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Preistreiber Lebensmittelhandel?Verbraucherschützer fordern mehr Kontrolle für Preise

5 min
Mehr als 30 Prozent in vier Jahren: Die gestiegenen Preise für Lebensmittel lassen sich nach Ansicht von Verbraucherschützern nicht mit höheren Kosten erklären.

Mehr als 30 Prozent in vier Jahren: Die gestiegenen Preise für Lebensmittel lassen sich nach Ansicht von Verbraucherschützern nicht mit höheren Kosten erklären. 

Die Preissteigerungen seit 2021 werfen Fragen auf. Diese soll nun eine staatliche Stelle unter die Lupe nehmen. Die Wirtschaft läuft Sturm.

Die Preise für Lebensmittel sind in den vergangenen Jahren drastisch gestiegen, um mehr als 30 Prozent im Vergleich zu 2021. Der Ukraine-Krieg spielte und spielt eine gewichtige Rolle, die hohen Energiekosten, auch der Weltmarkt – aber all das erklärt aus der Sicht von Verbraucherschützern noch nicht das schiere Ausmaß der Teuerung, die bei Lebensmitteln zeitweise deutlich höher lag als die allgemeine Inflationsrate.

Lebensmittelpreise als „Black Box“

Wer dreht also an der Preisschraube? Die Erzeuger, die verarbeitenden Unternehmen und die Handelsketten schieben sich gegenseitig den schwarzen Peter zu. Die Lebensmittelpreise seien eine „Black Box“, kritisiert der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) und schlägt seit Längerem die Schaffung einer sogenannten Preisbeobachtungsstelle vor. Diese solle, so formulierte es der Verband vor einem Jahr bei der Vorstellung einer entsprechenden Machbarkeitsstudie, für „mehr Transparenz bei Lebensmittelpreisen“ sorgen – und vermutlich ist es das Wort „Transparenz“, das seither für Ärger sorgt.

Kontroverse um staatliche Eingriffe

„Es ist nicht die Aufgabe des Staates, festzulegen, wer welche Gewinne machen darf“, heißt es etwa von der Bundesvereinigung der deutschen Ernährungsindustrie (BVE). „Eine solche Behörde würde den Wettbewerb behindern, Geschäftsgeheimnisse unterlaufen und einen Schritt in Richtung Planwirtschaft bedeuten.“ Der Handelsverband Deutschland schreibt auf Anfrage: „Da der Wettbewerb im Lebensmitteleinzelhandel außerordentlich intensiv ist, führt der Versuch, ,faire Preise bei einer Behörde zu ermitteln, die Preisbildung zu kontrollieren und Renditen in der Lieferkette zu verteilen, in die Irre.“ Zumal die „Gewinnmargen des Lebensmitteleinzelhandels mit in der Regel zwischen einem und drei Prozent außerordentlich gering“ bemessen seien, so der HDE. Der Deutsche Bauernverband zeigte sich offener gegenüber der Transparenz-Idee, erhofft sich aber nicht allzuviel Wirkung.

Experten für Preisbeobachtung

Dabei gehe es gar nicht darum, „dass Preiskalkulationen der Öffentlichkeit oder auch der Konkurrenz zugänglich gemacht werden“, betont Lisa Völkel vom Team Lebensmittel beim vzbv. Die Preisbeobachtungsstelle soll sich vor allem aus Experten zusammensetzen, „die selbst Teil der Wertschöpfungskette der Lebensmittelbranche sind“. Sie sollen entsprechende Daten zusammentragen und jährlich an den Bundestag berichten. Dieser könnte dann Maßnahmen zur Preisregulierung ergreifen, sagt Völkel. Wenn er denn wolle.

Diese Daten werden zum Teil ohnehin schon erhoben, gleich mehrere Stellen auf bundes- und europäischer Ebene sind damit befasst. Etwa die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) oder die Agri Food Chain Observatory. Braucht es da noch eine neu zu schaffende Beobachtungsstelle? Als die Linke das Thema vor wenigen Tagen in den Bundestag einbrachte, bügelte der CDU-Abgeordnete Stefan Korbach das Ansinnen ab: Es würde ein „Regulierungs- und Bürokratiemonster entstehen, das mit unserer sozialen Marktwirtschaft absolut nichts zu tun hat“.

Potenzial für Transparenz in der Landwirtschaft

Eine regelrechte Behörde soll die Preisbeobachtungsstelle nach Ansicht des vzbv gar nicht werden, fünf Vollzeitkräfte dürften reichen, argumentiert der Verband. Die hinzuzuziehenden Experten wären dort ja nicht angestellt. Nur: Für die Unternehmen aus der Branche – vom landwirtschaftlichen Betrieb bis zum Handelskonzern – würde eine solche Institution wohl durchaus mit einem Zuwachs an Dokumentations- und Berichtspflichten einhergehen. Dieser Mehraufwand sei laut vzbv aber überschaubar, da die Unternehmen bereits jetzt regelmäßig Zahlen einreichen müssten, etwa an die BLE.

Kritiker befürchten mehr Bürokratie auch für die Landwirtschaft. Hier ein Feld bei Wermelskirchen. (Archiv)

Kritiker befürchten mehr Bürokratie auch für die Landwirtschaft. Hier ein Feld bei Wermelskirchen. (Archiv)

Aber warum das Ganze, wenn es doch schon vergleichbare Strukturen gibt? Zum einen könnten so Informationslücken geschlossen werden, da bislang nicht für alle Produkte Daten erhoben werden. Zum anderen gehe es um die Schaffung einer Vertrauensbasis, sagt Völkel: Vertrauen innerhalb der notorisch zerstrittenen Branche, Vertrauen aber auch aufseiten der Konsumenten, die sich darauf verlassen können sollen, dass Lebensmittelpreise auf fairem Wege zustande kommen. Und schließlich gehe es auch darum, die zugrundeliegenden Lieferketten zu verstehen, damit in kommenden Phasen hoher Inflation „gegebenenfalls früher gegengesteuert werden kann“, sagt Völkel.

Frankreich als Vorbild für Preisbeobachtung

Wie eine solche Stelle funktionieren kann, zeigt sich seit 2010 in Frankreich. Die dort eingerichtete unabhängige Preisbeobachtungsstelle sehen die Verbraucherschützer als Best-practice-Beispiel. Sie hat den expliziten gesetzlichen Auftrag, „Transparenz über die Preisbildung und Gewinne auf allen Stufen der Absatzkette“ herzustellen – und hier ist die Transparenz wörtlich zu nehmen, denn die Behörde stellt ihre Daten inklusive der Gewinnmargen tatsächlich der Öffentlichkeit zur Verfügung. Sie greift nicht direkt in die Preisgestaltung ein, verhindert mithin auch nicht aktiv Preissteigerungen – die Beobachtungsstelle überlässt es dem Konsumenten, aus den verfügbaren Informationen seine Schlussfolgerungen zu ziehen. Allerdings ist die Zahl der beobachteten Produkte mit 34 recht gering bemessen.

Fokus auf Frischware für die deutsche Preisbeobachtungsstelle

Auch das geforderte deutsche Äquivalent könne klein anfangen, sagt Völkel, etwa, indem es sich auf Frischware wie Obst und Gemüse oder wenig verarbeitete Produkte konzentriere. Dass in der Planung von Maßnahmen der aktuellen Bundesregierung noch sehr viel Luft nach oben sei, bestätigt sie, die politischen Widerstände sind groß. Obwohl der Koalitionsvertrag von Union und SPD die Schaffung einer Art Kontrollinstanz vorsieht: „Wir unterstützen die Evaluierung und die Überarbeitung der Umsetzung der EU-Richtlinie über unfaire Handelspraktiken, um einen Wettbewerb mit fairen Erzeugerpreisen im Lebensmittelmarkt zu ermöglichen“, heißt es dort: „Wir führen eine unabhängige und weisungsfreie Ombudsperson ein.“

Eine Aufgabe, die der geforderten Preisbeobachtungsstelle zumindest nicht unähnlich wäre. Darauf - und auf die bestehenden Strukturen – ließe sich ja aufbauen, meint Völkel. Bislang aber sind keine entsprechenden Signale seitens der Bundesregierung zu vernehmen.

Das heißt aber nicht, dass gar nichts passiert: Derzeit nimmt die Monopolkommission des Bundes den Lebensmittelhandel unter die Lupe, der in Deutschland fest in der Hand eines Oligopols ist: Vier Konzerne – Edeka, Rewe, Aldi und die Schwarz-Gruppe (Lidl und Kaufland) – decken 85 Prozent des Marktes ab. Ihre Ergebnisse will die Kommission noch im Herbst vorlegen.