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Interview

UBA-Chef Messner
„Wir sollten keine neue fossile Energieinfrastruktur hochziehen“

6 min
UBA-Präsident Dirk Messner

UBA-Präsident Dirk Messner

Angesichts von Kriegen und Wirtschaftskrise ist der Klimaschutz von der politischen Agenda gerutscht. Das kann dazu führen, dass die Regierung gravierende Fehler macht, fürchtet der Präsident des Umweltbundesamts

Das Umweltbundesamt (UBA) ist einer der wichtigsten Ratgeber der Politik für den Schutz der Natur und den Kampf gegen die Erderwärmung. Die FDP wollte die Behörde abschaffen. Tobias Schmidt haben den UBA-Präsidenten Dirk Messner gefragt, ob Deutschland das Klima schützen und zugleich die Wirtschaft stärken kann.

Herr Messner, nach seinen Klimaschutz-Ambitionen gefragt, sagt Kanzler Friedrich Merz: Deutschland sei nur für 2 Prozent der Emissionen verantwortlich. Stimmt, oder?

Das ist korrekt. Aber wenn wir uns anschauen, wie der Treibhauseffekt historisch zustande gekommen ist, ist Deutschland der fünftgrößte Emittent klimaschädlicher Treibhausgase seit Beginn der industriellen Revolution. Damit tragen wir große Verantwortung für die Klimakrise. Um die Erderwärmung wirklich zu bremsen, müssen wir global auf Netto-Null-Emissionen kommen. Da müssen alle mitmachen, klar. Als technologisch und wirtschaftlich starkes Land kommt uns dabei auch eine Vorbildfunktion zu. Wie sollen wir Thailand, Malaysia oder Indien an Bord holen, wenn wir die Krise selbst nicht ernst nehmen?

Jetzt ist Merz knapp drei Monate im Amt. Wie ist Ihr Eindruck, nimmt die Regierung den Kampf gegen Erderwärmung und Naturzerstörung wirklich ernst?

Auch die neue Regierung fühlt sich den Klimaschutzzielen verpflichtet – so steht es im Koalitionsvertrag. Gleichzeitig haben wir derzeit mit drei alles überragenden Herausforderungen zu kämpfen: Sicherheit, Wohlstandssicherung und Einhaltung der planetaren Grenzen. In der politischen Debatte stehen Sicherheit und Wirtschaft ganz oben, Klima und Umwelt haben an öffentlicher Aufmerksamkeit eingebüßt.

Ist das nicht nachvollziehbar?

Doch. Aber unbestritten ist: Wenn wir die Grenzen der Ökosysteme überschreiten und irreversible Verheerungen anrichten, sind weder Wohlstand noch Frieden sicher. Daher wäre ein starkes Bekenntnis der Bundesregierung und der demokratischen Parteien, dass Sicherheit und eine stabile Wirtschaft ohne ambitionierten Klimaschutz nicht erreichbar sind, ein wichtiges Signal. Wir können diese drei großen Herausforderungen nicht gegeneinander ausspielen, sie sind interdependent und müssen gemeinsam angegangen werden. Ein solches Signal kann durch das konkrete und ambitioniertes Klimaschutzprogramm für die kommenden Jahre, das der Umweltbundesminister für den Herbst angesagt hat, entstehen. Dass wir im Gebäude- und Verkehrsbereich nachbessern und mehr in den natürlichen Klimaschutz – also etwa unsere Moore und Wälder – investieren müssen, das steht außer Frage.

Nicht nur die AfD sagt: Weil es der Wirtschaft schlecht geht, können wir uns Klimaschutz nicht leisten!

Die AfD leugnet den menschengemachten Klimawandel und stellt die Erkenntnisse der weltweiten Wissenschaft radikal in Frage. Das ist auch eine ernste Gefahr für die Demokratie. Wir können den Kampf gegen die Erderwärmung aber nicht aufschieben, die Zeit rennt uns davon. Wenn wir Klimaneutralität nicht bis Mitte des Jahrhunderts erreichen, werden die Verwüstungen unbeherrschbar und die Kosten unbezahlbar.

Das will aber niemand mehr hören.

Es kommt ja noch was hinzu: China hat aus seiner Klimaschutzstrategie längst eine Industriestrategie entwickelt, mit hohen Subventionen, Investitionen und Innovationen in nahezu allen Bereichen der Dekarbonisierung. Wenn wir nicht sehr schnell nachziehen, fahren die Menschen auch bei uns bald zunehmend mit chinesischen E-Autos durch die Gegend. In China stammen keine zwei Prozent der E-Autos noch von deutschen Firmen! Wir dürfen nicht in die globale Wettbewerbsfalle tappen. Ein letzter Punkt: Auch in Deutschland und Europa sind die Wachstumszahlen im Bereich grüner Technologiefelder deutlich höher als im internationalen Durchschnitt. In Deutschland lag das Wachstum in den grünen Wirtschaftsbereichen zuletzt bei fünf Prozent pro Jahr – trotz der aktuellen Wirtschaftskrise. Die deutsche Green-Tech-Branche trug 2023 mehr als 300 Milliarden Euro zur Wertschöpfung bei und ist für gut acht Prozent der Exporte verantwortlich. Wertschöpfung, Arbeitsplätze, Exporte wachsen hier schneller als im Rest der Wirtschaft. Wer die Wirtschaft stärken will, muss auf Green Tech setzen. Wir befinden uns in einer angespannten Situation. Wenn wir Wirtschaft, Sicherheit und Klimaschutz gegeneinander ausspielen, scheitern wir.

Immerhin steckt die Regierung 100 Milliarden Euro zusätzlich in den Klimaschutz, so viel wie nie zuvor. Das reicht nicht?

Das ist ein gutes und wichtiges Signal. Aber wir können und müssen mehr machen: Auch die 400 Milliarden Euro für Infrastrukturmaßnahmen und die Mittel für den militärischen Bereich können für den Aufbau einer klimaneutralen Wirtschaft eingesetzt werden: Wenn wir die ganzen Straßen, Brücken, öffentliche Gebäude und Kasernen zunehmend mit grünem Beton und grünem Stahl bauen, dann können so Leitmärkte für diese Produkte entstehen und eine große Dynamik für ganz Europa entfachen. Dieses gewaltige Potenzial darf nicht verschenkt werden. Die Regierung sollte das unbedingt nutzen, indem sie grünen Zement und grünen Stahl steuerlich begünstigt oder einen Mindestanteil grüner Bauelemente bei der Verwendung der Infrastruktur-Milliarden zur Bedingung macht.

Stattdessen möchte Wirtschaftsministerin Katherina Reiche sehr viele neue Gaskraftwerke bauen. Passt das zusammen?

Wir brauchen Gas als Absicherung, wenn nicht genug Sonnen- und Windkraft erzeugt und gespeichert werden kann. Aber es darf hier kein Rollback geben. Wir sollten keine neue fossile Energieinfrastruktur hochziehen, die nicht auf grünen Wasserstoff umgerüstet werden kann. Die Umrüstbarkeit muss zur Bedingung bei der Ausschreibung neuer Kraftwerke werden, denn das System muss im Kern auf erneuerbare Energien ausgerichtet werden. Vorrang braucht es deswegen unbedingt auch für den weiteren Ausbau der Netze und der Speicher. Denn wenn wir jetzt eine Schieflage schaffen, zu viele Gas-Kapazitäten aufbauen und dafür bei Netzen und Speichern bremsen, stellen wir die Weichen auf Rekarbonisierung. Davor warne ich nicht nur aus Klimaschutzgründen, denn das würde die Energiekosten wegen der absehbar steigenden CO2-Bepreisung mittelfristig in die Höhe treiben.

Frau Reiche marschiert in die falsche Richtung?

Wir machen uns Sorgen, denn von der Umrüstung auf Wasserstoff und vom Hochlauf der dafür benötigten Infrastruktur hören wir bislang zu wenig. Und wir brauchen Investitionen in die Speicherkapazität. Ich würde mir wünschen, dazu bald Zahlen zu sehen.

Beim Verkehr werden die Klimaziele seit Jahren gerissen. Vor allem E-Autos sollen für weniger Emissionen sorgen. Wird das wirklich klappen?

Ja klar kann das klappen. Bei der Dekarbonisierung des Verkehrs schaffen wir die eine Hälfte über den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, die andere Hälfte durch die Elektrifizierung des Automobilverkehrs. Die Herausforderungen sind bekannt. Es muss aus dem Sondervermögen mehr Geld in den Ausbau der Ladeinfrastruktur gesteckt werden, um den Leuten die Sorge zu nehmen, nicht genug Stromtankstellen zu finden. Zweitens müssen die deutschen und europäischen Hersteller erschwingliche Autos anbieten. Sonst steigen die Menschen auf chinesische E-Autos um, wenn der Sprit durch die CO2-Bepreisung teurer wird als der Strom. Und wir brauchen endlich eine Förderung beim E-Auto-Kauf für die rund 30 bis 40 Prozent der Haushalte mit den geringsten Einkommen. Ohne solch eine Förderung fährt die E-Mobilität in die Sackgasse und wird zur Provokation für diejenigen, die sich das nicht leisten können. An diesen Punkten müssen Verkehrsminister Schnieder und Finanzminister Klingbeil Lösungen entwickeln.

Sind die stetigen Diskussionen über ein Aus für das Aus für neue Verbrenner in der EU dann ein Ablenkungsmanöver?

Ich kann nur eindringlich davor warnen, am Zulassungsverbot neuer Diesel und Benziner ab 2035 zu rütteln! Notwendig und überfällig ist stattdessen eine ganz klare Ansage, dass der Individualverkehr elektrifiziert wird. E-Autos sind die Zukunft, daran gibt es in der Wissenschaft und auch in der Branche keine ernstzunehmenden Zweifel. Und daher auch der dringende Appell, den Einstieg gezielt für einkommensschwache Haushalte zu fördern.