Ausbildung und Fachkräftesicherung sind zentrale Anliegen des neuen Kölner Handwerkspräsidenten Thomas Radermacher. Im Rundschau-Redaktionsgespräch erläutert er weitere Ziele und die Motive für sein Engagement.
Kölner Handwerkspräsident Radermacher„Politik muss unseren Rat annehmen“

Seit Mai ist der Tischlermeister Thomas Radermacher Präsident der Handwerkskammer zu Köln
Copyright: Nabil Hanano
Nach den Kommunalwahlen in NRW gibt es neue Stadtoberhäupter und neue Räte. Glauben Sie, dass Wünsche wie bessere Parkmöglichkeiten für die Betriebe erfüllt werden?
Der designierte Bonner Oberbürgermeister, Guido Déus, hat fest versprochen, dass er vieles der vorherigen Verkehrspolitik revidieren will. Wir werden ihm ordentlich auf den Füßen stehen, damit er sich an seine Versprechen hält. Torsten Burmester, der neue Oberbürgermeister in Köln, ist nach meiner Wahrnehmung ein sehr pragmatisch denkender Mensch, der eine gewisse Wirtschaftsaffinität hat. Auch er hat uns zugesagt, sich dieser Themen, die in den letzten Jahren nicht immer in die richtige Richtung entwickelt worden sind, anzunehmen. 50 Prozent der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister im Bereich der Handwerkskammer zu Köln sind neu im Amt. Mit ihnen müssen wir jetzt ins Gespräch kommen.
Sie haben ja auch noch Wünsche bezüglich des Vergaberechts etwa.
Ein ganz schwieriges Thema. Die Städte und Gemeinden müssen ihre Ausschreibungsprozedere vereinfachen. Wir haben ganz eindeutig einen Trend, dass die mittleren und kleineren Handwerksbetriebe sich nicht mehr an Ausschreibungen beteiligen. Zu kompliziert, zu aufwendig, zu viel Bürokratie, sagen die Betriebe. Um die Vergabeverfahren einfacher zu machen, haben wir das Thema in unseren Masterplan Handwerk aufgenommen, den wir mit Köln und Bonn jeweils unterzeichnet haben. Den Städten und Gemeinden hilft es ja auch nicht, wenn sie keine Angebote mehr für ihre Aufträge bekommen.
Was erwarten Sie von dem Infrastrukturpaket?
500 Milliarden Euro klingt zunächst nach wahnsinnig viel. Wenn man das aber zum Beispiel im Bereich Verkehr auf die einzelnen Verkehrsträger runterbricht, relativiert sich die Summe. Und wenn man die Laufzeit von zehn Jahren bedenkt, wird es noch weniger. Auch bleibt abzuwarten, wie viel Geld für Infrastrukturprojekte tatsächlich in den Kommunen ankommt. Und: Die Industrie und das Straßenbauhandwerk haben gar nicht die Leute dafür, um das ganze Geld abzuarbeiten. Da müssen erst Kapazitäten aufgebaut werden.
In dem Szenario geht es um die wirklich neuen Aufträge. Es gibt aber Turnhallen, die schon längst ein neues Dach gebraucht hätten.
Daran erkennt man, wie schwierig es wird. Wir haben viele Bauvorhaben, die hängen schon ganz lange in der Pipeline. Und dann kommen noch Nachrichten, dass Maßnahmen, die im Bundesverkehrswegeplan fest eingeplant sind, finanziell nicht hinterlegt sind wie Tausendfüßler oder Nordbrücke in Bonn. Ich kann nur hoffen, dass das Geld, das angeblich fehlt, sich noch irgendwo findet oder Maßnahmen über das Infrastrukturpaket finanziert werden. Eine prosperierende Wirtschaft ist auf den Güterverkehr angewiesen.
Gehen die Genehmigungsverfahren denn schnell genug?
Nein, überhaupt nicht. Die Bonner Nordbrücke, die erneuert werden soll, braucht elf lange Jahre Planungszeit – da ist sie noch nicht gebaut. Das können Sie niemandem mehr erklären.
Die Leverkusener Brücke ging schneller.
Es ist gut, dass eine Klageinstanz weggefallen ist. Das macht es ein bisschen schneller. Aber da ist noch viel Verbesserungspotenzial. Wir sind im Moment einerseits ein bisschen enttäuscht von dem, was die neue Bundesregierung auf die Beine stellt. Da spielen auch emotionale Gründe eine Rolle. Friedrich Merz hat versprochen, dass es keine Neuverschuldung gibt. Daraus sind 900 Milliarden Euro neue Schulden geworden. Andererseits ist die Regierung gerade fünf Monate im Amt, und es braucht Zeit, bis all die geplanten Vorhaben tatsächlich umgesetzt werden. Aber es muss jetzt endlich losgehen!
Wie könnte der Bürokratieabbau gelingen?
Politikerinnen und Politiker müssen nicht alles wissen. Ich verlange aber, dass sie sich Input von Leuten holen, die sich auskennen, bevor sie ein Gesetz oder eine Verordnung machen. Doch das vermisse ich in den letzten Jahren sehr stark bei der Politik. Wir sind zur Hilfe bereit und können für das Handwerk einschätzen, wie sich Gesetze auswirken. Es ist Teil unserer Lobbyarbeit, der Politik mit unserer Expertise zur Seite zu stehen. Auch dafür zahlen unsere Mitgliedsbetriebe ihre Beiträge an die Handwerkskammer oder an die Innung oder an die Kreishandwerkerschaft. Das müssen wir ihnen auch immer wieder vermitteln.
Über Bürokratieabbau wird schon Jahrzehnte gesprochen. Trauen Sie der aktuellen politischen Führung zu, dass sie das wirklich mal anpackt?
Es braucht den politischen Willen, dann lässt sich hier wirklich etwas erreichen. Wir lassen jedenfalls nicht locker.
Wie kann das Kooperationsabkommen mit der Stadt Köln mit Leben gefüllt werden?
Entscheidend ist, dass Politik und Stadt unseren Rat annehmen. Ich kann mir gut vorstellen, dass hier und da Vertreter des Handwerks in einen Stadtentwicklungs-, Bau- oder Vergabeausschuss eingeladen werden, um sich Expertise zu holen. Bei der Aufstellung von Flächennutzungsplänen und der Ausweisung neuer Bau- und Gewerbegebiete können wir miteinander reden, um Zuschnitte hinzukriegen, die fürs Handwerk tauglich sind. Viele Handwerker benötigen überschaubare Flächen für ihre Hallen und ihren Betrieb mit fünf, zehn oder 20 Mitarbeitenden. Bei vielen Flächennutzungsplänen gibt es aber nur die großen Tortenstücke.
Gerade bei den Berufskollegs liegt in der Region vieles im Argen. Erhoffen Sie sich hier konkrete Maßnahmen?
Die Situation der Berufskollegs ist regional sehr unterschiedlich. Das Carl-Reuther-Berufskolleg in Hennef wurde vor wenigen Jahren komplett saniert. In Troisdorf steht das Georg-Kerschensteiner-Berufskolleg zur Sanierung an. In Bonn ist die Situation erträglich. In Köln sieht es schlechter aus. Ich war kürzlich im Berufskolleg 10 in Porz. In aller Offenheit: Ginge mein Kind dorthin, würde ich es da rausnehmen. Die Schulleitung und das Kollegium leisten hervorragende Arbeit – aber der Gebäudebestand dort ist nicht zumutbar.
Das beklagen sie seit vielen, vielen Jahren.
Ansonsten scheint das kaum jemanden zu interessieren. Die Sanierung und die gute Ausstattung von Berufskollegs sind ganz zentrale Forderungen des Handwerks. Dort sollen die Auszubildenden unserer Betriebe ein gutes Lernumfeld vorfinden. Es geht nicht, dass die allgemeinbildenden Schulen mit viel Geld saniert werden, während die Berufsschulen eher stiefmütterlich behandelt werden.
Welchen Grund vermuten Sie?
Berufskollegs haben eine weniger starke Lobby als andere Schulformen. Weil die Eltern der Berufsschüler nicht so protestfreudig sind, ist nicht so viel Druck im politischen Kessel. Deswegen machen wir uns für das Thema stark!
Wie ist denn die Ausbildungssituation im Handwerk? Haben Sie Lehrstellen besetzt bekommen?
Wir haben nicht alle Lehrstellen besetzt bekommen. Aber wir sind hier in der Region sehr froh, dass wir zum Stichtag 30.09. rund 4660 neue Ausbildungsverträge eingetragen und einen Zuwachs von ungefähr siebeneinhalb Prozent erzielt haben. Das ist eine tolle Botschaft! Der Landestrend liegt bei minus 1,54 Prozent. Sorgen macht uns die sinkende Zahl der Ausbildungsbetriebe. Hier ändern sich Strukturen. Die großen Betriebe werden immer größer, und auf die verlagert sich die Ausbildungsleistung. Dagegen sinkt die Zahl der mittelgroßen Betriebe, die früher am stärksten ausgebildet haben. Und die kleinen Betriebe mit drei oder fünf Mitarbeitenden bilden weniger aus. Sie beklagen die geringe Anzahl an Bewerbungen, die Qualität der Bewerber oder die Kosten der Ausbildung. Früher gehörte Ausbildung zum Berufsethos. Da wurde nicht großartig gerechnet. Heute haben wir mehr streng betriebswirtschaftlich orientierte Inhaberinnen und Inhaber. Dabei wissen wir alle: Gegen den Nachwuchs-, Fach- und Führungskräftemangel im Handwerk hilft nur Ausbildung.
Hilft bei der Suche nach Nachwuchs nicht die Zuwanderung? Es sind doch vermeintlich gut ausgebildete Syrer und Ukrainerinnen nach Deutschland gekommen.
Diese Menschen bieten natürlich ein Potenzial. Die bürokratischen Hemmnisse, in Deutschland Arbeit aufzunehmen, sind jedoch hoch. Wir versuchen eher, die jungen Menschen mit Migrationshintergrund für das Handwerk zu gewinnen. Das war jahrelang ein ziemlich dickes Brett. In anderen Ländern gibt es keine duale Ausbildung. Dort ist Handwerk oder körperliche Tätigkeit gesellschaftlich weniger anerkannt als bei uns über die Qualifikation bis hin zur Meisterprüfung. Es hat jedoch ein Wandel stattgefunden, wie mir bei unserer großen Meisterfeier in Siegburg Mitte September wieder bewusst geworden ist. Da habe ich mir die Namen unserer Meisterinnen und Meister angeschaut: Die Zahl derer, bei denen man eine Migrationsgeschichte annehmen kann, wird immer größer. Das freut mich total.
Sie arbeiten trotzdem weiter am Image des Handwerks.
Unsere bundesweite Imagekampagne des Handwerks läuft im 16. Jahr. Der aktuelle Slogan lautet: „Wir können alles, was kommt.“ Die Kampagne hat messbar zur Imagesteigerung beigetragen und das Bewusstsein für die Bedeutung des Handwerks gestärkt. Die Kampagne wird von allen Handwerkskammern und Verbänden mitgetragen und auch mit nicht wenig Geld ausgestattet. Aus meiner Sicht sollten wir noch mehr Geld pro Betrieb investieren, um den Effekt der Kampagne zu erhöhen.
Würden Ihre Betriebe das bezahlen wollen?
Das ist ein hehrer Wunsch von mir. Ich sitze ja selbst im Präsidium des Zentralverbands. Ich werde nicht müde, da immer wieder mal darauf hinzuweisen, finde aber nicht das ganz große positive Echo.
Früher gab es, so scheint uns, mehr gemischte Gebiete.
Da gab es zwischen den Wohnhäusern Handwerksbetriebe mit einer Halle im Hinterhof. Der Betrieb meines Vaters und meines Großvaters war bis 1971 in der die Adolfstraße im Bonner Norden. Auf dieser Straße gab es damals sieben Schreinereien, aber die sind alle weggezogen: aus Umweltschutzgründen, weil sich die Anwohner beschwerten, die Lieferbedingungen immer schwieriger wurden und weil es keine Expansionsmöglichkeiten gab. Heute fehlen die Handwerksbetriebe in den Innenstädten – und die Wege für das Handwerk wie für die Kundschaft sind länger geworden.
In Köln haben wir ehemalige Industrieflächen, die das Handwerk nutzen könnte, etwa in Mülheim oder in Kalk.
Wir haben eine ungesunde Konkurrenzsituation. Wir brauchen neuen Wohnraum. Dessen sind wir uns bewusst. Da ist der Druck groß. Und weil man mit Wohnungen vielleicht auch ein bisschen mehr Geld verdienen kann als mit Gewerbeflächen, fallen neue Gewerbefläche oftmals hinten runter.
Selbstständigkeit ist für viele ein Problem. Jugendliche bekommen in der Schule zu wenig über Wirtschaft und Selbstständigkeit erklärt.
Manchmal finden Betriebe auch keinen Nachfolger.
Zunächst ist das ein demografisches Problem. 40 Prozent der Betriebe in Deutschland stehen in den nächsten zehn Jahren zur Übergabe von der Babyboomer-Generation in die nächste Generation an. Früher war die Nachfolge gesichert. Heute übernehmen die Kinder oder andere Familienmitglieder oft nicht mehr. Selbstständigkeit ist für viele ein Problem. Jugendliche bekommen in der Schule zu wenig über Wirtschaft und Selbstständigkeit erklärt. Deshalb fordern wir nicht nur die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung, sondern auch, das Thema Wirtschaft in den Schulen weiter zu stärken. Wir haben in den vergangenen 40 Jahren immer in Richtung akademische Ausbildung gesteuert. Jetzt merken wir: Hoppla, das war vielleicht in dem Umfang ein Fehler. Selbstständig zu sein bedeutet viel Arbeit, zumindest in den ersten Jahren. Es bedeutet vor allen Dingen auch, Risiken einzugehen, und den Mut, auch schon mal zu scheitern. Finanzielles Risiko scheuen heute viele Menschen. Auch die Kreditvergabe der Banken ist heute restriktiver. Dennoch müssen wir mehr junge Menschen davon überzeugen: Selbstständige im Handwerk haben hervorragende Perspektiven und können gutes Geld verdienen.
Wie entwickelt sich Ihr Ausbildungszentrum in Ossendorf weiter?
Wir haben den Ausbildungscampus am Butzweilerhof und den Meistercampus in der Köhlstraße. Wir überlegen jetzt in verschiedenen Szenarien, wie wir die Standorte entwickeln und wie wir dort in 30 Jahren aufgestellt sein wollen. Die duale Ausbildung muss attraktiv, modern und digital sein – dafür müssen wir sehr stark investieren. Wir brauchen zukunftsfähige Raumkonzepte und müssen auch den Umstrukturierungen in den Ausbildungen Rechnung tragen. Wir haben uns jetzt auf den Weg gemacht, ein förderfähiges Raumkonzept zu erstellen und Flächenkonzepte zu entwickeln. Auch die Zusammenführung der Standorte auf einem neuen Grundstück ist denkbar.
Handwerker bekommt man heute wieder schneller. Auch die Angebote sind deutlich niedriger. Und das liegt nicht nur an den Materialkosten. Und dann gibt es noch den Ruf aus der Politik billiger zu bauen. Geht das überhaupt?
Wir müssen preiswerter bauen. Das ist ein Riesenunterschied zum billigen Bauen. Preiswert heißt im Sinne des Wortes, dass ich eine Leistung bekomme, die ihren Preis tatsächlich wert ist. Natürlich hatten wir eine überhitzte Marktsituation. Wenn dann jemand andere Preise aufruft als zu einer Zeit, in der er wenig Arbeit hat, ist das Marktwirtschaft. Wir hatten auch Probleme durch die Lieferketten, wodurch die Materialpreise stark angestiegen sind. Das hat sich jetzt wieder beruhigt, auch wenn das Vorkrisenniveau noch nicht wieder erreicht worden ist. Preiswert bauen heißt auch nicht, dass ich an Qualität spare. Wir müssen an Vorschriften sparen. Der Kostenanteil für den Brandschutz an einem Gebäude liegt bei ungefähr 20 Prozent. Wir müssen natürlich Menschen vor Risiken und Gefahren schützen und einen vernünftigen Brandschutz gewährleisten – aber manchmal übertreiben wir auch.
Wie viel Zeit haben Sie eigentlich noch für Ihren Betrieb?
Deutlich weniger als vor einigen Jahren. Ich bin, was meine verfügbare Zeit angeht, so 30 bis 40 Prozent in meinem Betrieb, der gut aufgestellt ist, sodass ich nicht ständig da sein muss. Der Rest ist Ehrenamt.
Sie wollten Ämter abgeben.
Ja, ich bin ja bereits nicht mehr Kreishandwerksmeister. In spätestens zwei Jahren werde ich auch mein Amt als Präsident des Bundesverbandes Tischler Schreiner Deutschland in Berlin abgeben. Ich habe mich in Bonn auch aus verschiedensten Arbeitsgruppen zurückgezogen. Und ich habe meine Tätigkeit als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger nach fast 30 Jahren beendet. Sachverständige bestellt die Handwerkskammer, der Präsident vereidigt sie. Ich kann mich ja schlecht selbst vereidigen.
Und warum engagieren Sie sich?
Zum einen macht es mir Riesenspaß. Ich bin ein politisch agierender Mensch, ich habe 17 Jahre Kommunalpolitik gemacht. Und ich bin der Meinung, ich habe was beizutragen. Ich habe dem Handwerk fast alles zu verdanken, ein erfülltes Berufsleben, allen Wohlstand. Und ich glaube, dass das Handwerk die bestmögliche Vertretung in der Öffentlichkeit verdient. In unserer Branche arbeiten so unglaublich viele gute, engagierte Menschen, die vielleicht in der Außendarstellung, in der Artikulation ihrer Wünsche und Hoffnungen nicht so ganz weit vorne stehen. Ihnen eine starke Stimme zu geben, dafür setze ich mich gerne ein.