Die Wirtschaft in der Krise, die Autobranche mit dem Rücken zur Wand, die Regierung ratlos: Wie kommen VW & Co. und das strauchelnde Land wieder auf die Füße? Moritz Schularick vom ifW liefert Antworten.
IfW-PräsidentMüssen wir alle künftig mehr arbeiten, Herr Schularick?

Bezeichnet Deutschland als „Frühverrentungsparadies“: Moritz Schularick, Präsident des IfW Kiel.
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Moritz Schularick, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) Kiel, macht im Interview mit Tobias Schmidt ein paar sehr drastische Vorschläge. Dazu gehören ein Einstieg der Chinesen bei VW, unbezahlte Mehrarbeit „für alle“ und die Einsicht, dass Deutschland als „Frühverrentungsparadies“ den Anschluss zu verlieren droht. Hilft das, um die Wirtschaft wieder flott zu machen?
Herr Professor Schularick, Berlin und Brüssel wollen das Zulassungsverbot für neue Diesel und Benziner ab 2035 erheblich lockern. Würde das VW, BMW und Mercedes echt helfen?
Ich bin skeptisch. Die Spritpreise werden durch Einbeziehung des Verkehrs in den Emissionshandel deutlich steigen. E-Autos werden immer billiger. Es gibt immer mehr Ladesäulen, und die Reichweiten wachsen auf 1000 Kilometer. Und daher wird die Nachfrage nach E-Autos schon bald anspringen. Und in Deutschland wurden für diese rückwärtsgewandten Beschlüsse viele Monate lang Unmengen an politischem Sauerstoff mit einem Symbolthema verbrannt. Ich kann der Kehrtwende, ab 2035 doch wieder neue Diesel und Benziner in der EU zuzulassen, so viel Gutes nicht abgewinnen. Das ist eine Kopfschmerztablette, keine Heilung.
Das erschwingliche E-Auto mit 1000 Kilometern Reichweite wurde schon sehr oft versprochen. In den USA ist die E-Mobilität vorerst gefloppt. Wird der Verbrenner nicht doch eine viel größere Rolle spielen als von vielen erhofft?
Ich halte das für unwahrscheinlich, zumindest wenn wir den Klimaschutz nicht komplett beerdigen. Aber kann uns das Klima egal sein, sollen wir das Ziel der CO2-Neutralität aus dem Grundgesetz streichen und uns nicht um den Beitrag der Verbrenner zum Temperaturanstieg scheren? Denn darauf läuft es hinaus, wenn wir auf Diesel und Benziner setzen und nicht auf Batterieautos und Stromspeicher.
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Ist es nicht schon zu spät für Deutschlands Autobauer, gegen die chinesische Elektro-Konkurrenz zu überleben?
Es ist schon mal gut, dass VW in China produziert, die lernen da eine Menge. Die größte Herausforderung der kommenden Jahre wird sein, einen Konsens zu bilden, wie wir mit China als ernsthaftem globalen Wettbewerber auch bei Hightech umgehen. Mein Vorschlag: Wir sollten den Zugang zu unserem Markt davon abhängig machen, dass in substanziellem Umfang hier investiert und produziert wird. Die Wertschöpfung muss hier stattfinden. Zuzuschauen, wie China mit seinen Vorteilen in Sachen Kosten, Skalierung und Technologie ein Kernstück der europäischen Industrielandschaft demontiert, das ist keine Option.
Wie sicher ist die Zukunft von Volkswagen?
Wenn die Rahmenbedingungen so bleiben, glaube ich nicht, dass VW eine große Chance hat. Dazu müssten wir die Zollmauern hochziehen und die chinesischen Autos nicht mehr reinlassen. Ein anderes Szenario könnte sein: Wenn die Chinesen bei VW einsteigen und dann in Osnabrück und Wolfsburg mit deutschen Arbeitskräften wettbewerbsfähige, klimaschonende und tolle Autos produzieren, so wie es die Geely-Gruppe mit Volvo gemacht hat, dann kann ich daran als Volkswirt nichts Schlechtes finden. Das Beispiel Volvo sollten sich die Damen und Herren in Wolfsburg gut anschauen. Sicher ist: Dem deutschen Automobilisten-Hirn wird dieser Gedanke nicht leichtfallen und viel Flexibilität und Spannkraft abverlangen.
Die Chinesen sind schlauer und zeigen uns, wie es gemacht wird?
Ihr Vorsprung ist real. Aber das muss kein Drama sein, wenn wir es schaffen, die Wertschöpfung, auch bei Batterien, nach Deutschland zu holen. Mercedes ist ja auch schon mehrheitlich im Besitz ausländischer Investoren. Es gibt tatsächlich sehr wenige Beispiele dafür, dass Platzhirsche, die von einer neuen Technologie überrannt werden, es schaffen, sich rechtzeitig anzupassen und die erforderliche Lust auf die Zukunftstechnik aufzubringen. In den Volkswagen-Büros sitzen noch immer so viele Ingenieure, die im Geiste noch an der Optimierung des Dieselmotors tüfteln.
Schon jetzt sind 50.000 Jobs in der Branche verschwunden. Wie schlimm wird es noch werden?
Die Schätzung der ifo-Kollegen lautet, wir würden bis Ende des Jahrzehnts weitere 200.000 Jobs in der Autoindustrie verlieren. Aber ganz so schlimm muss es nicht kommen.
Was wäre zur Abwendung des Schlimmsten notwendig?
Wir müssten alle die Ärmel hochkrempeln, uns umdrehen und in die andere Richtung schreiten. Nicht nur die Automanager, die gesamte Industrie, die Arbeitnehmer, die Politik. Die Fixierung auf das, was einmal war, steht uns am allermeisten im Weg. Ich bin mir sehr sicher: Die Automobilindustrie wird in den kommenden zehn Jahren nicht wieder zum Wachstumsmotor für die deutsche Volkswirtschaft werden. Wenn wir Wachstum wollen, muss es woanders herkommen. Die Premiummarken BMW und Mercedes werden sicher auch weiterhin einen Platz auf der Weltkarte der Automobilindustrie haben. Die Autos gehören noch immer zu den besten, die es gibt. Aber das wird mehr und mehr zur Nische.
Worauf sollen wir dann setzen?
Sicher nicht auf die Stahlbranche, sicher nicht auf die energieintensiven Industrien, über die wir die ganze Zeit reden. Wachstum kommt von keinem dieser Bereiche. Die erste Antwort liegt in einer europäischen Binnenmarkt-Agenda inklusive Kapitalmarktunion: Die Bedenken der Sparkassen und Insolvenzverwalter müssen beiseitegeschoben werden. Man kann noch immer nicht mit dem Kredit einer deutschen Bank eine Wohnung in Paris kaufen. Die noch immer härteste und widersinnigste Wachstumsbremse, das sind 27 nationale Regulierungen anstatt einer einzigen europäischen. Die radikale Vereinfachung durch Integration wäre die einzige adäquate Antwort auf die Erkenntnis, dass wir in der neuen Weltwirtschaft nur dann stark sind, wenn Europa gemeinsam den Schalter umlegt.
Kann sich Europa wirklich am eigenen Schopfe aus der Krise ziehen?
Das muss es ja gar nicht. Wir können uns mit einer intelligenten Außenwirtschaftspolitik neue Märkte erschließen, vor allem in Afrika. Wir müssen uns aus der US- und China-Fixierung lösen. Das Potenzial ist riesig, weil es verdammt viele Länder gibt, die genauso wenig wie wir von den beiden Gorillas erpresst werden wollen. Und die Instrumente liegen bereit: Freihandelsabkommen, Investitionen, Entwicklungszusammenarbeit. Aber es gibt – das ist der nächste Teil der Antwort – noch ein gewaltiges Potenzial bei uns in den Bereichen Technologie und Forschung. Wenn wir als Erste die Kernfusion hinkriegen, müssen wir uns um sehr vieles keine Sorgen mehr machen. Das wäre ein echter Gamechanger. Es ist eines der größten Versäumnisse überhaupt, dass wir nicht viel mehr in Forschung und Entwicklung stecken. Energietechnologie, Medizin und Gesundheit, Automatisierung und Robotik: Da liegt das Wachstum, wie es die Chinesen vormachen.
Müssen wir auch länger arbeiten, um nicht uneinholbar von China und den USA abgehängt zu werden?
Ich wäre dafür, dass wir alle zehn Prozent mehr arbeiten, auch ohne Lohnausgleich. Wenn wir wieder wachsen wollen, führt an einer Ausweitung des Arbeitsvolumens kein Weg vorbei. Dafür müssen wir entweder mehr arbeiten oder deutlich mehr clevere Leute ins Land holen. Was die Lage erschwert: Die Erwerbsbeteiligung der älteren Arbeitnehmer ist bei uns im internationalen Vergleich extrem niedrig. Weil wir ein Frühverrentungsparadies sind. Die Skandinavier schaffen es auch, die Menschen mit 65 oder 70 im Arbeitsleben zu halten, warum nicht auch hier.
Die Regierung will an die Baustelle ran, auch die SPD. Ob die Gewerkschaften mitziehen?
Wenn jetzt nicht mutig gehandelt wird, wird hier viel mehr ins Rutschen kommen, als den Gewerkschaften lieb ist. Ich hoffe, der Groschen ist inzwischen überall gefallen. Die Gewerkschaften sollten der Koalition keine Subventionen für sterbende Altindustrien abpressen, sondern dabei helfen, mutig die Veränderungen zu ermöglichen, die es braucht, um voranzukommen. Dazu gehört ein flexibleres Arbeitsrecht. Es wäre voll im Interesse der Arbeitnehmer, wenn mehr Bewegung in den Arbeitsmarkt kommt: von der Auto- in die Rüstungsindustrie, in die E-Mobilität, in die Planung von Roboterfabriken ... Ja, der Kündigungsschutz muss gelockert werden, allen voran für Hochverdiener, und ja, das Einstellen von Arbeitnehmern muss billiger werden. Unsere Arbeitsmarktgesetze atmen noch den Geist der 70er- und 80er-Jahre. Die sind ein halbes Jahrhundert vorüber.
