Veronika Grimm im InterviewDeutsche Gaspreise könnten wieder steigen

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Die Flamme eines Gasherdes brennt.

Kälteperioden wirken sich auf den Gasverbrauch und auch auf die Preise aus.

Fast scheint es, als sei die Energiekrise vorbei. Doch die Wirtschaftsweise Veronika Grimm warnt im Interview mit Tobias Schmidt: Lassen die gesunkenen Preise den Gasverbrauch hochschnellen, könnte es gefährlich werden.

Frau Professor Grimm, die Gaspreise sind im Großhandel auf Vorkriegsniveau gesunken. Bleibt das so?

Wir hatten viel Glück aufgrund der hohen Temperaturen und der geringen Nachfrage in China. Mit der Öffnung in China nach dem Corona-Lockdown kommt dort die Nachfrage nach Gas zurück. Das wird auch die Gasnachfrage aus China und somit den LNG-Preis erhöhen. Außerdem kann eine Kälteperiode in Europa zu Preissteigerungen beitragen. Bisher lief es also sehr glücklich. Aber für den kommenden Winter sollte noch keine Entwarnung gegeben werden!

Der kommende Winter wird auf jeden Fall herausfordernd.
Veronika Grimm, Wirtschaftsexpertin

Mal angenommen, auch der nächste Winter wird nicht außergewöhnlich kalt: Könnten die Preise dann womöglich doch auf niedrigem Niveau bleiben und auch die Verbraucherpreise bald wieder sinken?

Der kommende Winter wird auf jeden Fall herausfordernd. Es gilt, die Speicher wieder aufzufüllen, ohne dass wir auf russisches Gas zurückgreifen können. Erst ab 2024 ist zu erwarten, dass die Kapazitäten für den Import von Flüssiggas ausreichen, sodass die Preise wieder deutlich sinken. Sie werden sich dann auf einem höheren Niveau einpendeln als vor der Krise.

Werden die derzeit niedrigeren Gaspreise den Verbrauch wieder hochschnellen lassen, auch in der Industrie, also eine Rückkehr von der Kohle-Verfeuerung zu Gas?

Das ist gut vorstellbar, aber es wäre mit Gefahren verbunden in der aktuellen Situation. Bis zum kommenden Winter muss es oberste Priorität haben, einen Puffer zu behalten, um auf eine angespanntere Versorgungslage reagieren zu können. Da muss unter Umständen auch die Bundesregierung Anreize setzen, damit weiterhin Gas gespart wird.

Kann es sonst schwer werden, die Speicher im nächsten Herbst wieder vollzukriegen?

Das wird davon abhängen, ob die Bundesregierung wie im vergangenen Herbst wieder Füllstandsvorgaben macht. 2022 war die Vorgabe 85 Prozent zum 1. Oktober und 95 Prozent zum 1. November. Natürlich sind dadurch auch die Preise gestiegen, und mehr Gas ist nach Europa geliefert worden.

Die Gaspreisbremse senkt die Motivation der Verbraucher erheblich, sich preiswertere Neuverträge zu suchen. Verschenkt der Staat dadurch nicht extrem viel Geld der Steuerzahler?

Stimmt, die Anreize, den Anbieter zu wechseln, dürften niedriger sein. Allerdings kann man dagegen vermutlich wenig tun. Wichtig ist auch, dass während der Zeit, in der die Gaspreisbremse gilt, nicht zu viele Versorger aufgeben müssen. Das wäre ein Problem für den Wettbewerb nach dem Ende der Energiekrise.

Gehen die aktuellen Tariferhöhungen von Energieversorgern – auch von Stadtwerken – bei sinkenden Großhandelspreisen eigentlich in Ordnung, oder wird hier Abzocke betrieben, die der Staat unterbinden sollte?

Die Bundesregierung will Preiserhöhungen, die sich nicht mit steigenden Beschaffungskosten rechtfertigen lassen, im Rahmen der Missbrauchskontrolle unterbinden. Das dürfte Mitnahmeeffekte verhindern. Ein Verstoß gegen die Vorgaben kann für die Versorger also riskant sein.


Wird Gas für Haushalte wieder billiger?

Laut dem Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) lag der durchschnittliche Erdgaspreis für Haushalte in Mehrfamilienhäusern im vierten Quartal 2022 bei 19,8 Cent je Kilowattstunde, für Einfamilienhäuser bei 20 Cent. Laut dem Vergleichsportal Verivox kostet eine Kilowattstunde Gas für Neukunden aktuell im Schnitt 11,8 Cent.

Die Energiewirtschaft betont, dass sich die zuletzt deutlich gesunkenen Großhandelspreise wegen der langfristigen Beschaffungsstrategien nicht unmittelbar auf die Endkundenpreise auswirken. „Die Kunden haben vergangenes Jahr von dieser langfristigen Beschaffung profitiert“, sagt die Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des BDEW, Kerstin Andreae. Die Strategie der Versorger glätte die Entwicklungen an den Energiebörsen und schütze die Kunden vor starken Preissprüngen. „Dies bedeutet aber auch, dass sich nun der temporär gesunkene Einkaufspreis erst später auf die Endkundenpreise auswirkt.“

Laut BDEW betrugen die Großhandelspreise 2022 am Terminmarkt im Schnitt 117 Euro je Megawattstunde. Seit einigen Wochen sind sie auf rund 70 Euro gefallen. Im Mittel der Jahre 2015 bis 2019 lag der durchschnittliche Gaspreis im Großhandel jedoch bei nur rund 18,50 Euro je Megawattstunde. (dpa)

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