Am Anfang stand ein Strafzettel. Mittlerweile kann Alona Bokomol schon viele Herausforderungen selbst meistern – auch dank der Kim-Unterstützung.
Kommunales IntegrationsmanagementCase-Managerin der Caritas Eifel bietet Hilfe beim Ankommen

Individuelle Beratung: Nadja Abel, Case-Managerin der Caritas Eifel (re.), im Gespräch mit Alona Bokomol, die mit ihrer Tochter aus der Ukraine geflohen ist.
Copyright: Heike Nickel
Vielen Hürden und Herausforderungen musste sich Alona Bokomol im Herbst 2022 stellen, als sie mit Tochter Alexandra und deren Meerschweinchen vor dem Krieg aus der Ukraine flüchten musste. „Wir kommen aus einer kleinen Stadt im Süden des Landes, die direkt an der Frontlinie lag und bis heute von den Russen besetzt wird“, erzählt die 47-Jährige. Ihr Sohn wurde damals eingezogen und ist seither als Soldat im Einsatz. „Ich träume davon, dass der Krieg bald zu Ende ist“, so die Hoffnung der Mutter, die, so oft es geht, mit ihrem Jungen telefoniert.
Alona Bokomol sitzt an diesem Morgen im Büro von Nadja Abel, Kim-Case-Managerin bei der Caritas Eifel. Hier im ehemaligen Casino befindet sich seit 2017 eine Flüchtlingsunterkunft der Stadt Mechernich. Manche Klientinnen und Klienten von Abel haben es also nicht weit. Nebenan im Büro arbeitet der Mechernicher Integrationsbeauftragte Alexander Neubauer. Niederschwelliger kann ein Beratungsangebot kaum sein.
Alona Bokomol kam bereits kurz nach ihrer Ankunft in Deutschland in Kontakt mit Nadja Abel. „Ich war ohne Ticket in einen Bus gestiegen und musste Strafe zahlen“, so Bokumol, die ergänzt: „In der Ukraine zahlt man die Busfahrt erst, wenn man aussteigt.“ Die Angelegenheit war schnell geregelt, die Strafe bezahlt und eine weitere Zusammenarbeit beschlossen.
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Im Sommer steht die Sprachprüfung für das B2-Level an
In den folgenden Monaten sahen sich die beiden häufig. Case-Managerin Nadja Abel und Alona Bokomol füllten Formulare aus, stellten Anträge, beantworteten Behördenpost. In welcher Sprache? „Mit Händen und Füßen und Google-Übersetzer oder mit Zettel und Stift – damit kann man hervorragend improvisieren“, sagt die Sozialarbeiterin lachend. Mittlerweile gelingt die Kommunikation flüssig auf Deutsch: Alona Bokomol lernt mit Eifer die neue Sprache.
Derzeit besucht die 47-Jährige täglich einen Integrationskurs. „Im Sommer mache ich die B2-Sprachprüfung. Und den Kurs ,Leben in Deutschland' habe ich auch erfolgreich abgeschlossen“, sagt sie. Leicht sei es aber nicht, Deutsch sei kompliziert. „Aber wenn ich mir hier ein Leben aufbauen und mich integrieren will, muss ich die Sprache können“, sagt die 47-Jährige.
Für ihre Tochter sei der Spracherwerb eine ganz andere Herausforderung. Alexandra, mittlerweile 13 Jahre alt, ist gehörlos. In der alten Heimat nutzte das Mädchen ihr Talent, von den Lippen abzulesen. Doch das nutzte in Deutschland zunächst nichts. „Mittlerweile hat Alexandra beidseitig Cochlea-Implantate bekommen“, sagt Alona Bokomol. Es braucht geraume Zeit und viel Geduld, um mit einer solchen elektronischen Hörprothese parat zu kommen. „Ja, es war am Anfang sehr stressig für sie. Aber langsam hat gewöhnt sie sich daran“, erzählt die Mutter.
Welche Schule die passende für Alexandra ist, wurde lange überlegt
Im Case-Management standen die Gesundheitsversorgung von Alexandra sowie die Suche nach einer passenden Schule an erster Stelle. Mittlerweile ist das Mädchen an eine Spezialabteilung der Uniklinik Bonn angebunden und besucht die siebte Klasse der Gesamtschule Eifel. Alexandra hat eine sonderpädagogische Begleitung und ist mit einem weiteren Kind mit Cochlea-Implantaten in der Klasse. „Das war ein längerer Prozess, es musste sehr genau geschaut werden, was das passende Angebot für Alexandra ist“, erzählt Nadja Abel.
Ein Jahr und drei Monate wohnten Mutter und Tochter in der Mechernicher Flüchtlingsunterkunft. Mit Unterstützung einer deutschen Freundin fanden sie schließlich eine kleine Wohnung. „Viele von den Menschen, die mit uns in Deutschland angekommen sind, leben immer noch in den Heim“, sagt Alona Bokomol. Deutsche Vermieter hätten offenbar oft Vorbehalte, an Ausländer zu vermieten, sagt die Ukrainerin.
Ich persönlich habe das Gefühl, in diesem Bereich Raum und Zeit zu haben für wirklich professionelle Sozialarbeit.
Case-Managerin Abel nickt: „Das Thema Wohnen steht bei all meinen Klientinnen und Klienten ganz oben auf der Liste.“ Und auf entlegene Eifeldörfer auszuweichen, in denen zwar noch bezahlbarer Wohnraum zu finden sei, jedoch keine ÖPNV-Anbindung, mache keinen Sinn: „Viele haben keinen Führerschein oder kein Geld für die Anschaffung eines Autos. Wie sollten sie beispielsweise zu den Sprachkursen in Mechernich oder Euskirchen schaffen?“
Die nächste Etappe, die Alona Bokomol meistern will: eine Ausbildung absolvieren. In der Ukraine habe sie viele Jahre als Buchhalterin bei einer großen Firma gearbeitet. „Jetzt möchte ich gerne Zugbegleiterin bei der Deutschen Bahn werden“, sagt sie. Sie möge den Kontakt zu Menschen und reise gerne, deshalb könne sie sich diesen Beruf gut für sich vorstellen. Mit Unterstützung ihrer Case-Managerin ging bereits eine Bewerbung an die Deutsche Bahn. Leider bekam die 47-Jährige eine Absage. „Aber wir bleiben dran und versuchen es wieder“, versichert Abel, die hofft, dass es klappt, wenn ihre Klientin das B2-Sprachlevel erreicht hat.
Chancen für den dauerhaften Aufenthalt stehen gut
Alona Bokomol und ihre Tochter wollen auf jeden Fall in Deutschland bleiben, auch wenn der Krieg irgendwann zu Ende ist: „Unsere Stadt ist zerstört, es gibt keine Infrastruktur mehr. Keine Schule, kein Krankenhaus. Hier in Deutschland bekommt Alexandra die Hilfe, die sie braucht, um mit ihrer Behinderung studieren, arbeiten und gut leben zu können“, fasst die Mutter ihre Beweggründe zusammen.
Die Chancen für den dauerhaften Aufenthalt stehen gut, denn: „Mein Großvater war Deutscher. Deshalb habe ich einen Antrag auf Anerkennung als Spätaussiedlerin gestellt“, so Bokomol. Das Verfahren sei sehr kompliziert, aber die Aussichten auf einen positiven Bescheid gut, meint die Case-Managerin optimistisch. Die größte Hürde sei auch hier der Nachweis fundierter Deutschkenntnisse: „Und da ist Alona Bokomol ja auf einem sehr guten Weg.“
Nadja Abel ist jetzt seit zweieinhalb Jahren Kim-Case-Managerin bei der Caritas Eifel. Sie mache diese Arbeit ausgesprochen gerne. Warum? „Weil ich mir hier die Zeit nehmen kann, Menschen in ihren jeweiligen Lebenslagen langfristig zu unterstützen.“ Besonders sei auch die gute Zusammenarbeit mit den anderen Case-Managern im Kreis Euskirchen, „das ist quasi noch mal ein zweites Team, in dem man arbeitet, unabhängig vom Verband“. Das klientenorientierte Konzept des Case-Managements sei einfach klasse. Nadja Abel: „Ich persönlich habe das Gefühl, in diesem Bereich Raum und Zeit zu haben für wirklich professionelle Sozialarbeit.“
Verbesserung der Lebenssituation und nachhaltige Integration
Seit Mai 2021 wird das Kommunale Integrationsmanagement, kurz Kim, im Kreis Euskirchen umgesetzt. Kim ist das bislang größte integrationspolitische Förderprogramm des Landes Nordrhein-Westfalen, dessen Ziel es ist, die Teilhabechancen von Menschen mit Einwanderungsgeschichte weiter zu verbessern – und zwar von der Einreise bis zur Einbürgerung.
Begleitet werden die Zugewanderten im Kreis Euskirchen von 15 Case-Managern, die größtenteils bei den hiesigen Wohlfahrtsverbänden angesiedelt sind. Die Caritas Eifel hat drei Case-Manager. Sie bieten Einzelfallhilfe für Personen mit Flucht- und Migrationshintergrund und multiplen Problemlagen, die im Süden des Kreises Euskirchen oder im Süden der Städteregion Aachen leben. Ziel ist es, sie nach ihrer Zuweisung intensiv zu begleiten, um eine nachhaltige Verbesserung ihrer Situation und dauerhafte Integration zu erreichen – unabhängig von Aufenthaltsstatus oder Bleibeperspektive.
Welche Wirkung Kim im Leben Zugewanderter entfaltet und worin der seitens der Politik beschriebene Paradigmenwechsel in der Praxis besteht, darüber berichten wir in einer Serie in dieser Zeitung.