Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Handwerks-Präsident Dittrich„Kein Roboter kann eine Schraube hinter einer Wand richtig ansetzen“

Von
5 min
Jörg Dittrich, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH)

Jörg Dittrich, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH)

Jörg Dittrich, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, fordert Reformen von Friedrich Merz. Im Interview spricht er über die schwierige Wirtschaftslage und weshalb Handwerk trotz KI eine gute Zukunft hat.

Gerade erst hat Jörg Dittrich, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), sich mit Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) beim Mittelstandsdialog getroffen. Gipfeltreffen veranstaltet die Bundesregierung viele – Dittrich sieht allerdings noch keine Trendwende. Bräuchte es dafür noch mehr Reformen? Worunter das Handwerk aus seiner Sicht besonders zu leiden hat und worauf er hofft, sagt er Rena Lehmann im Interview.

Herr Dittrich, Bundeskanzler Friedrich Merz kommt nächste Woche zu Ihnen in die Handwerkskammer nach Dresden. Was werden Sie ihm sagen?

Ich werde ihm sagen, dass tiefgreifendere Reformen nötig sind, als sie bisher durchgeführt wurden. Alle Daten zeigen, dass die bisherigen Maßnahmen noch nicht die erhoffte Wirkung haben. Warum hat der Investitionsbooster mit seinen Anreizen bisher nicht dazu geführt, dass sich die Auftragsbücher füllen? Milliardenspritzen allein verhelfen noch nicht zu mehr Wettbewerbsfähigkeit. Die wirtschaftliche Lage ist so schwierig, dass mehr passieren muss. Vor allem muss das Ziel lauten, von den jetzt knapp 43 Prozent Sozialabgaben wieder unter 40 zu kommen. Bei den Diskussionen über nötige Reformen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit kommen wir zu schnell an den Punkt, zu sagen, warum es nicht geht und warum es moralisch und aus vermeintlich sozialen Gründen besser ist, es einfach so zu belassen, wie es ist. Wir verlieren aber hunderttausende gut bezahlte Arbeitsplätze, wenn und weil wir uns nicht bewegen. Das ist nicht solidarisch.

All das haben Sie Wirtschaftsministerin Katherina Reiche beim Mittelstandsdialog auch schon gesagt. Wie hat sie reagiert?

Die Wirtschaftsministerin spricht die Probleme sehr deutlich und richtig an. Und wenn die Presse nicht dabei ist, noch deutlicher. Sie allein kann es aber in unserer parlamentarischen Demokratie nicht richten. Für die Themen, die die Wirtschaft umtreiben, braucht es Mehrheiten im Parlament. Hier ist der Koalitionspartner SPD gefragt. Diese Diskussionen können wir den Koalitionspartnern nicht abnehmen. Die Parlamentarier sollten sich bewusst machen, wie es gerade um die deutsche Wirtschaft steht. Auch das Handwerk hat 2024 tausende Arbeitsplätze verloren.

Die Steuerschätzung geht von 33,6 Milliarden Euro Mehreinnahmen aus. Ist das nicht ein erstes Anzeichen für eine Wirtschaftswende und das Ende der Rezession?

Für eine Entwarnung ist es wirklich noch zu früh. Die Schätzung zeigt: Der Reformdruck im Haushalt bleibt unverändert hoch. Die Spielräume für weitere dringend notwendige steuerliche Entlastungen der Unternehmen sind nicht größer geworden. Entscheidend ist doch die Kaufkraft. Und klar ist auch: Wenn der Staat der Einzige ist, der noch wächst, dann wissen wir aus der Volkswirtschaftslehre, dass das auf Dauer ein böses Ende nimmt.

Gerade das Handwerk müsste vom Sondervermögen für Infrastruktur doch erheblich profitieren, oder nicht?

Schön wäre es! Aber das wird entscheidend auch davon abhängen, ob das geplante Vergabebeschleunigungsgesetz sicherstellt, dass am Grundprinzip der Fach- und Teillosvergabe festgehalten wird, so wie es der Kabinettsbeschluss vorsieht. Und dass dadurch auch Mittelständler faire Chancen auf öffentliche Aufträge behalten. Umso inakzeptabler ist es, dass einige Länder versuchen, dieses Prinzip mit fadenscheinigen Ausnahmen wie „zeitlichen“ oder „sachlichen Gründen“ auszuhebeln. Damit würde die Gesamtvergabe zur Regel, von der dann vor allem große Konzerne profitieren würden, nicht aber Handwerksbetriebe. Dabei sind genau sie es, die vor Ort für Ausbildung, für Integration, für den Trikotsatz in der Kinderfußballmannschaft, für die Daseinsvorsorge in Städten und Dörfern sorgen. Und zur Belohnung sollen sie von der öffentlichen Auftragsvergabe ausgeschlossen werden? Das wäre an Scheinheiligkeit kaum zu überbieten. Wir müssen schneller bauen, das ist richtig. Aber warum können wir nicht einmal Zeit sparen im politischen Prozess, bei der Genehmigung, bei der Planung, in juristischen Auseinandersetzungen? Ich appelliere daher eindringlich an die Bundesländer, dem Kompromiss mit der Bundesregierung zum Vergabebeschleunigungsgesetz zuzustimmen und ihr mittelstandsfeindliches Agieren in dieser Frage zu beenden.

Was entginge dem Mittelstand, wenn er nicht berücksichtigt würde?

Dann reden wir über zweistellige Milliardenbeträge, die am Mittelstand vorbeilaufen. Das wäre ein enormer Verlust, wirtschaftlich wie gesellschaftlich. Denn die Wertschöpfung des Mittelstands bleibt in der Region, sie stützt lokale Wirtschaftskreisläufe und sichert Arbeits- und Ausbildungsplätze.

Unmut gibt es in den Betrieben auch, weil die Entlastungen bei der Stromsteuer nur Teile der Industrie entlasten und eine neue „Stromsteuerentlastungsbürokratie“ entsteht. Ist das nicht Jammern auf hohem Niveau? Immerhin wird doch nun entlastet.

Das hat mit Jammern nichts zu tun. Energiekosten sind ein zentraler Standortfaktor, und zwar für alle. Es war zugesagt, dass die Stromsteuersenkung für alle kommt. Das ist auch eine Frage der Verlässlichkeit von politischen Versprechen. Wie lange ist denn deren Halbwertzeit? Und diese Entscheidung schafft auch wieder neue Bürokratie: Damit eine Steuerentlastung beim Handwerksbetrieb des produzierenden Gewerbes ankommt, muss ein komplexes und aufwendiges Antragsverfahren bewältigt werden. Das überfordert insbesondere kleine und mittlere Betriebe. Oft ist es kaum möglich, es ohne eine Unterstützung von externen Energieberatern und Steuerberatern zu bewerkstelligen. Für viele Betriebe steht dadurch der Aufwand in keinem Verhältnis zur möglichen Entlastung, weshalb sie ganz auf einen Antrag verzichten. Daher bleiben wir bei unserer Forderung: Die Stromsteuersenkung muss für alle kommen und sie muss unbürokratisch sein.

Viele Arbeitnehmer machen sich Sorgen, dass ihr Job bald von Künstlicher Intelligenz erledigt wird. Erleben Sie einen Run auf Stellen im Handwerk, das ja auf absehbare Zeit von echten Menschen erledigt werden muss?

Die Ausbildungszahlen gehen tatsächlich leicht nach oben. Ich bin fest davon überzeugt, dass das Handwerk von dieser Situation profitieren wird, weil die Tätigkeiten des Handwerks nicht so leicht zu substituieren sind. Kein Roboter kann eine Schraube hinter einer Wand richtig ansetzen oder spontan eine kreative Lösung finden. Wir können das. Ich glaube, dass das Handwerk ein Gewinner dieser Situation sein wird. Im Handwerk hilft KI und Robotik, monotone oder körperlich belastende Aufgaben zu erleichtern. Aber unabhängig davon, was KI in der Lage ist, zu leisten, so sehnen sich Menschen doch nach einer sozialen Einbindung.

In Zeiten geopolitischer Unsicherheit ist es ein großer Wert, in einem Familienbetrieb zu arbeiten, in dem man sich kennt und füreinander einsteht. Das gibt Sicherheit. Das Handwerk bietet genau das: soziale Bindung, Sicherheit und Perspektive. Und deshalb bin ich auch angesichts technologischer Entwicklungen und KI zuversichtlich, dass das Handwerk eine gute Zukunft hat.