusätzlichen Spannungen führen. Gemeinsames Neu-Justieren dagegen kann auch zu vertiefter Beziehungsentwicklung beitragen, wenn Fragen wie: „was ist mir wichtig und von welchem Ballast und Unsinn lasse ich mich sonst treiben?“ zu neuen, gemeinsamen Antworten führen. Doch es gibt auch Menschen, die haben Angst davor, weil sie der Frage „was soll ich Sinnvolles tun“ bis jetzt immer ausgewichen sind.

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