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Digitale BetreuungWie ein Kölner Seniorenheim Videospiele in den Alltag bringt

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5 min
Eine Bewohnerin des Caritas-Altenzentrums St. Maternus spielt auf der Xbox-Konsole ein Rennwagenspiel.

Trotz fehlendem Führerschein: Altenzentrum-Bewohnerin Marlene Lück fährt mit anderen Rennwagen um die Wette. 

Virtuelle Unterwasserwelten oder Rennspiele auf der Xbox: Das Caritas-Altenzentrum St. Maternus in Rodenkirchen bringt mit der digitalen Betreuung VR-Brillen und Konsolen in den Alltag der Bewohnenden.

Das Klischee über Gamer hält sich in vielen Köpfen hartnäckig – junge Menschen, die im Keller sitzen und stundenlang auf der Konsole zocken. Das Gehirn? Leer. Die Augen? Bald viereckig. Doch Überraschung: Wer Videospiele spielt, trainiert seine Synapsen. Laut einer Studie des Max-Planck-Instituts vergrößert Videospielen Hirnbereiche, die für räumliche Orientierung, Gedächtnisbildung, strategisches Denken sowie Feinmotorik bedeutsam sind.

Noch eine Überraschung: 20 Prozent der Videospielerinnen- und spieler in Deutschland sind über 60 Jahre alt – und laut dem Verband der deutschen Games-Branche die größte Gruppe der Zockenden in Deutschland. Immer mehr ältere Menschen werden zu „Silver Gamern“ (Silberne Spieler), also Personen, die typischerweise über 50 Jahre alt sind und regelmäßig Videospiele spielen. Die Zahl ist im vergangenen Jahr von 6,4 auf 7,7 Millionen Menschen gestiegen.

Immer mehr ältere Menschen entdecken Videospiele

Der Trend macht deutlich: Zocken ist kein Kinderhobby – der durchschnittliche Gamer ist inzwischen 39,5 Jahre alt. Immer mehr ältere Menschen entdecken Videospiele für sich. Wie gut das funktionieren kann, zeigt das Caritas-Altenzentrum St. Maternus in Rodenkirchen mit dem digitalen Betreuungskonzept: Seit 2015 integriert das Zentrum digitale Angebote in den Alltag seiner Bewohnerinnen und Bewohner. Die Idee stammt von Alexandra Kasper, Mitarbeiterin in der Digitalen Betreuung, und wurde seither stetig weiterentwickelt. Mittlerweile können sich die Seniorinnen und Senioren mit VR-Brille, Tablet, Spielekonsolen und weiteren Technologien ausprobieren.

Eine Bewohnerin des Caritas-Altenzentrums hat eine VR-Brille auf und blickt in eine Unterwasserwelt mit Quallen.

Über die VR-Brille können die Bewohnenden in andere Welten blicken.

Marlene Lück ist eine der Bewohnerinnen des Altenzentrums. Sie liebt die VR-Brille – ein Gerät mit Virtual Reality (Virtuelle Realität), das den Nutzenden in eine computergenerierte, dreidimensionale Welt eintauchen lässt. Lück kann über die Brille in eine Unterwasserwelt blicken. „Die sehen aus wie Pilze“, beschreibt sie die Quallen, die an ihr vorbeischwimmen. 

Das Angebot ist für alle da – auch für Bewohnende in der palliativen Betreuung. Menschen sind am Ende ihres Lebens oft bettlägerig. „Die VR-Brillen können auch im Liegen getragen werden“, erklärt Filips Goncaruks, Mitarbeiter in der Sozialen Betreuung und Diversitätsbeauftragter des Altenzentrums. „Selbst wenn wir nicht wissen, wie zugänglich eine Person noch ist, bieten wir die Betreuung an.“ Die Reize und Geräusche könnten trotzdem etwas bewirken, selbst wenn eine sterbende Person keine Reaktion zeigt.

Generationsübergreifende Kontakte beim Spielen

Die Seniorinnen und Senioren sollen allerdings nicht nur untereinander spielen, sondern auch generationsübergreifende Kontakte knüpfen. „Wir versuchen, die Leute an Orte zu bringen, an denen auch gespielt wird“, sagt Goncaruks. So unternimmt das Altenzentrum etwa Ausflüge zur Kölner Gamescom, wo die Bewohnenden mit Spielenden aus allen Altersgruppen zusammenkommen. 

Zwei Senioren und eine Pflegekraft spielen ein Videospiel auf der Nintendo Switch auf der Gamescom.

Kölner Gamescom: Das Altenzentrum unternimmt Ausflüge zu Orten, an denen Videospiele gespielt werden.

„Bei uns steht die Biographiearbeit im Mittelpunkt“, erklärt Goncaruks. „Wir nutzen die Tablets, um über Google Maps alte Wohnorte der Bewohnenden aufzurufen und ihre Erinnerungen zu aktivieren.“ So können die Seniorinnen und Senioren die Straßen Kölns sehen – wo sie mal gelebt haben oder zur Schule gegangen sind. Viele würden sich an ihre Jugend erinnern und Geschichten erzählen. Gerade bei Menschen mit Demenz sei die Erinnerungsarbeit effektiv. „Wir nutzen die Medien als Werkzeug, um die Menschen zu erreichen“, so Goncaruks. 

Videospiele fördern Koordination und Motorik

Autorennspiele sind beliebt unter den „Silver Gamern“ – die Xbox-Konsole im Aufenthaltsraum ist mit einem Lenkrad ausgestattet, um die Wagen auf dem Bildschirm zu steuern. Einerseits erhöht das den Spielspaß, andererseits: „Das Lenkrad fördert die Motorik und die Koordination der Bewohnenden“, so Goncaruks.  Die Spielenden bewegen beim Steuern ihre Arme – das sei durchaus als Training zu sehen.

Zudem sorgen digitale Spiele für mehr Selbstständigkeit und Autonomie. Seniorinnen wie Lück, die nie einen Führerschein gemacht haben, bekommen so die Möglichkeit, einmal selbst Auto zu fahren. Mit dem Lenkrad, dass an die Konsole angeschlossen ist, steuert sie im Rennspiel „Asphalt“ ihren Wagen und misst sich mit anderen auf der Strecke. Die Seniorin freut sich: „Ich habe keinen Führerschein, aber hier kann ich Auto fahren“, sagt sie lachend. Zwar braucht sie dabei Unterstützung von einer Pflegerin, doch das stört sie nicht – auch wenn sie den Wagen gelegentlich von Wand zu Wand fährt.

„Das Konzept kommt gut an“, sagt Goncaruks. „Keiner wird hier gezwungen, und es bringt die Leute oft zusammen.“ Als Beispiel nennt er das Nintendo Switch-Spiel „Mario Kart“ – vier Spielende können in kleinen Fahrzeugen gegeneinander auf Rennstrecken antreten. Die Schnelligkeit und Schwierigkeitsstufe lässt sich vor Beginn einstellen. Laut Goncaruks ist es wichtig, dass die Bewohnenden nicht überfordert werden, da manche sonst aufhören würden. 

Konzept bereitet auf zukünftige Generationen vor

„Die einen spielen, die anderen schauen einfach zu“, erzählt der Pfleger. „Die digitale Betreuung bringt die Bewohnenden zusammen. Egal, ob sie passiv oder aktiv daran teilnehmen.“ Das gemeinsame Spielen helfe dabei, den sozialen Rückzug der Bewohnenden zu vermeiden – ein Zustand, den viele Angehörige älterer Menschen fürchten. Manche Seniorinnen und Senioren ziehen sich zunehmend zurück, was häufig mit depressiven Verstimmungen einhergeht. Besonders Menschen mit Demenz sind davon gefährdet. Dafür gebe es im Altenzentrum ein Café mit Leinwand oder den Senioren-Treff, wo die Menschen gemeinsam spielen können.

Noch sind die meisten Bewohnenden aus einer Generation, die Videospiele vor allem von ihren Enkeln kennt. „Mit der digitalen Betreuung gehen wir mit der Zeit“, sagt Goncaruks. „Die Menschen werden immer technikaffiner.“ Die digitalen Angebote sind eine Vorbereitung auf die Seniorinnen und Senioren von morgen – Menschen, die mit Computern, Smartphones und Spielkonsolen aufgewachsen sind. Für sie werden digitale Welten im Alter selbstverständlich sein.