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Sanierungschaos bei der Bahn„Wie da gegeneinander gearbeitet wird, ist brutal“

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Mitarbeiter der Deutschen Bahn arbeiten nach einem Brand an einer Bahnstrecke in der Nähe eines Stellwerkes

Mitarbeiter der Deutschen Bahn arbeiten an einer Bahnstrecke in der Nähe eines Stellwerkes

Ein erfahrener Bauprofi berichtet von absurden Zuständen bei DB-Baustellen: Container-Umzüge für 25.000 Euro, schwarze Laternenmasten für Insekten und monatelange Wartezeiten für simple Reparaturen. Seine Diagnose: Die Bahn ist eine „Nichtorganisation“.

Was läuft so dramatisch schief bei der Sanierung der Deutschen Bahn – und wie könnte es endlich besser werden? Wir haben einen Bauingenieur getroffen, der ein paar Antworten hat. Der 66-Jährige arbeitet seit fünf Jahren bei einem familiengeführten Straßenbauunternehmen mit mehreren hundert Mitarbeitern, mit einem Spezialgebiet Bahnsteige. Weil die Firma von den Aufträgen der Bahn abhängig ist, bleiben sein Name und der seiner Firma hier ungenannt, auch Fotos der Original-Tatorte zeigen wir nicht.

„Wir sind so aufgestellt, dass wir die preiswertesten Angebote abgeben“, sagt der Fachmann mit 40 Berufsjahren Erfahrung über seinen Betrieb. „Wir sind personell am Anschlag. Wenn der Chef nicht da ist, muss trotzdem entschieden werden, und weiter geht’s. Warten kann man nicht.“ Die Privatwirtschaft sei halt auf maximale Effizienz getrimmt. „Tja, und jetzt treffen wir auf die Deutsche Bahn.“

Ein teurer Container-Umzug

„An einem Bahnhof haben wir fünf Aufträge parallel laufen, aber jeweils mit verschiedenen Projektabteilungen der Bahn. Dafür wird Personal und Büroraum gebraucht, fünf Poliere, mehrere Bauleiter ... Wo also kommen die Container hin?

Der Auftraggeber eines dieser Bahnprojekte wies uns für die Baustelleneinrichtung eine passende Fläche auf dem Gelände zu, die auch ideal für die anderen Baustellen im Umkreis von rund 500 Metern ist. Wir stellen also die ersten Container auf. Aber dann kommt dieser Auftraggeber, wie so ein kleiner Bahn-Fürst, und meint, wir dürfen dort nicht aufbauen. Es ist seine Fläche, die für seine Baustelle ist und nicht für andere Abteilungen. Es arbeiten zwar alle für denselben Bahnhof, aber wir müssen weg und weiterziehen.

Ende der Geschichte: Für ein Dreivierteljahr mieten wir für rund 25.000 Euro Parkplätze bei der Stadt für unsere Container. Die Rechnung landet natürlich bei der Bahn, die uns in den anderen Projekten keinen eigenen Platz zuweisen konnte. Meine vielfache Beobachtung: Die Bahn besteht aus 160 Firmen, die sich im Wege stehen, und es gibt niemanden vor Ort, der sagt: ,So wird's vernünftig gemacht.‘ Was da gegeneinander geschafft wird, das ist brutal.“

Kein Strom für die W-Lan-Box

„Es gibt bei der Bahn für die Bahnhöfe den Bereich Licht- und Signaltechnik (LST), der unter anderem für den Strom zuständig ist. Und es gibt die Technische Kommunikation (TK), bei denen liegen unter anderem die Lautsprecher für die Durchsagen. Wir haben an einem Bahnhof den Bahnsteig erneuert. Die Technische Kommunikation wollte noch eine W-Lan-Box für die DB-Angestellten haben, die hier täglich arbeiten und aufs Internet angewiesen sind.

Allerdings waren sie nicht in der Lage, die Kollegen von der Signal- und Lichttechnik zu bitten, einen Stromanschluss für die WLAN-Box zu verlegen. Erst bei der Abnahme fällt auf: Hmm, es gibt ja keinen Strom! Also: Pflaster wieder aufreißen, Kabel verlegen und einen Mast für die Box aufstellen. Das ist Deutsche Bahn!

Und je mehr Druck aus Berlin kommt, umso weniger wird miteinander gesprochen: Ich mache meins, und was der andere macht, interessiert mich nicht. Wenn’s keinen Auftrag gibt, miteinander zu reden, dann reden die auch nicht miteinander.“

Laternenmasten für Insekten

„Wir mussten einen Bahnsteig neu anlegen, samt Laternenmasten. Nur ist die Bahn im Würgegriff der baubiologischen und raumplanerischen Fachleute, die leben sich da voll aus. Und wegen des Artensterbens und zum Schutz der Insekten kam aus Berlin die Anweisung, die Masten dürfen nicht mehr verzinkt werden, sie müssen schwarz sein, damit das Lampenlicht nicht reflektiert und die Insekten nicht angezogen werden. Kein Ding, machen wir halt alles anthrazit.

Als alles fertig ist, kommen ein Anlagenverantwortlicher und ein Inbetriebnahmeverantwortlicher, schauen sich das an und sagen: ,Die Masten sind ja schwarz, die sind auf dem schwarzen Bahnsteigbelag nicht sichtbar genug. Sehbehinderte laufen gegen die Masten. Das geht hier nicht in Betrieb.‘ Das ist die Deutsche Bahn.

Wir haben dann rot-weißes Flatterband darum gewickelt, der Landrat war ja schon zur Eröffnung bestellt. Im Nachgang wurde ein teilweise sehr komisch aussehendes Blindenleitsystem um diese Pfosten herum verlegt.“

Die Bahn: Hoffnungsloser Sanierungsfall?

„Nach dem, was ich in fast 40 Jahren alles erlebt habe, komme ich zu dem Schluss: Die Bahn ist eine Nichtorganisation, ein dysfunktionales Nebeneinander, der Laden ist viel zu groß. Wenn es einen echten Verantwortlichen für eine bestimmte Region gäbe und der seine Spezialisten für dieses Gebiet hätte, der schaut, dass alles Hand in Hand geht, dann könnte es klappen. Das gibt es aber nicht. Stattdessen müssen wir Monate warten, bis alle Regularien, Anträge, Sicherungspläne und seitenlange Listen ausgefüllt sind, bevor wir loslegen können.

Es ist auch schon so weit alles reguliert, dass der DB-Projektleiter Monate vorher bis zu einem halben Jahr den Termin mit dem Inbetriebnahmeverantwortlichen vereinbaren muss, damit der einen Termin frei hat. Mein Rat an Bundesverkehrsminister Schnieder: den Laden zumachen, zerschlagen, neu aufbauen, komplett neu strukturieren, und dabei Schienennetz und Bahnhöfe vom Betrieb trennen. Der Laden DB ist sonst nicht beherrschbar.“

„Geduld vonnöten“

„Wir haben kürzlich einen Bahnsteig höher gelegt, um ihn barrierefrei zu machen. Die Oberleitungen müssen gespannt werden, über Gewichte an den Masten. Wenn der Bahnsteig erhöht wird, müssen die Seile, an denen die Gewichte hängen, gekürzt werden. Keine große Sache. Als wir eine Firma fragten, wurden wir ausgelacht. Sind das ganze Jahr ausgebucht. Das Kürzen der Seile kann in Deutschland kaum jemand machen.

Herr Merz und Herr Klingbeil können nicht einfach in die Hände spucken und sagen: Wir bauen jetzt doppelt so viel. Es geht nicht, es gibt nicht so viele Firmen, Planer, Bauleute und auch Baustoffe. Am Ende hilft nur eine langfristige gleichmäßige Planung verteilt über Jahre. Wir treten zum Beispiel jetzt an 12- und 13-Jährige in den verschiedenen Schulen heran, um ihnen den wunderschönen Beruf auf dem Bau schmackhaft zu machen. Ja, wir brauchen viel Geduld in Deutschland.“