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CO₂ unter der NordseeFriedrich Merz und sein riskanter Weg zum Klimaschutz

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Kanzler Friedrich Merz (CDU)

Kanzler Friedrich Merz (CDU)

Die Bundesregierung will CO₂-Speicherung im großen Stil erlauben - auch für Gaskraftwerke. Während die Industrie applaudiert, warnen Experten: Die Technologie könne den Umbau zu erneuerbaren Energien nicht ersetzen.

Wenn Deutschland einen Beitrag im Kampf gegen die Erderwärmung leisten könne, dann durch Innovationen und technische Fortschritte, sagte Kanzler Friedrich Merz (CDU) auf seiner Sommerpressekonferenz. „Deswegen machen wir mit der Koalition CCS und CCU.“ CCS und CCU steht für die Speicherung von CO2 in Fabriken und die anschließende Speicherung im Meeresboden – oder die Wiederverwendung etwa zur Herstellung synthetischer Kraftstoffe.

Das Kabinett hat vor wenigen Tagen den Weg zum breiten Einsatz dieser Technik geebnet. Aber kann das auch nur ansatzweise helfen, den Temperaturanstieg zu bremsen? Oder dient das der Merz-Regierung als Feigenblatt, um ein Erlahmen beim Klimaschutz zu kaschieren? Die wichtigsten Antworten zum Thema:

Was genau will die Bundesregierung?

Der Gesetzentwurf von Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) erlaubt das CO₂-Abscheiden nicht nur für die Zement- und Kalkindustrie, bei deren Produktion Klimagas entsteht und nicht zu vermeiden ist, sondern auch für die Stahl- und Chemieindustrie und für Gaskraftwerke. Das würde die Möglichkeit eröffnen, unbegrenzt Gas zu verfeuern, anstelle auf Wasserstoff umzusteigen.

Zudem soll der Aufbau eines gigantischen Pipelinenetzes, mit dem das Klimagas kreuz und quer durch die Republik transportiert werden müsste, um es schließlich im Meeresgrund zu verklappen, ein „überragendes öffentliches Interesse“ zugesprochen bekommen. Außerhalb von Meeresschutzgebieten würde es damit für Umweltschützer und Bürger schwieriger, Pipelines zu verhindern.

Wollte das nicht auch Robert Habeck?

Auch Reiches Vorgänger Robert Habeck von den Grünen wollte CCS erlauben, aber eben nicht für die Energieerzeugung mit Gas. Und er wollte die Hürden für die Genehmigung von Pipelines nicht senken. Für Habeck hatte die Vermeidung von Emissionen etwa durch den beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien klar Vorrang vor dem Abscheiden von CO₂.

Wann geht es los mit dem Abscheiden von CO₂?

Nachdem Reiches Gesetzentwurf das Kabinett passiert hat, ist das Parlament dran; im Herbst könnte er in den Bundestag kommen. Bei Klimaschutzpolitikern des Koalitionspartners SPD gibt es Vorbehalte gegen den breiten Einsatz der Technologie, ebenso wie bei Grünen und Linkspartei. Die AfD steht hinter dem Kurs der Union.

Tatsächlich ist der Weg allerdings noch weit. „Die Vermutung, wir könnten in Deutschland quasi morgen mit dem Abscheiden und Einlagern beginnen und beim Klimaschutz nachlassen, geht nicht auf. Denn dafür muss zunächst eine entsprechende Infrastruktur hochgezogen werden“, sagt Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamtes (UBA). „Und Forschung und Entwicklung müssen hier erst in Gang gesetzt werden. Wir haben auch keinen guten Überblick, wo und wie viel CO₂ überhaupt in Deutschland sicher eingelagert werden könnte“, stellt er klar.

In anderen Teilen der Welt ist man schon weiter. In den USA gibt es längst eine CCS-Industrie im Öl- und Gassektor. In Kanada wird in einem Kohlekraftwerk Klimagas abgeschieden. Auch die Chinesen sind eingestiegen. Zu den Vorreitern in Europa gehören Norwegen, Dänemark, die Niederlande und Großbritannien.

Wer findet das grüne Licht für CCS gut?

Zum Beispiel die chemische Industrie. „Die Speicherung und Nutzung von CO₂ ist ein zentraler Baustein für einen bezahlbaren Umbau des Industriestandorts Deutschland“, sagt VDI-Chef Wolfgang Große Entrup. Die Bundesregierung müsse „die deutsche Aufholjagd bei diesen Technologien schnell fortsetzen“, um Wettbewerbsfähigkeit und Klimaschutz „in Einklang“ zu bringen.

Die Frage, für wen sich CCS am Ende lohnt, scheint allerdings offen. In Norwegen gibt es ein Zementwerk mit Abscheideanlage, aber dafür waren Milliardensubventionen notwendig. Und das Werk fängt nur die Hälfte des produzierten CO₂ ein, die andere Hälfte entweicht weiter in die Atmosphäre.

Forschern zufolge wird das Abscheiden mittelfristig mindestens 150 Euro pro Tonne kosten. Für viele Industrien könnte es womöglich billiger werden, Gas durch Wasserstoff zu ersetzten. Allerdings steht auch hinter der Frage, was grüner Wasserstoff kosten wird, ein dickes Fragezeichen.

Was ist unterm Strich von der CO₂-Strategie zu halten?

Umweltbundesamt-Präsident Messner formuliert es so: CCS und CCU seien „nicht als Werkzeuge geeignet, um auf die massive Reduktion von Emissionen im Gebäudebereich, im Verkehr, in der Industrie zu verzichten“. Und das Potenzial sei „sehr begrenzt, weil es schlicht an Kapazitäten fehlt, um beliebig große Mengen CO₂ im Boden und in den Meeren einzulagern.“ Sein Fazit: Wer annehme, wir könnten einfach weiter Verbrenner-Autos fahren, mit Gas und Öl heizen und fossile Energie für die Industrieproduktion nutzen, „der verkennt die Lage.“

Aber Messner sagt eben auch: „Wir brauchen die Technologie für das Einfangen, Abscheiden und Speichern von CO₂, da ist Friedrich Merz zuzustimmen. Und Deutschland sollte sich daran beteiligen, denn das sind auch wirtschaftlich relevante Zukunftstechnologien, um die Erde lebenswert zu erhalten.“

Hilft die Einlagerung von CO₂ dem Klima also oder nicht?

Vermeiden und Abscheiden, es braucht schlicht beides. Der Grund liegt tiefer. Selbst bei den größten Anstrengungen wird die Menschheit weiterhin schwer oder nicht vermeidbare Treibhausgase emittieren. Allein in der Tierhaltung entstehen signifikante Mengen Methan.

„In allen Klimaneutralitätsszenarien des Weltklimarates ICC werden von den derzeit rund 40 Gigatonnen Emissionen ab Mitte des Jahrhunderts 5 bis 10 Gigatonnen bleiben“, erläutert UBA-Präsident Messner. Es könnte gelingen, natürliche Senken wie Moore und Wälder so zu stärken, dass sie bis zu 3 Tonnen davon absorbieren. „Aber die verbleibenden 2 bis 7 Gigatonnen müssten abgeschieden oder aus der Atmosphäre gesaugt, dann in der Wirtschaft im Kreislauf geführt und letztlich eingelagert werden – so entstünden negative Emissionen“, sagt der Experte. „Das ist die simple Rechnung, damit sich die Erde nicht zu stark erhitzt.“